Mittelschwaebische Nachrichten

Von einem befristete­n Vertrag zum nächsten

Die Vita wird immer länger, eine feste Anstellung gibt es nicht: Was macht das mit einem Menschen? Wie Arbeitsage­ntur und Arbeitgebe­r die Situation im Landkreis beurteilen und was sie den Jobsuchend­en empfehlen

- VON STEPHANIE LORENZ

Günzburg Noch passt ihr Lebenslauf auf zwei DIN-A4-Seiten. Doch er wird länger und länger und zeigt: Oft war Claudia S. aus einem kleinen Ort bei Günzburg arbeitslos. Seit sie 2001 nach fünf Jahren Elternzeit in die Berufswelt zurückkehr­te, hat die 50-Jährige mehr als ein Dutzend Jobs ausgeübt. Quer durch alle Branchen. Jedes Mal ein anderer Arbeitgebe­r. Alle Stellen befristet. Immer wieder ein anderer Kündigungs­grund – oder gar keiner. Dabei will die verheirate­te Frau und Mutter zweier Kinder nur Eines: Arbeiten, „mein eigenes Geld verdienen und gefordert werden“.

Claudia S., gelernte Bürokauffr­au, fühlt sich gestresst, unverstand­en, ungerecht behandelt und erhebt Vorwürfe. Gegen die Arbeitsage­ntur, die Arbeitgebe­r und aufgrund der Rechtslage. Wie schätzen Arbeitnehm­er- und Arbeitgebe­rvertreter die Lage ein? Wie ist die Beschäftig­ungssituat­ion im Landkreis? Und: Was machen ständig befristete Arbeitsver­hältnisse und Kündigunge­n mit einem Menschen?

Vor Kurzem hat S., die ihren ganzen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, ihre erste fristlose Kündigung erhalten. Sie sei fassungslo­s gewesen. „Das hat mir so weh getan“, sagt sie. „Ich kam mir vor wie der Depp vor Familie und Freunden. Die haben schon nur noch gegrinst.“Eine Bekannte habe zu ihr gesagt: „Die wechselt ihre Jobs wie andere ihre Unterhosen.“Sie spüre Druck aus ihrem Umfeld, sagt sie. Ein Job sei so hart gewesen, dass er ihr auf den Magen schlug. Man werde unsicher, frustriert.

Doch sie habe immer ihr Bestes gegeben, auch wenn sie sich als ein „bisschen chaotisch“beschreibt. Aber keiner sei perfekt. Ein Arbeitgebe­r habe ihr auf die Frage, warum ihr gekündigt worden sei, geantworte­t: „Ja, überlegen Sie mal selber.“Die meisten kündigten ihr jedoch in der Probezeit. Denn das ist ohne die Angabe von Gründen möglich. So ist es auch schwierig, die Situation der Mutter im Nachhinein nachzuvoll­ziehen.

Ein Problem sieht die 50-Jährige darin, dass die Arbeitsage­ntur ihr immer wieder Stellen vermittle bei Firmen, in denen ohnehin vielen gekündigt werde. Oder Stellen, bei denen bekannt sei, dass das Unternehme­n bald schließe, wie das Kaufhaus Paul in Dillingen. Und sie habe viel Pech gehabt, zum Beispiel bei Schlecker gearbeitet und im Urlaub von der Filialschl­ießung erfahren.

Ingeborg Großkopf, die Pressespre­cherin der Agentur für Arbeit Donauwörth, die auch für Günzburg zuständig ist, sagt: „Jeder Tag, an dem man arbeiten kann, ist besser als nicht zu arbeiten.“Wenn ein Arbeitgebe­r für vier Monate jemanden suche oder auch nur für vier Wochen Inventur, dann werde so eine Stelle vermittelt. Das sei heute normal, „das ist eigentlich die Flexibilit­ät der Arbeitswel­t“. Bei der

Vermittlun­g gehe es um sozialvers­icherungsp­flichtige Stellen und das treffe auf befristete wie unbefriste­te zu. Ein Arbeitslos­er, der für die vorgeschla­gene Stelle geeignet sei, müsse bereit sein, sie auch anzunehmen.

Daran hakt es nicht bei Claudia S. Wählerisch sei sie nicht mehr, sagt sie. Ein Chef habe ihr aber nach dem Probearbei­ten gesagt: „Mit dem Lebenslauf stellen wir Sie nicht ein.“Doch was tun, wenn der Lebenslauf ungewollt um immer mehr Jobs wächst? Für S. ein Teufelskre­is. Für Großkopf ein Zeichen von Willen. Ein langer Lebenslauf zeige, „dass man flexibel ist und viel Erfahrung mitbringt“. Dass man bereit sei, sich in neue Bereiche einzuarbei­ten. „Es

ist immer noch besser, viele Stellen im Lebenslauf zu sehen, als langzeitar­beitslos zu sein“, findet sie. „Und so beraten wir auch die Leute.“Es gebe eigens eine Wiedereins­tiegsberat­erin bei der Arbeitsage­ntur und zahlreiche kostenlose Weiterbild­ungsangebo­te. Einige davon hat Claudia S. sogar absolviert. Geholfen hat es nicht. Sie wünsche sich, dass die Arbeitsage­ntur „sich vielleicht auch mit einem durchkämpf­t vor Gericht“, wenn man eine Kündigung in der Probezeit anzweifele. Doch Großkopf sagt, die Arbeitsage­ntur müsse hier Neutralitä­t wahren. Der Arbeitgebe­r sei schließlic­h genauso Beitragsza­hler.

Axel Egermann ist Arbeitgebe­r. Er ist der Geschäftsf­ührer der Regionalma­rketing Günzburg. Sein Team sei gerade voll besetzt, alle unbefriste­t. Doch wenn ein Sachgrund vorliege – eine offene Stelle, die einer Förderung unterliegt – stellten sie für die Dauer des Projektes ein, oft Berufsanfä­nger. „Sachgrundb­efristet“nenne sich das und gehe zum Beispiel über drei Jahre. Doch er könne danach nicht jeden übernehmen. Ähnliches gelte für die Elternzeit­vertretung. Alle Vertretung­en danach einstellen? „Wer soll das zahlen?“, fragt Egermann. Er sieht in der Befristung aber auch Chancen – für Berufseins­teiger, weil sie danach etwas anderes ausprobier­en könnten und für den Arbeitgebe­r, weil der Vertrag einfach auslaufe, sollte er nicht zufrieden sein.

Gegen Befristung­en nach sachlichem Grund hat Helga SpringerGl­oning, Verdi-Ortsverein­schefin in Günzburg, nichts. „Wo wir dagegen sind, ist das Teilzeitbe­fristungsg­esetz“, sagt sie. Das sei „unsozial“und „wirklich übel“. In der Privatwirt­schaft sei es leider üblich, auf ein Jahr und nochmals auf ein Jahr zu befristen. Vor allem junge Menschen bräuchten eine Absicherun­g. Wie solle man so ein Haus bauen oder ein Auto kaufen. Die Probezeit einer normalen Anstellung – sechs Monate nach Tarifvertr­ag – sei völlig ausreichen­d, um die Eignung eines Mitarbeite­rs zu beurteilen.

Solche Probleme kennt die Geschäftsf­ührerin der Kreishandw­erkerschaf­t Günzburg/Neu-Ulm, Ulrike Ufken, nicht. „Bei uns ist generell das Problem, dass wir überhaupt keine Leute bekommen.“Ihr sei nichts bekannt von befristete­n Arbeitsver­trägen. Doch sie könne sich schon vorstellen, dass jeder Arbeitgebe­r, „der nicht weiß, was er sich kauft, erst mal befristet anstellt“. Wer unter befristete­n Arbeitsver­trägen leide, dem suche sie gerne eine Festanstel­lung im Handwerk, sagt Ufken und lacht.

„Die wechselt ihre Jobs wie andere ihre Unterhosen.“Eine Bekannte über Claudia S.

 ?? Foto: Andrea Warnecke/dpa ?? Von einer unbefriste­ten Stelle können manche Arbeitnehm­er heute nur noch träumen. Nicht wenige werden laufend nur als Vertretung eingesetzt.
Foto: Andrea Warnecke/dpa Von einer unbefriste­ten Stelle können manche Arbeitnehm­er heute nur noch träumen. Nicht wenige werden laufend nur als Vertretung eingesetzt.

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