Mittelschwaebische Nachrichten
Man wird sich bewusst, wie kostbar das Leben ist
Ehrenamtliche berichten über ihr Engagement im Krankenhaus-Besuchsdienst
Krumbach Ist das Krumbacher Krankenhaus voll belegt, dann werden dort 168 Patienten stationär behandelt. Manche dieser Menschen sind jünger, manche älter. Manche liegen über einen längeren Zeitraum oder immer wieder, andere nur wenige Tage dort. Viele dieser Menschen werden jeden Tag von ihren Angehörigen und Freunden besucht. Sie haben jemanden zum reden, jemanden, der sie aufbaut, ihre Hand hält oder manchmal einfach nur am Bettrand sitzt und da ist. Andere jedoch haben niemanden.
Als Karin Mayer vor 18 Jahren jemanden im Krumbacher Krankenhaus besuchte, lag eine alte Dame mit im Zimmer, der es genau so ging: „Mich besucht gar niemand“, sagte sie niedergeschlagen zu Karin Mayer. Das nahm sie damals derart mit, dass sie beschloss, sich ich im ehrenamtlichen Besuchsdienst zu engagieren. Seither besucht sie einmal pro Woche im Krankenhaus liegende Mitglieder ihrer Pfarrei Sankt Michael.
Dieser gehört auch Marlies Voh an, die seit 21 Jahren als ehrenamtliche Klinikseelsorgerin tätig ist. Als ihre Mutter damals über einen längeren Zeitraum im Krankenhaus lag, wurde ihr der Bedarf eines solchen Dienstes bewusst. „Wenn man, wie ich damals, im Pfarrgemeinderat ist, dann will man ja auch bestimmte Aufgaben ausfüllen. Und ich dachte, das wäre was für mich“, beschreibt Marlies Voh den Ursprung ihrer Arbeit.
Seitdem haben sich die Organisationsstrukturen gefestigt: Im Auftrag der Diözese Augsburg leitet Religionspädagogin Margarethe Wachter die Klinikseelsorge in Krumbach. Zusammen mit ihrer Kollegin Hermine Wüschem füllt sie das Deputat an hauptamtlichen Stunden aus, welches durch die Besuchsdienste von sieben Ehrenamtlichen sowie den Pfarrern und Diakonen der umliegenden Gemeinden ergänzt wird. Immer dienstags am Vormittag kommt dieser Personenkreis in der Klinikkapelle zu einer Andacht zusammen, die Margarethe Wachter vorbereitet. „Das ist total wichtig für uns zum Runterkommen“, sagt Marlies Voh. Ruhe finden, in sich selbst hinein hören und Kraft tanken – erst dann kann es für Karin Mayer und Marlies Voh losgehen. Denn im Krankenzimmer konzentrieren sie sich ganz auf den Mensch vor ihnen.
„Oft reicht es, einfach zuzuhören und über ganz alltägliche Dinge zu sprechen“, weiß Karin Mayer. Jeder, der im Krankenhaus liege, habe akute Sorgen und Leid. Manchmal kommen im Laufe ihrer Gespräche aber auch nicht aufgearbeitete, teils lange zurückliegende Konflikte zu Tage oder andere Angelegenheiten, die die jeweilige Person mit der Familie nicht besprechen kann oder möchte. „Für viele bieten wir einen anonymen Erfahrungsaustausch“, sagt Margarethe Wachter, die – wie ihr gesamtes Team – an die Schweigepflicht gebunden ist.
„Viele Menschen öffnen sich auch erst, wenn wir das ganz klar sagen“, weiß Marlies Voh. Und andere würden einfach ein bisschen Zeit brauchen, erzählt sie weiter. Aber genau darin sieht sie auch den zwischenmenschlichen Reiz ihrer Tätigkeit: „Es ist einfach schön, wenn Menschen
sich dann irgendwann öffnen und man sieht, wie ihnen das guttut!“
Aber nicht nur Probleme sind mit Angehörigen oft schwieriger zu besprechen, als mit der außenstehenden Klinikseelsorge. „Vor allem für ältere Menschen ist es wichtig, dass
ihr bisher gelebtes Leben wertgeschätzt wird“, weiß Margarethe Wachter. „Es ist völlig normal, dass das für Angehörige, die die Geschichte kennen, manchmal einfach schwierig ist. Dieses biografische Arbeiten gehört zu unseren Kernaufgaben.“Ähnlich schwierig gestalte sich oft auch die Lage der Angehörigen von Demenzpatienten, sagt Marlies Voh. „Wenn wir aber einmal in der Woche für eine beschränkte Zeit reingehen, dann fällt es uns nicht schwer, diese Menschen einfach reden zu lassen und keinesfalls zu verbessern. Auch, wenn man weiß, dass vielleicht so alles nicht ganz stimmt.“Manche Menschen, die Karin Mayer und Marlies Voh besuchen, können aber gar nicht mehr sprechen, da sie zu schwach sind: „In solchen Fällen reicht es oft, die Hand zu halten oder die Wange zu streicheln“, erzählt Karin Mayer.
Dass einen – ungeachtet jahrelanger Erfahrung – da manchmal selbst die Emotionen überkommen, ist klar. „Dann rollt halt mal eine Träne. Das gehört dazu“, meint Marlies Voh entschlossen. Und es wird klar, dass sie und ihre Kollegin Karin Mayer diese traurigen Emotionen in positive umkehren und daraus Kraft schöpfen: „Ich gehe oft raus und denke: Lieber Gott, geht’s mir gut! Unzufriedenheit, das gibt’s bei mir nicht mehr“, resümiert Karin Mayer. „Für viele ist es ein Perspektivenwechsel: Man wird sich bewusst, wie kostbar das eigene Leben ist und über welch sinnlose Dinge, man sich eigentlich so Sorgen macht“, weiß Margarethe Wachter. Und Marlies Voh sagt: „Außerdem kommt einem trotzdem immer so viel Dankbarkeit entgegen, da spürt man das pure Glück, trotz allem Leid.“
Doch das fiel sowohl Karin Mayer als auch Marlies Voh nicht immer gleich leicht. Beide erinnern sich an Fälle, die sie schwer trafen und lange nicht losließen. Fälle, bei denen auch nach Jahren immer noch die Stimme zittert und die Augen wässrig werden, wenn sie davon erzählen. Zu Beginn ihrer Tätigkeit wollte Marlies Voh jemanden besuchen, der Patient war jedoch nicht im angegeben Zimmer. Stattdessen saß dort eine Frau auf dem Bett und weinte. Die junge Mutter hatte soeben eine Krebsdiagnose bekommen und wusste nicht mehr weiter. Marlies Voh fing sie in dieser Akutsituation auf. Da wird klar, warum sich Marlies Voh den Satz „Halten Sie inne, bevor Sie die Türe öffnen“, den sie einmal hörte, verinnerlicht hat. Dabei geht es ihr nicht um eine grundlegende Angst, die habe sich längst nicht mehr, sagt sie überzeugt. Es geht um die unmittelbare eigene Außenwirkung: „Man muss aufpassen, dass man sein Gegenüber nicht erschreckt, dadurch, dass man selbst erschrickt.“
Dass ihre ehrenamtlichen Helfer das können, das bezeichnet Margarethe Wucher als „Gabe des Herrn“. „Unser Leitspruch: Ich war krank und ihr habt mich besucht“, zitiert sie das Matthäus-Evangelium. Der Besuchsdienst ist konfessionsungebunden, das ist den beiden sehr wichtig. „Ich habe mit vielen ganz wunderbare Gespräche geführt: Mit Christen, Muslimen, Atheisten, auch mit Zeugen Jehovas“, erzählt Karin Mayer.
Es wird klar: Für Margarethe Wachter und ihr Team ist es der Glaube, der Ursprung und stets anhaltender Antrieb ihrer Arbeit. Aber Marlies Voh stellt klar: „Es steht immer der Mensch im Mittelpunkt!“Trotz ihres tief verwurzelten Glaubens gibt Marlies Voh zu: „Man muss schon viel aushalten.“Karin Mayer ergänzt: „Aber das formt einen!“