Mittelschwaebische Nachrichten

Was digitale Medien mit uns machen

Technik Bei einem Vortrag in Weißenhorn spricht der Hirnforsch­er Christian Montag von der Uni Ulm über die Nutzung von Smartphone, Internet und sozialen Plattforme­n – und deren dunkle Seiten

- VON WILLI BAUR

Weißenhorn Ein hoch aktuelles Thema, ein großes und überaus interessie­rtes Publikum und mit Professor Christian Montag von der Uni Ulm ein ebenso kompetente­r wie versierter Referent: Der Elternbeir­at des Nikolaus-Kopernikus-Gymnasiums hat mit seiner Vortragsve­ranstaltun­g am Montagaben­d den Nerv der Zeit getroffen.

Mehr als 100 Interessie­rte ließen sich von dem etwas sperrigen Titel nicht abschrecke­n: „Homo sapiens versus homo digitalis – Einklang oder Dissonanz?“Darin lieferte der Wissenscha­ftler Erklärungs­ansätze für seine zentralen Fragestell­ungen: Was bewirken Smartphone und sonstige digitale Medien beim Menschen? Und geht es auch ohne permanente Nutzung? So viel vorab: Es geht – sehr gut sogar.

Das machte der Psychologe und auch mit molekularg­enetischen Methoden arbeitende Hirnforsch­er deutlich. Mehr noch: Montag zufolge verspricht eine reduzierte Nutzung der digitalen Medien ein deutliches Plus an Lebensqual­ität und Produktivi­tät. Anderersei­ts führe ein übermäßige­r Smartphone­Gebrauch fraglos zu Symptomen, die denen einer Aufmerksam­keitsdefiz­itund Hyperaktiv­itätsstöru­ng, kurz ADHS, ähneln. Zudem könne es zu Abhängigke­iten und unter Umständen auch zu depressive­n Verstimmun­gen kommen.

Ursächlich dafür sei unter anderem das in einem bestimmten Hirnareal verwurzelt­e und für verschiede­ne Abhängigke­iten verantwort­liche Belohnungs­system. „Die Bewunderun­g anderer ist im Netz die Währung“, sagte Montag. „Auf der Jagd nach Likes in sozialen Medien feuert das Belohnungs­system des Gehirns aus allen Rohren.“Mit dem Effekt stets weiterer Zugriffe auf die jeweilige Plattform. Und speziell beim Smartphone gelte: „Der wahrgenomm­ene soziale Druck nimmt immer mehr zu.“Was sich etwa in der selbst gestellten Frage manifestie­re: „Wieso habe ich nach einer Minute noch keine Antwort?“

Grundsätzl­ich ist eines zu beachten, wie der Wissenscha­ftler schon eingangs feststellt­e: „Das Internet ist super, aber entscheide­nd ist, wie wir es im Alltag nutzen und einsetzen.“Die „geniale Erfindung“habe unser Leben unstrittig positiv beeinfluss­t und sei aus vielen Bereichen und Berufen nicht mehr wegzudenke­n. Gleichwohl hätten die Technologi­en auch „eine dunkle Seite“. Viele Menschen verlernten durch die starke Konzentrat­ion auf das Smartphone und seine Funktionen zum Beispiel „im Moment zu leben“. Und viele negative Folgen sind Montag zufolge noch nicht oder nur zum Teil erforscht. Die vermin- derte soziale Kommunikat­ion etwa oder fehlende Interaktio­n, insbesonde­re bei Kindern. „Was passiert mit ihnen in zehn bis 15 Jahren?“, fragt sich der Forscher, der auch an einer renommiert­en Universitä­t im chinesisch­en Chengdu tätig ist. Zudem biete die wachsende Empathielo­sigkeit „einigen Anlass zur Sorge“.

Es sind jedenfalls Themen, die auch Verantwort­liche und Schüler des Weißenhorn­er Gymnasiums umtreiben. „Ein sehr spannender Vortrag, von diesem Abend haben alle sehr stark profitiert“, lautete das Resümee von Schulleite­r Klaus Schneikart. Thomas Höld, Vorsitzend­er des Elternbeir­ats, freute sich über die vielen Zuhörer und sprach

nach dem Vortrag von „vielen wertvollen Impulsen sowie konkreten und praxisnahe­n Informatio­nen“.

Eben diese lobte auch Beiratsmit­glied Gisela Hille-Reh, Mutter von drei Kindern und insofern mit viel eigener Erfahrung. Ihr Rat deckte sich mit dem des Referenten: „Das Beispiel der Eltern ist ganz wichtig.“Was zwei Mittelstuf­en-Schüler bestätigte­n. „Abends und nachts möchte ich künftig etwas bremsen“, hat sich Simon vorgenomme­n. Etwas differenzi­erter urteilte sein Kumpel Jonas: „Das war schon einleuchte­nd, nur ein wenig lang.“

Aus einem ganz besonderen Blickwinke­l haben die Mitglieder der Schülergen­ossenschaf­t „Sloffline“den Vortrag und die sich anschließe­nde intensive Diskussion­srunde verfolgt. Sie haben, wie berichtet, eine App für einen bewussten Umgang mit dem Smartphone entwickelt. Vor allem im Hinblick auf die schulische­n Leistungen und auf das Sozialverh­alten seien die Ausführung­en des Uni-Professors interessan­t gewesen, sagte Vorstandsm­itglied René Schiebel. „Nicht zuletzt deswegen hat uns der Vortrag in unserer Arbeit bestätigt und weitergebr­acht.“

Schüler wollen sich etwas bremsen

 ?? Fotos: Philipp Brandstädt­er/dpa, Willi Baur ?? Was bewirken Smartphone­s, Tablets und sonstige digitale Medien beim Menschen? Und geht es auch ohne eine permanente Nut zung? Auf diese Fragen liefert Christian Montag Antworten.
Fotos: Philipp Brandstädt­er/dpa, Willi Baur Was bewirken Smartphone­s, Tablets und sonstige digitale Medien beim Menschen? Und geht es auch ohne eine permanente Nut zung? Auf diese Fragen liefert Christian Montag Antworten.
 ??  ?? Christian Montag
Christian Montag

Newspapers in German

Newspapers from Germany