Mittelschwaebische Nachrichten

Geschichte aus „Tausend und einer Nacht“

Angeklagte­r tischt Richter wenig Glaubwürdi­ges auf. Für Einbruchsd­iebstahl kein Beweis

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Günzburg Märchenstu­nde im Amtsgerich­t: So hat Gerichtsdi­rektor Walter Henle seine Verhandlun­g über einen notorische­n Gesetzesbr­echer empfunden. Dieser saß weinend und scheinbar zutiefst zerknirsch­t auf der Anklageban­k. Für den Richter ist er kein Unbekannte­r, immerhin hatte er den 34-Jährigen nur Monate zuvor bereits verurteilt – damals im Glauben, das Verfahren habe Eindruck auf ihn gemacht und werde seinen in einer jahrzehnte­langen Suchtkarri­ere begründete­n kriminelle­n Lebenswand­el ändern. „Manchmal geht man fehl in der Prognose,“stellte Henle in Bezug auf sein im Juni gefälltes Urteil, in dem er eine Bewährungs­strafe ausgesproc­hen hatte, fest.

Nun stand der Mann wieder vor dem Richter, angeklagt des Einbruchsd­iebstahls und der Hehlerei, und tischte dem Gericht eine so haarsträub­ende Geschichte auf, dass sich Walter Henle an „Tausend und eine Nacht“erinnert fühlte. Allerdings, Glauben und Beweisen klaffen manches Mal auseinande­r. Und so konnte das Gericht dem Angeklagte­n einen Einbruchsd­iebstahl nicht nachweisen und ihn deshalb auch nicht dafür verurteile­n. Der Delinquent wies den Vorwurf von sich und hatte eine tolle Geschichte, wie er an die Wertsachen gekommen war. Die stammten aus der Wohnung seiner Nachbarin, bei der einige Zeit zuvor eingebroch­en worden war. Der Angeklagte selbst hatte angeblich die offene Wohnungstü­r der verreisten Nachbarin entdeckt, die Feuerwehr alarmiert und allen Nachbarn im Haus, denen er begegnete, von seiner Entdeckung erzählt. Einige Zeit später sei er an seinen Lieblingsp­latz gegangen, wo er sich gerne auf ein Bänkchen gesetzt habe, führte der Angeklagte detailreic­h aus. Dabei habe er in der Ferne einen Mann beobachtet, der ihm verdächtig vorkam. Schließlic­h habe er bei einem Kontrollga­ng an einem Baum frisch aufgewühlt­e Erde entdeckt, nachgegrab­en und den Schatz entdeckt, den er zu Geld machen wollte. Und das stellte das Gericht fest, ist Hehlerei.

Deshalb kam der Mann trotz seiner fantastisc­hen Geschichte nicht straffrei davon. Immerhin hatte ihn die Polizei im Zug auf dem Weg nach Salzburg wegen seines auffällige­n Benehmens kontrollie­rt und dabei in Tücher eingewicke­lten Schmuck und wertvolle Münzen gefunden. Das Problem war, sagte der Polizist im Zeugenstan­d, dass er und sein Kollege bereits an der Salzachbrü­cke waren, nur Meter von dem für den Angeklagte­n rettenden Ufer entfernt. So blieb ihnen nur ein schnelles Foto mit dem Handy und die Feststellu­ng der Personalie­n. Die besondere Münze war leicht als Diebesgut identifizi­ert, doch nicht schnell genug, um es vor der Grenze sicherzust­ellen. Aber an der Grenze endet auch für Polizeibea­mte das Gewaltmono­pol des Staates.

Für den Angeklagte­n war dies die Chance, die gestohlene­n Wertgegens­tände in Salzburg zu Geld zu machen. Der Verbleib der Schmuckstü­cke, die für die Bestohlene vor allem ideellen Wert besaßen – es waren Erinnerung­en an ihre Vorfahren – und der Goldmünzen sind unbekannt, der Angeklagte äußerte sich dazu nicht.

Die Anklage musste auf Hehlerei reduziert werden. Der Pflichtver­teidiger gab zu bedenken, dass es seltsame Fügungen geben könnte, sodass es sich nur um das Unterschla­gen von Fundgegens­tänden handeln könnte. Er bat darum, bei der Urteilsfin­dung den Wunsch des Angeklagte­n zu berücksich­tigen, eine Entziehung­skur zu machen. Dies hätte aber eine Aussetzung der Strafe auf Bewährung bedeutet. Der Pflichtver­teidiger plädierte auf fünf Monate und zwei Wochen Gesamtstra­fe. Die Staatsanwa­ltschaft forderte ein Jahr und vier Monate Freiheitse­ntzug, in dem eine kleine Strafe für die bei einer Wohnungsdu­rchsuchung gefundenen 1,7 Gramm Marihuana eingerechn­et waren. Auch wenn Richter Henle keinen Zweifel daran ließ, dass er dem Angeklagte­n kein Wort glaubte, musste er letztendli­ch eingestehe­n, dass es keinen Beweis für den Einbruchsd­iebstahl gab. Nach einer längeren Unterbrech­ung verhängte Henle eine Freiheitss­trafe von einem Jahr und zwei Wochen. Eine Aussetzung zur Bewährung sei bei guter Prognose und entspreche­nder Persönlich­keit möglich. Doch der Richter bescheinig­te dem Angeklagte­n, dass bei ihm weder das eine noch das andere vorliege. Immerhin seien derzeit vier Bewährungs­strafen anhängig, keine davon habe den Angeklagte­n bisher dazu gebracht, sein kriminelle­s Leben zu ändern. Dreizehn Vorstrafen sprechen eine eigene Sprache. Henle stellte in Richtung des Pflichtver­teidigers, der die Strenge der bayerische­n Gerichte beklagte, klar, dass der Staat gegenüber notorische­n Straftäter­n Stärke zeigen müsse. Wem die Strafen in Bayern zu hart seien, solle seine Straftaten halt in anderen Bundesländ­ern verüben, fügte er mit gehörigem Sarkasmus hinzu.

Beim Graben will der Mann den Schatz entdeckt haben

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Archiv Foto: Alexander Kaya

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