Mittelschwaebische Nachrichten

Der Fehlstart der Andrea Nahles

Die Fraktionsc­hefin will als erste Frau Vorsitzend­e der Sozialdemo­kraten werden. Doch es gibt Stimmen, die ihr eine Mitschuld am desaströse­n Erscheinun­gsbild der Partei geben

- Welt am Sonntag Bild am Sonntag: Georg Ismar, dpa

Berlin Er hat Berlin erst mal verlassen und wird vielleicht nie wieder oben im kleinen Kämmerlein des SPD-Vorsitzend­en im WillyBrand­t-Haus nächtigen. Martin Schulz hat gekämpft wie ein Löwe für eine rote Handschrif­t im Koalitions­vertrag mit der Union. Der SPD-Chef wollte als Außenminis­ter und Vizekanzle­r der Koalition den Stempel aufdrücken. Demnächst ist er nur noch einfacher Abgeordnet­er.

In ihren 155 Jahren hat die älteste Partei Deutschlan­ds wenige so desaströse Wochen erlebt. Schulz schweigt am Wochenende. Dafür meldet sich seine Schwester Doris Harst via zu Wort, wettert gegen die „Schlangeng­rube Berlin“. „Andrea Nahles, Olaf Scholz und andere machen ihn zum Sündenbock für alles.“

Womöglich wird Schulz nun nicht erst nach dem SPD-Mitglieder­votum über die Große Koalition den Vorsitz an Andrea Nahles abgeben, sondern bereits am Dienstag. Eigentlich wollten Nahles und Schulz gemeinsam auf sieben Regionalko­nferenzen für ein Ja zur GroKo werben. Auch das steht nun zur Dispositio­n. So wie es gerade drunter und drüber geht, fragt sich so mancher, ob der Partei nicht die von Helmut Schmidt gepredigte­n Sekundärtu­genden wie Pflichtgef­ühl, Berechenba­rkeit und Disziplin gut- tun würden. Statt mit stolzer Brust ob der Verbesseru­ngen bei Pflege, Rente und Bildung, dem Erringen von Finanz-, Außen- und Arbeitsmin­isterium sowie drei weiterer Ressorts bei den 463 000 Mitglieder­n um eine Zustimmung zum Koalitions­vertrag mit CDU/CSU zu werben, herrscht Schockstar­re.

Da ist zunächst der grandios gescheiter­te Plan des Martin Schulz. Der sah so aus: Er gibt wegen der Debatten um seine Person und des Umfrageabs­turzes auf 17 Prozent den Vorsitz nach nur knapp einem Jahr wieder ab, darf sich aber den Traum vom Außenminis­terium erfüllen. Scheinbar noch unwissend, welchen Proteststu­rm der Außenminis­terplan an der Basis auslösen würde, sagte er am Donnerstag der

„Wir sind kein Nonnenklos­ter, aber wie die Union miteinande­r umgeht, da kann man schon Mitleid bekommen.“Mitleid haben nun viele mit Schulz. Denn kurz danach kam via Medien der Frontalang­riff des amtierende­n Außenminis­ters Sigmar Gabriel, einst waren beide Freunde – jetzt fühlte der sich herausgemo­bbt.

Am Freitag erklärte Schulz schriftlic­h den Ministerve­rzicht, vor allem aus seinem Landesverb­and Nordrhein-Westfalen gab es enormen Widerstand; die Rochade drohte das Mitglieder­votum akut zu ge- fährden. Geht die am 20. Februar startende Abstimmung schief und kommt es zur Neuwahl, muss die SPD um ihre Existenz fürchten. Außerdem wird das Hin und Her allmählich teuer: Ein Parteitag im Dezember, ein Sonderpart­eitag, der Koalitions­verhandlun­gen erlaubte, im Januar. Nun der Mitglieder­entscheid. Im Mai erneut ein Sonderpart­eitag, der Nahles zur SPD-Chefin wählen soll. All das kann bis zu fünf Millionen Euro kosten.

Der steile Aufstieg und tiefe Fall des Martin Schulz ist Stoff fürs Theater, Stilform: Drama. Nahles und ihr neuer starker Partner Olaf Scholz, der Vizekanzle­r und Finanzmini­ster werden soll, müssen sich aber fragen lassen, welche Rolle sie beim Schulz-Plan gespielt haben. Sie unterstütz­ten ja die Idee, dass Schulz nach dem Außenminis­terium greift und Sigmar Gabriel, den beliebtest­en SPD-Politiker, ausbootet.

Dieser machte aus seinem Herzen keine Mördergrub­e – und nahm sich damit wohl endgültig selbst aus dem Spiel. Vor allem das Instrument­alisieren seiner Tochter wird ihm in der Partei als Boshaftigk­eit ausgelegt. „Meine kleine Tochter Marie hat mir heute früh gesagt: „Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht“, hatte Gabriel der Funke-Mediengrup­pe gesagt. Ohne diesen gegen Schulz gerichtete­n Satz wäre es wohl schwerer für Nahles, Gabriel auf das Abstellgle­is zu schieben.

Schulz war 44 Stunden der offizielle Bald-Außenminis­ter. Bevor am Freitag um 14.14 Uhr die Mitteilung des Rückzugs kam. Zwischendu­rch war Andrea Nahles noch daheim in der Eifel und feierte Karneval. Verkleidet als Clown. Tolle Tage bei der SPD. Es gibt zwei Möglichkei­ten: Entweder Nahles und Scholz haben die Stimmung völlig falsch eingeschät­zt – oder sie ließen Schulz ins Verderben laufen, um das unglücksel­ige Kapitel schmerzhaf­t, aber zügig zu beenden. Aber was kommt jetzt?

Gabriels haarige Aussage könnte es etwas leichter machen. Als Kandidaten werden jetzt Justizmini­ster Heiko Maas und Familienmi­nisterin Katarina Barley gehandelt. Via Focus meldet sich Gabriels Jugendfreu­nd Burkhard Siebert, Stadtrat in Goslar – er sieht beim wahrschein­lichen Abserviere­n Gabriels eine tragende Rolle bei Nahles. „Man hat ihn wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen.“

Gabriel bringt seine Tochter ins Spiel. Ein Fehler

 ?? Foto: Oliver Berg, dpa ?? Andrea Nahles und Martin Schulz. In der Partei fragen sich jetzt viele, warum die Chefin der SPD Fraktion im Bundestag die letztlich grandios gescheiter­te Idee unterstütz­t hat, dass Schulz ins Außenminis­terium wechselt.
Foto: Oliver Berg, dpa Andrea Nahles und Martin Schulz. In der Partei fragen sich jetzt viele, warum die Chefin der SPD Fraktion im Bundestag die letztlich grandios gescheiter­te Idee unterstütz­t hat, dass Schulz ins Außenminis­terium wechselt.

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