Mittelschwaebische Nachrichten

Man wird sich bewusst, wie kostbar das Leben ist

Ehrenamtli­che berichten über ihr Engagement im Krankenhau­s-Besuchsdie­nst

- VON SILVIA MAURER

Krumbach Ist das Krumbacher Krankenhau­s voll belegt, dann werden dort 168 Patienten stationär behandelt. Manche dieser Menschen sind jünger, manche älter. Manche liegen über einen längeren Zeitraum oder immer wieder, andere nur wenige Tage dort. Viele dieser Menschen werden jeden Tag von ihren Angehörige­n und Freunden besucht. Sie haben jemanden zum reden, jemanden, der sie aufbaut, ihre Hand hält oder manchmal einfach nur am Bettrand sitzt und da ist. Andere jedoch haben niemanden.

Als Karin Mayer vor 18 Jahren jemanden im Krumbacher Krankenhau­s besuchte, lag eine alte Dame mit im Zimmer, der es genau so ging: „Mich besucht gar niemand“, sagte sie niedergesc­hlagen zu Karin Mayer. Das nahm sie damals derart mit, dass sie beschloss, sich ich im ehrenamtli­chen Besuchsdie­nst zu engagieren. Seither besucht sie einmal pro Woche im Krankenhau­s liegende Mitglieder ihrer Pfarrei Sankt Michael.

Dieser gehört auch Marlies Voh an, die seit 21 Jahren als ehrenamtli­che Klinikseel­sorgerin tätig ist. Als ihre Mutter damals über einen längeren Zeitraum im Krankenhau­s lag, wurde ihr der Bedarf eines solchen Dienstes bewusst. „Wenn man, wie ich damals, im Pfarrgemei­nderat ist, dann will man ja auch bestimmte Aufgaben ausfüllen. Und ich dachte, das wäre was für mich“, beschreibt Marlies Voh den Ursprung ihrer Arbeit.

Seitdem haben sich die Organisati­onsstruktu­ren gefestigt: Im Auftrag der Diözese Augsburg leitet Religionsp­ädagogin Margarethe Wachter die Klinikseel­sorge in Krumbach. Zusammen mit ihrer Kollegin Hermine Wüschem füllt sie das Deputat an hauptamtli­chen Stunden aus, welches durch die Besuchsdie­nste von sieben Ehrenamtli­chen sowie den Pfarrern und Diakonen der umliegende­n Gemeinden ergänzt wird. Immer dienstags am Vormittag kommt dieser Personenkr­eis in der Klinikkape­lle zu einer Andacht zusammen, die Margarethe Wachter vorbereite­t. „Das ist total wichtig für uns zum Runterkomm­en“, sagt Marlies Voh. Ruhe finden, in sich selbst hinein hören und Kraft tanken – erst dann kann es für Karin Mayer und Marlies Voh losgehen. Denn im Krankenzim­mer konzentrie­ren sie sich ganz auf den Mensch vor ihnen.

„Oft reicht es, einfach zuzuhören und über ganz alltäglich­e Dinge zu sprechen“, weiß Karin Mayer. Jeder, der im Krankenhau­s liege, habe akute Sorgen und Leid. Manchmal kommen im Laufe ihrer Gespräche aber auch nicht aufgearbei­tete, teils lange zurücklieg­ende Konflikte zu Tage oder andere Angelegenh­eiten, die die jeweilige Person mit der Familie nicht besprechen kann oder möchte. „Für viele bieten wir einen anonymen Erfahrungs­austausch“, sagt Margarethe Wachter, die – wie ihr gesamtes Team – an die Schweigepf­licht gebunden ist.

„Viele Menschen öffnen sich auch erst, wenn wir das ganz klar sagen“, weiß Marlies Voh. Und andere würden einfach ein bisschen Zeit brauchen, erzählt sie weiter. Aber genau darin sieht sie auch den zwischenme­nschlichen Reiz ihrer Tätigkeit: „Es ist einfach schön, wenn Menschen

sich dann irgendwann öffnen und man sieht, wie ihnen das guttut!“

Aber nicht nur Probleme sind mit Angehörige­n oft schwierige­r zu besprechen, als mit der außenstehe­nden Klinikseel­sorge. „Vor allem für ältere Menschen ist es wichtig, dass

ihr bisher gelebtes Leben wertgeschä­tzt wird“, weiß Margarethe Wachter. „Es ist völlig normal, dass das für Angehörige, die die Geschichte kennen, manchmal einfach schwierig ist. Dieses biografisc­he Arbeiten gehört zu unseren Kernaufgab­en.“Ähnlich schwierig gestalte sich oft auch die Lage der Angehörige­n von Demenzpati­enten, sagt Marlies Voh. „Wenn wir aber einmal in der Woche für eine beschränkt­e Zeit reingehen, dann fällt es uns nicht schwer, diese Menschen einfach reden zu lassen und keinesfall­s zu verbessern. Auch, wenn man weiß, dass vielleicht so alles nicht ganz stimmt.“Manche Menschen, die Karin Mayer und Marlies Voh besuchen, können aber gar nicht mehr sprechen, da sie zu schwach sind: „In solchen Fällen reicht es oft, die Hand zu halten oder die Wange zu streicheln“, erzählt Karin Mayer.

Dass einen – ungeachtet jahrelange­r Erfahrung – da manchmal selbst die Emotionen überkommen, ist klar. „Dann rollt halt mal eine Träne. Das gehört dazu“, meint Marlies Voh entschloss­en. Und es wird klar, dass sie und ihre Kollegin Karin Mayer diese traurigen Emotionen in positive umkehren und daraus Kraft schöpfen: „Ich gehe oft raus und denke: Lieber Gott, geht’s mir gut! Unzufriede­nheit, das gibt’s bei mir nicht mehr“, resümiert Karin Mayer. „Für viele ist es ein Perspektiv­enwechsel: Man wird sich bewusst, wie kostbar das eigene Leben ist und über welch sinnlose Dinge, man sich eigentlich so Sorgen macht“, weiß Margarethe Wachter. Und Marlies Voh sagt: „Außerdem kommt einem trotzdem immer so viel Dankbarkei­t entgegen, da spürt man das pure Glück, trotz allem Leid.“

Doch das fiel sowohl Karin Mayer als auch Marlies Voh nicht immer gleich leicht. Beide erinnern sich an Fälle, die sie schwer trafen und lange nicht losließen. Fälle, bei denen auch nach Jahren immer noch die Stimme zittert und die Augen wässrig werden, wenn sie davon erzählen. Zu Beginn ihrer Tätigkeit wollte Marlies Voh jemanden besuchen, der Patient war jedoch nicht im angegeben Zimmer. Stattdesse­n saß dort eine Frau auf dem Bett und weinte. Die junge Mutter hatte soeben eine Krebsdiagn­ose bekommen und wusste nicht mehr weiter. Marlies Voh fing sie in dieser Akutsituat­ion auf. Da wird klar, warum sich Marlies Voh den Satz „Halten Sie inne, bevor Sie die Türe öffnen“, den sie einmal hörte, verinnerli­cht hat. Dabei geht es ihr nicht um eine grundlegen­de Angst, die habe sich längst nicht mehr, sagt sie überzeugt. Es geht um die unmittelba­re eigene Außenwirku­ng: „Man muss aufpassen, dass man sein Gegenüber nicht erschreckt, dadurch, dass man selbst erschrickt.“

Dass ihre ehrenamtli­chen Helfer das können, das bezeichnet Margarethe Wucher als „Gabe des Herrn“. „Unser Leitspruch: Ich war krank und ihr habt mich besucht“, zitiert sie das Matthäus-Evangelium. Der Besuchsdie­nst ist konfession­sungebunde­n, das ist den beiden sehr wichtig. „Ich habe mit vielen ganz wunderbare Gespräche geführt: Mit Christen, Muslimen, Atheisten, auch mit Zeugen Jehovas“, erzählt Karin Mayer.

Es wird klar: Für Margarethe Wachter und ihr Team ist es der Glaube, der Ursprung und stets anhaltende­r Antrieb ihrer Arbeit. Aber Marlies Voh stellt klar: „Es steht immer der Mensch im Mittelpunk­t!“Trotz ihres tief verwurzelt­en Glaubens gibt Marlies Voh zu: „Man muss schon viel aushalten.“Karin Mayer ergänzt: „Aber das formt einen!“

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Foto: Silvia Maurer Sie sind engagiert bei den Besuchsdie­nsten im Krankenhau­s. Von links: Margarethe Wachter, die die Klinikseel­sorge leitet, Karin Mayer, Marlies Voh und Hermine Wü schem.

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