Mittelschwaebische Nachrichten

Was Menschen einsam macht

Klaus Bucher über die Ursachen des Allein-Seins und wie er damit umgeht

- Interview: Peter Bauer

Warum fühlen Sich so viele Menschen einsam? Klaus Bucher: Vom Tod des Partners oder der gescheiter­ten Ehe bis hin zu Gehemmthei­ten im Umgang mit anderen Menschen wie Misstrauen oder Vorurteile­n sehe ich viele Gründe, die Menschen in die Einsamkeit treiben. Fernseher halten die Menschen daheim und selbst Social Media kann sehr unsozial machen. Mich rührt immer wieder an, wenn Menschen alles Mögliche auf Facebook posten, wo ich manchmal den Eindruck habe, dass das nur ein Schrei nach Beachtung ist. Die Menschengr­uppe im Kaffee, wo jeder auf das Smartphone starrt, statt mit dem Gegenüber zu sprechen, ist ein trauriges Bild. Manche Menschen sind beruflich so eingespann­t, dass sie nicht mehr die Kraft haben, sich abends irgendwo einzubring­en. Schon Gymnasiast­en sind so gefordert, dass der Nachmittag mit Schule und Lernen zu ist. Die Single-Gesellscha­ft mit ihrer Bindungsun­fähigkeit tut das ihre und erst recht die veränderte­n Familienst­rukturen.

In Deutschlan­d werden sich vermutlich ähnlich viele Menschen einsam fühlen wie in Großbritan­nien. Was halten Sie von der Idee, ein Ministeriu­m für Einsamkeit einzuricht­en? Bucher: Das hört sich für mich doch sehr nach George Orwell an. Wer „1984“kennt, kennt auch das „Ministeriu­m für Liebe“oder das „Ministeriu­m für Wahrheit“in Ozeanien. Ein Einsamkeit­sminister würde da noch ins Bild passen. Aber wenn schon kommerziel­le Einsamkeit­sbekämpfer wie Single-Börsen oder Facebook und Co. das Problem nicht lösen, wird es auch der politisch verordnete Gemeinscha­ftstag nicht schaffen. Ich wüsste nicht, wo so ein Ministeriu­m einhaken könnte. Da liegt es sicher zuerst an jedem selber.

Was kann der Einzelne selbst gegen das Gefühl der Einsamkeit tun? Bucher: Es ist ein Glück, Freunde zu haben. Aber man muss Freundscha­ften pflegen. Oder selber initiativ werden, um alte Bekannte nicht aus den Augen zu verlieren und neue zu finden. Ein gutes Hobby kann mich mit anderen zusammen bringen. Vereine leben von Menschen, die sich einsetzen. Unsere Pfarrgemei­nden brauchen Menschen, die bereit sind, über den eigenen Gartenzaun hinaus Verantwort­ung zu übernehmen. Im Dorf war der Sonntagsgo­ttesdienst über Jahrhunder­te der Treffpunkt für alle. Die Mehrheit bleibt inzwischen daheim oder fördert ihre individuel­le Freizeitge­staltung. Warum nicht in den Pfarrgemei­nderat? Warum nicht Aufgaben übernehmen, die mir liegen? Warum nicht meine Talente anderen schenken? Warum nicht kulturelle Angebote schaffen oder wahrnehmen? Warum nicht Menschen besuchen oder einladen, denen es guttun könnte? ... Aber klar, man muss selber die Dinge in die Hand nehmen oder die Hände, die sich einem entgegenst­recken, auch annehmen.

Was tun Sie selbst, wenn Sie sich einsam fühlen? Bucher: Im Evangelium lese ich immer wieder, dass Jesus die Einsamkeit sucht, weil er gerade dann Gottes Kraft am stärksten spürt. Ich kenne bei mir diese starke, schöpferis­che Seite des Allein-Seins. Aber ich kenne schon auch die zermürbend­e Einsamkeit, gerade nach Festen oder auch bei Ärger und Angriffen. Einsamkeit gehört heute sicher mehr zum Berufsrisi­ko des Priesters als früher. Den „alten“Pfarrhof mit Haushälter­in, Kaplan und vielem anderen gibt es kaum noch. Es kann Gift werden, wenn nach zwei Christmett­en eine leere Wohnung auf einen wartet. Ich bin immer tiefer der Überzeugun­g, dass unsere Bistümer aufhören müssen, Priester einfach flächendec­kend alleine zu verteilen und ihnen immer größere Gebiete aufzulaste­n, nur damit Strukturen erhalten werden, die doch eigentlich längst morsch geworden sind. Wir müssen hin zu Zentren, wo mehrere Priester zusammen arbeiten, beten, leben und einander stützen. Das wäre sicher entlastend für viele Priester und einladend für Menschen, die die Kirche in ihrer Vielfalt erleben könnten. Natürlich kann auch das kein „Ministeriu­m“oder Ordinariat einfach verordnen, aber doch die Voraussetz­ungen schaffen, dass neue Formen möglich sind. Vor allem sollten gerade Priester entspreche­nd ihren Fähigkeite­n eingesetzt sein und nicht vor allem nach vermeintli­chen Notwendigk­eiten oder persönlich­en Drähten. Ich selber habe Gott sei Dank auch in meinen Pfarreien Menschen, die mich auch als Mensch tragen und ein paar Freunde, mit denen ich Freizeit verbringen kann. Und mir ist es wichtiger, solche Kontakte zu halten und zu stärken, als überall, wo es vielleicht erwartet wird, präsent zu sein. Von daher fühle ich mich, glaube ich, nicht einsamer als andere. Und wenn die Einsamkeit drückt, geh ich, wenns geht raus: Ein Rosenkranz an der frischen Luft hat mir schon öfter aus dem Loch geholfen. Wie sagte Papst Benedikt XVI. so treffend?: „Wer glaubt, ist nie allein!“

 ?? Symbolfoto: Ingo Wagner, dpa ?? Vor allem im Alter kämpfen in Deutschlan­d viele Menschen mit der Einsamkeit. Auch für Priester kann das Allein Sein Gift werden.
Symbolfoto: Ingo Wagner, dpa Vor allem im Alter kämpfen in Deutschlan­d viele Menschen mit der Einsamkeit. Auch für Priester kann das Allein Sein Gift werden.

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