Mittelschwaebische Nachrichten
Durch die Baustelle zu den Zügen
Ratlose Reisende, entspannte Pendler und Taxifahrer, die den Ärger abkriegen: Bahnkunden erleben am Augsburger Hauptbahnhof den ersten Winter ohne warme Halle und Mitteltunnel. Ein Ortstermin
Augsburg Manchmal führt der Weg zum vollendeten Sein erst mal durch das Chaos. Oder, um es mit den Worten einer Augsburgerin an Gleis 1 zu sagen: „Es war vorher nicht schön, es ist jetzt nicht schön – es kann nur noch besser werden“. Die Rede ist vom Augsburger Hauptbahnhof. Bahnreisende müssen wegen des Umbaus den ersten Winter ohne Haupthalle verbringen. Pendler scheinen die Situation eher gelassen zu nehmen. Andere weniger.
Seit Mai schon ist die Bahnhofshalle mit den Geschäften und Essenstheken geschlossen, der Platz davor längst eine umzäunte Baugrube. Für Zugreisende, die vor dem historischen Gebäude stehen, führt der direkte Weg zu den Gleisen nur über Links- oder Rechtsaußen. Wobei links am beliebtesten ist. Schließlich säumen dort Container den Weg zur Südhalle. Und in ihnen sind Bäcker, Buchladen und Co. vorübergehend untergebracht. Markus Brönner steht an diesem kalten, klaren Morgen draußen vor dem Eingang zur Südhalle. Er trinkt noch schnell einen Kaffee. „Mein Zug steht schon am Gleis und ist sicherlich gewärmt.“Brönner ist einer der 15000 Arbeitnehmer, die täglich von Augsburg nach München pendeln. „Die Baustelle tangiert mich überhaupt nicht“, sagt er. Ich habe schon viele Menschen über das Projekt spotten hören. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau.“Wichtiger sei doch, dass die Züge halbwegs pünktlich führen.
Ein Schwall Menschen strömt aus der Südhalle. Brönner tritt zur Seite. Zu Stoßzeiten herrscht an diesem Zugang Hochbetrieb. Da kann es auf dem Weg an den Containern eng werden. Alois Kraus aus JettingenScheppach fährt häufig mit dem Zug nach Augsburg. „Wir Pendler haben uns an die Umstände gewöhnt. Die Wege sind halt weiter, seitdem auch der Mitteltunnel zu den Gleisen gesperrt ist.“Nicht alle Bahnreisenden nehmen dies gelassen hin, weiß Taxifahrer Adnan Kaya.
Er und seine Kollegen bekämen oft den Frust der Fahrgäste ab. „Von zehn Kunden beschweren sich acht bei uns, weil sie uns durch die Baustelle nicht mehr auf Anhieb finden und weil sie mit Gepäck weiter laufen müssen“, sagt Kaya, der seit 20 Jahren in Augsburg Taxi fährt. Er ist genervt. „Gerade die Auswärtigen finden sich hier nicht mehr zurecht.“Die junge Frau mit den langen Haaren und dem Köfferchen an Gleis 1 muss demnach eine Auswärtige sein.
Oder sie ist schon länger nicht mehr Zug gefahren. Fast schon erschrocken steht sie vor der Absperrung zur mittleren Gleisunterführung. Nein, hier geht es wirklich nicht mehr zu den Bahnsteigen. Das macht auch die Holzverschalung klar, an der die Treppe unten endet. Die junge Frau wird hektisch. Has- tig spricht sie einen Passanten an: „Kennen Sie sich hier aus? Ich muss nach München. Ich weiß nicht, wo mein Zug gleich losfährt und auch nicht, wie ich da hinkomme.“Der Mann zeigt mit dem Finger: „Da lang zum Südtunnel. Da hängen auch Fahrpläne.“Sie bedankt sich und rennt los. Vielleicht trifft sie auf einen der sogenannten Tragehelden, der ihr mit dem Köfferchen hilft.
Bis Ende der Weihnachtsferien noch sind die Helfer mit den einheitlichen grünen Jacken täglich von 9 bis 19 Uhr am Hauptbahnhof unterwegs. Sie unterstützen Passagiere beim Tragen von Gepäck und Kinderwagen. Der Service ist kostenlos. Stadt und Stadtwerke haben mit der Aktion auf die Baustellensituation und die damit verbundenen Einschränkungen reagiert. Die Tragehelden an diesem Morgen heißen Max Reil und Robert Kolberg. Die beiden Studenten haben sich im Südtunnel an der Treppe zur Gleisunterführung positioniert. Aufmerksam schauen sie, wer ihre Hilfe brauchen könnte.
„Nein danke, das kann ich allein“, winkt ein Fahrgast mit Koffer ab. „Viele Männer sind oftmals zu stolz, um unsere Hilfe anzunehmen“, verraten die Studenten, als der Mann weg ist. Eine Frau mit Kinderwagen freut sich, dass die Männer mitanpacken. Zurück auf Gleis 1. Dort gibt es einen kleinen beheizten Wartepavillon. Der ist ziemlich leer. Nur ein junges Pärchen sitzt drin. Und eine Dame aus dem Allgäu, die auf den Anschlusszug nach Berlin wartet. Ihren Namen verrät sie nicht. Nur, dass sie durch Zufall das warme Plätzchen gefunden hat. „Ich dachte zuerst, dass draußen vor dem Bahnhof beheizte Wartecontainer stehen. Das wäre auch das Logischste gewesen. Die Bänkchen in der kleinen Halle sind bei der Kälte ja ein Witz.“Echte Freude verspürt hingegen Bahnreisende Christine Möhler.
Aber auch nur, wenn sie an den fertigen Hauptbahnhof denkt. „Ich freue mich wie verrückt darauf“, sagt die Augsburgerin. „Wir hatten den einzigen Bahnhof ohne Aufzug und ohne Rolltreppen. Das war schon sehr steinzeitlich.“Dass das mit der Vorfreude nicht allzu lange dauern muss, hofft Eva Wintergerst von der Buchhandlung „Wintergerst & Höhn“.
Seit ihr Geschäft im Mai aus der Haupthalle in einen Container gezogen ist, habe sie gewaltige Umsatzeinbußen hinnehmen müssen. Wie sie erzählt, hat sie ihr Personal bereits von sieben Festangestellten auf vier reduziert. „Wir hatten so viele schöne Bücher im Laden und mussten das Angebot ziemlich minimieren.“Der einzige Pluspunkt sei, dass sie inzwischen auch Zigaretten verkaufen dürfe. „Manche Kunden wurden richtig sauer, als es anfangs noch keine gab.“Die Buchhändlerin, die seit rund 15 Jahren am Hauptbahnhof vertreten ist, hofft, dass sich die Baustelle nicht in die Länge ziehen wird. „Anfangs hat man uns gesagt, wir müssen mindestens fünf Jahre im Container bleiben, jetzt sind es schon sechs.“Aber, so betont die Geschäftsfrau, sie würden sich nicht unterkriegen lassen. „Schließlich wurden wir vor zehn Jahren, als die Halle neu gemacht wurde, schon mal in einen Container ausgelagert. Sie lacht und fügt hinzu: „Galgenhumor“. Das vollendete Sein liegt halt noch in ferner Zukunft.
Männer lassen sich nicht so gerne helfen