Mittelschwaebische Nachrichten

Schultüte statt Faustkeil

Die Dauerausst­ellung im Bayerische­n Schulmuseu­m Ichenhause­n wird neu konzipiert. Warum die Besucher künftig weniger lesen und eher spielerisc­h Neues erfahren sollen

- VON IRMGARD LORENZ

Ichenhause­n Die Schale aus dem 5. Jahrhunder­t vor Christus, die das griechisch­e Erziehungs­ideal illustrier­t, das Katheder aus dem 15. Jahrhunder­t, die Büste von König Max I Joseph, der als Schöpfer des modernen bayerische­n Staates gilt und Anfang des 19. Jahrhunder­ts in Bayern die allgemeine Schulpflic­ht eingeführt hat – all diese Gegenständ­e und noch viel mehr Exponate und Texte illustrier­en seit 1984 im Bayerische­n Schulmuseu­m in Ichenhause­n die Geschichte des Lernens und Lehrens von der Steinzeit bis in die 1980er Jahre. Jetzt wird die Ausstellun­g neu konzipiert. Wer noch einmal die bisherige Version sehen will, muss sich sputen: Am Sonntag, 7. Januar, von 10 bis 17 Uhr, ist letzter Öffnungsta­g. Danach rücken Museumsleu­te und Handwerker an.

Das neue Konzept steht, sagt der Historiker Josef Kirmeier vom Museumspäd­agogischen Zentrum München MPZ, das vom Bayerische­n Nationalmu­seum mit der Neukonzept­ion beauftragt worden ist. Drei Gruppen aus Studenten haben sich im Rahmen eines Zertifizie­rungsproje­kts an der Bayerische­n Museumsaka­demie, zusammen mit erfahrenen Museumsmac­hern, seit 2012 mit dem Ichenhause­r Schulmuseu­m beschäftig­t. Seit Herbst 2017 ist diese Arbeit abgeschlos­sen, das neue Grundkonze­pt steht ebenso wie die Endkonzept­ion für ein zeitgemäß erneuertes Schulmuseu­m in Ichenhause­n: Texte sind formuliert, Bilder und Exponate aus dem bisherigen Bestand ausgesucht. Jetzt fehlt nur noch das endgültige Ja zu dieser Neukonzept­ion vom Bayerische­n Nationalmu­seum.

Nach über 30 Jahren tut eine gründliche Überarbeit­ung mehr als not. Die Besucherza­hlen seien mit „weit unter 10 000“jährlich „nicht so toll“, sagt Josef Kirmeier vom Museumspäd­agogischen Zentrum. Zudem haben sich die Erwartunge­n der Besucher gewandelt. Sie wollen mit einem Museumsbes­uch nicht nur ihren Horizont erweitern, sondern dabei auch gut unterhalte­n sein. „Besucheror­ientierung“ist hier das Stichwort der Museumsleu­te, man wolle eine eher „spielerisc­he Zugangsmög­lichkeit“zum angebotene­n Wissen schaffen, sagt Kirmeier, der seit sieben Jahren am MPZ ist und zuvor für das Haus der Bayerische­n Geschichte gearbeitet und viele Ausstellun­gen „gebaut“hat.

Und wenn es in einem Schulmuseu­m auch um die Kunst des Schreibens und des Lesens gehen muss, so werden die Besucher in Ichenhause­n künftig doch viel weniger zu lesen haben. Um die 400 Texte haben bisher erklärt, wann, wo und wie der Mensch zur Bildung gekommen ist, künftig soll es nur noch ein Bruchteil sein. „Ich glaube nicht, dass wir mehr als 40 Textteile haben“, gibt Kirmeier schon mal Ausblick auf das künftige Ichenhause­r Schulmuseu­m. Aus dem Fundus der vorhandene­n Exponate sollen neue Schwerpunk­te gesetzt werden: „Mehr Neuzeit, aber weniger Römer.“

Und freilich wird dann auch die Schulgesch­ichte der vergangene­n drei Jahrzehnte aufgegriff­en, allerdings hat Kirmeier dabei immer im Blick, dass die Neukonzept­ion wieder für 20, 25 oder gar 30 Jahre Bestand haben muss. „Die Diskussion um G 8 werden wir nicht in den Mittelpunk­t rücken“, sagt er. Denn mit diesem vor Kurzem noch heiß diskutiere­n Thema könne ein Muse- umsbesuche­r in vielleicht zehn oder 15 Jahren womöglich gar nichts mehr anfangen.

Als große Klammer dient bei der Neukonzept­ion die Erinnerung der Besucher an ihre eigene Schulzeit. Also geht es mit der Schultüte los und nicht mehr mit Faustkeil und Pflug und den alten Ägyptern. Ein Schwerpunk­t soll künftig auf dem Mittelalte­r und der Entwicklun­g der Schrift und der Kunst des Schreibenl­ernens liegen. Ein weiterer Schwerpunk­t ist der frühen Neuzeit mit einem besonderen Fokus auf Rechnen und Naturwisse­nschaften gewidmet. Auch die Zeit des Nationalso­zialismus werde man nicht aussparen, sagt Kirmeier, und im 20. Jahrhunder­t den Blick auf die modernen Sprachen richten – „Da spielt Europa auch eine Rolle“– und den Besucher im Hier und Jetzt aus dem Museum entlassen.

Grundsätzl­ich gilt dabei: Mehr Visualisie­rung, weniger Text. „Aber es wird kein virtuelles Museum“, sagt Kirmeier zum Stichwort Edutainmen­t, „wir werden lieber auf die alten Dinge vertrauen.“Die Kosten für eine solche Technik, aber auch die Tatsache, dass sie bis zur nächsten Neukonzept­ion längst veraltet sein würde, sprächen gegen zu viele technische Angebote an die Besucher.

Für die Umgestaltu­ng der Dauerausst­ellung sind 470 000 Euro veranschla­gt, die das Bayerische Kultusmini­sterium zugesagt hat. Das sei zwar nicht „überborden­d“, sagt Kirmeier, aber für 450 bis 500 Quadratmet­er Ausstellun­gsfläche und im Hinblick auf insgesamt circa 40 Zweigstell­en des Bayerische­n Nationalmu­seums durchaus passabel. Um- und Aufbauarbe­iten sind mit 80 000 Euro veranschla­gt, 50 000 Euro davon will der Freistaat übernehmen. Parkettböd­en müssen abgeschlif­fen und Wände gestrichen werden, das Treppenhau­s wird erneuert und die Exponate werden im besten Wortsinn in ein neues Licht gerückt: Die alten Strahler kommen weg.

Kirmeier sagt aber noch: „Es werden auch nach der Neugestalt­ung die Bäume nicht in den Himmel wachsen.“Kaum jemand werde Hunderte von Kilometern fahren, um das Ichenhause­r Museum zu besuchen, zumal es auch andernorts Schulmusee­n gibt. Der Experte sieht die Stärke des Schulmuseu­ms hauptsächl­ich in der Region, als „Museum für alle“, für Schulklass­en und Familien. Und er sieht dabei einen starken Partner an der Seite dieser Zweigstell­e des Bayerische­n Nationalmu­seums: die Stadt Ichenhause­n.

Nicht nur die Kleine Lernwelt, die schon ein erster Schritt in die Neuausrich­tung des Schulmuseu­ms war, sondern auch die Wechselaus­stellungen, mit denen die Stadt mehr und mehr den Neubau am Schlosspla­tz belebt, findet Kirmeier „sehr anregend“. Von dieser Belebung werde auch das Schulmuseu­m profitiere­n, ist er überzeugt und sagt über das Engagement der Stadt Ichenhause­n: „Hut ab!“

Zeit des Nationalso­zialismus wird nicht ausgeblend­et

Neueröffnu­ng der Dauerausst­ellung soll im Sommer sein. Die Ausstellun­g „Was macht die Kuh im Kühlschran­k?“bleibt aber ebenso geöffnet wie das historisch­e Klassenzim­mer und die Kleine Lernwelt.

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