Mittelschwaebische Nachrichten
Von einem befristeten Vertrag zum nächsten
Die Vita wird immer länger, eine feste Anstellung gibt es nicht: Was macht das mit einem Menschen? Wie Arbeitsagentur und Arbeitgeber die Situation im Landkreis beurteilen und was sie den Jobsuchenden empfehlen
Günzburg Noch passt ihr Lebenslauf auf zwei DIN-A4-Seiten. Doch er wird länger und länger und zeigt: Oft war Claudia S. aus einem kleinen Ort bei Günzburg arbeitslos. Seit sie 2001 nach fünf Jahren Elternzeit in die Berufswelt zurückkehrte, hat die 50-Jährige mehr als ein Dutzend Jobs ausgeübt. Quer durch alle Branchen. Jedes Mal ein anderer Arbeitgeber. Alle Stellen befristet. Immer wieder ein anderer Kündigungsgrund – oder gar keiner. Dabei will die verheiratete Frau und Mutter zweier Kinder nur Eines: Arbeiten, „mein eigenes Geld verdienen und gefordert werden“.
Claudia S., gelernte Bürokauffrau, fühlt sich gestresst, unverstanden, ungerecht behandelt und erhebt Vorwürfe. Gegen die Arbeitsagentur, die Arbeitgeber und aufgrund der Rechtslage. Wie schätzen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter die Lage ein? Wie ist die Beschäftigungssituation im Landkreis? Und: Was machen ständig befristete Arbeitsverhältnisse und Kündigungen mit einem Menschen?
Vor Kurzem hat S., die ihren ganzen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, ihre erste fristlose Kündigung erhalten. Sie sei fassungslos gewesen. „Das hat mir so weh getan“, sagt sie. „Ich kam mir vor wie der Depp vor Familie und Freunden. Die haben schon nur noch gegrinst.“Eine Bekannte habe zu ihr gesagt: „Die wechselt ihre Jobs wie andere ihre Unterhosen.“Sie spüre Druck aus ihrem Umfeld, sagt sie. Ein Job sei so hart gewesen, dass er ihr auf den Magen schlug. Man werde unsicher, frustriert.
Doch sie habe immer ihr Bestes gegeben, auch wenn sie sich als ein „bisschen chaotisch“beschreibt. Aber keiner sei perfekt. Ein Arbeitgeber habe ihr auf die Frage, warum ihr gekündigt worden sei, geantwortet: „Ja, überlegen Sie mal selber.“Die meisten kündigten ihr jedoch in der Probezeit. Denn das ist ohne die Angabe von Gründen möglich. So ist es auch schwierig, die Situation der Mutter im Nachhinein nachzuvollziehen.
Ein Problem sieht die 50-Jährige darin, dass die Arbeitsagentur ihr immer wieder Stellen vermittle bei Firmen, in denen ohnehin vielen gekündigt werde. Oder Stellen, bei denen bekannt sei, dass das Unternehmen bald schließe, wie das Kaufhaus Paul in Dillingen. Und sie habe viel Pech gehabt, zum Beispiel bei Schlecker gearbeitet und im Urlaub von der Filialschließung erfahren.
Ingeborg Großkopf, die Pressesprecherin der Agentur für Arbeit Donauwörth, die auch für Günzburg zuständig ist, sagt: „Jeder Tag, an dem man arbeiten kann, ist besser als nicht zu arbeiten.“Wenn ein Arbeitgeber für vier Monate jemanden suche oder auch nur für vier Wochen Inventur, dann werde so eine Stelle vermittelt. Das sei heute normal, „das ist eigentlich die Flexibilität der Arbeitswelt“. Bei der
Vermittlung gehe es um sozialversicherungspflichtige Stellen und das treffe auf befristete wie unbefristete zu. Ein Arbeitsloser, der für die vorgeschlagene Stelle geeignet sei, müsse bereit sein, sie auch anzunehmen.
Daran hakt es nicht bei Claudia S. Wählerisch sei sie nicht mehr, sagt sie. Ein Chef habe ihr aber nach dem Probearbeiten gesagt: „Mit dem Lebenslauf stellen wir Sie nicht ein.“Doch was tun, wenn der Lebenslauf ungewollt um immer mehr Jobs wächst? Für S. ein Teufelskreis. Für Großkopf ein Zeichen von Willen. Ein langer Lebenslauf zeige, „dass man flexibel ist und viel Erfahrung mitbringt“. Dass man bereit sei, sich in neue Bereiche einzuarbeiten. „Es
ist immer noch besser, viele Stellen im Lebenslauf zu sehen, als langzeitarbeitslos zu sein“, findet sie. „Und so beraten wir auch die Leute.“Es gebe eigens eine Wiedereinstiegsberaterin bei der Arbeitsagentur und zahlreiche kostenlose Weiterbildungsangebote. Einige davon hat Claudia S. sogar absolviert. Geholfen hat es nicht. Sie wünsche sich, dass die Arbeitsagentur „sich vielleicht auch mit einem durchkämpft vor Gericht“, wenn man eine Kündigung in der Probezeit anzweifele. Doch Großkopf sagt, die Arbeitsagentur müsse hier Neutralität wahren. Der Arbeitgeber sei schließlich genauso Beitragszahler.
Axel Egermann ist Arbeitgeber. Er ist der Geschäftsführer der Regionalmarketing Günzburg. Sein Team sei gerade voll besetzt, alle unbefristet. Doch wenn ein Sachgrund vorliege – eine offene Stelle, die einer Förderung unterliegt – stellten sie für die Dauer des Projektes ein, oft Berufsanfänger. „Sachgrundbefristet“nenne sich das und gehe zum Beispiel über drei Jahre. Doch er könne danach nicht jeden übernehmen. Ähnliches gelte für die Elternzeitvertretung. Alle Vertretungen danach einstellen? „Wer soll das zahlen?“, fragt Egermann. Er sieht in der Befristung aber auch Chancen – für Berufseinsteiger, weil sie danach etwas anderes ausprobieren könnten und für den Arbeitgeber, weil der Vertrag einfach auslaufe, sollte er nicht zufrieden sein.
Gegen Befristungen nach sachlichem Grund hat Helga SpringerGloning, Verdi-Ortsvereinschefin in Günzburg, nichts. „Wo wir dagegen sind, ist das Teilzeitbefristungsgesetz“, sagt sie. Das sei „unsozial“und „wirklich übel“. In der Privatwirtschaft sei es leider üblich, auf ein Jahr und nochmals auf ein Jahr zu befristen. Vor allem junge Menschen bräuchten eine Absicherung. Wie solle man so ein Haus bauen oder ein Auto kaufen. Die Probezeit einer normalen Anstellung – sechs Monate nach Tarifvertrag – sei völlig ausreichend, um die Eignung eines Mitarbeiters zu beurteilen.
Solche Probleme kennt die Geschäftsführerin der Kreishandwerkerschaft Günzburg/Neu-Ulm, Ulrike Ufken, nicht. „Bei uns ist generell das Problem, dass wir überhaupt keine Leute bekommen.“Ihr sei nichts bekannt von befristeten Arbeitsverträgen. Doch sie könne sich schon vorstellen, dass jeder Arbeitgeber, „der nicht weiß, was er sich kauft, erst mal befristet anstellt“. Wer unter befristeten Arbeitsverträgen leide, dem suche sie gerne eine Festanstellung im Handwerk, sagt Ufken und lacht.
„Die wechselt ihre Jobs wie andere ihre Unterhosen.“Eine Bekannte über Claudia S.