Mittelschwaebische Nachrichten
Was Menschen einsam macht
Klaus Bucher über die Ursachen des Allein-Seins und wie er damit umgeht
Warum fühlen Sich so viele Menschen einsam? Klaus Bucher: Vom Tod des Partners oder der gescheiterten Ehe bis hin zu Gehemmtheiten im Umgang mit anderen Menschen wie Misstrauen oder Vorurteilen sehe ich viele Gründe, die Menschen in die Einsamkeit treiben. Fernseher halten die Menschen daheim und selbst Social Media kann sehr unsozial machen. Mich rührt immer wieder an, wenn Menschen alles Mögliche auf Facebook posten, wo ich manchmal den Eindruck habe, dass das nur ein Schrei nach Beachtung ist. Die Menschengruppe im Kaffee, wo jeder auf das Smartphone starrt, statt mit dem Gegenüber zu sprechen, ist ein trauriges Bild. Manche Menschen sind beruflich so eingespannt, dass sie nicht mehr die Kraft haben, sich abends irgendwo einzubringen. Schon Gymnasiasten sind so gefordert, dass der Nachmittag mit Schule und Lernen zu ist. Die Single-Gesellschaft mit ihrer Bindungsunfähigkeit tut das ihre und erst recht die veränderten Familienstrukturen.
In Deutschland werden sich vermutlich ähnlich viele Menschen einsam fühlen wie in Großbritannien. Was halten Sie von der Idee, ein Ministerium für Einsamkeit einzurichten? Bucher: Das hört sich für mich doch sehr nach George Orwell an. Wer „1984“kennt, kennt auch das „Ministerium für Liebe“oder das „Ministerium für Wahrheit“in Ozeanien. Ein Einsamkeitsminister würde da noch ins Bild passen. Aber wenn schon kommerzielle Einsamkeitsbekämpfer wie Single-Börsen oder Facebook und Co. das Problem nicht lösen, wird es auch der politisch verordnete Gemeinschaftstag nicht schaffen. Ich wüsste nicht, wo so ein Ministerium einhaken könnte. Da liegt es sicher zuerst an jedem selber.
Was kann der Einzelne selbst gegen das Gefühl der Einsamkeit tun? Bucher: Es ist ein Glück, Freunde zu haben. Aber man muss Freundschaften pflegen. Oder selber initiativ werden, um alte Bekannte nicht aus den Augen zu verlieren und neue zu finden. Ein gutes Hobby kann mich mit anderen zusammen bringen. Vereine leben von Menschen, die sich einsetzen. Unsere Pfarrgemeinden brauchen Menschen, die bereit sind, über den eigenen Gartenzaun hinaus Verantwortung zu übernehmen. Im Dorf war der Sonntagsgottesdienst über Jahrhunderte der Treffpunkt für alle. Die Mehrheit bleibt inzwischen daheim oder fördert ihre individuelle Freizeitgestaltung. Warum nicht in den Pfarrgemeinderat? Warum nicht Aufgaben übernehmen, die mir liegen? Warum nicht meine Talente anderen schenken? Warum nicht kulturelle Angebote schaffen oder wahrnehmen? Warum nicht Menschen besuchen oder einladen, denen es guttun könnte? ... Aber klar, man muss selber die Dinge in die Hand nehmen oder die Hände, die sich einem entgegenstrecken, auch annehmen.
Was tun Sie selbst, wenn Sie sich einsam fühlen? Bucher: Im Evangelium lese ich immer wieder, dass Jesus die Einsamkeit sucht, weil er gerade dann Gottes Kraft am stärksten spürt. Ich kenne bei mir diese starke, schöpferische Seite des Allein-Seins. Aber ich kenne schon auch die zermürbende Einsamkeit, gerade nach Festen oder auch bei Ärger und Angriffen. Einsamkeit gehört heute sicher mehr zum Berufsrisiko des Priesters als früher. Den „alten“Pfarrhof mit Haushälterin, Kaplan und vielem anderen gibt es kaum noch. Es kann Gift werden, wenn nach zwei Christmetten eine leere Wohnung auf einen wartet. Ich bin immer tiefer der Überzeugung, dass unsere Bistümer aufhören müssen, Priester einfach flächendeckend alleine zu verteilen und ihnen immer größere Gebiete aufzulasten, nur damit Strukturen erhalten werden, die doch eigentlich längst morsch geworden sind. Wir müssen hin zu Zentren, wo mehrere Priester zusammen arbeiten, beten, leben und einander stützen. Das wäre sicher entlastend für viele Priester und einladend für Menschen, die die Kirche in ihrer Vielfalt erleben könnten. Natürlich kann auch das kein „Ministerium“oder Ordinariat einfach verordnen, aber doch die Voraussetzungen schaffen, dass neue Formen möglich sind. Vor allem sollten gerade Priester entsprechend ihren Fähigkeiten eingesetzt sein und nicht vor allem nach vermeintlichen Notwendigkeiten oder persönlichen Drähten. Ich selber habe Gott sei Dank auch in meinen Pfarreien Menschen, die mich auch als Mensch tragen und ein paar Freunde, mit denen ich Freizeit verbringen kann. Und mir ist es wichtiger, solche Kontakte zu halten und zu stärken, als überall, wo es vielleicht erwartet wird, präsent zu sein. Von daher fühle ich mich, glaube ich, nicht einsamer als andere. Und wenn die Einsamkeit drückt, geh ich, wenns geht raus: Ein Rosenkranz an der frischen Luft hat mir schon öfter aus dem Loch geholfen. Wie sagte Papst Benedikt XVI. so treffend?: „Wer glaubt, ist nie allein!“