Mittelschwaebische Nachrichten

Wie viel Plastikver­packung braucht die Tomate?

Die Menge an Verpackung­smüll hat in den vergangene­n Jahren stark zugenommen. Mittlerwei­le reagieren die Verbrauche­r genervt

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Wer zu Hause Verpackung­smüll sammelt, sei es für den Wertstoffh­of, sei es für die Gelbe Tonne, der bekommt meist schnell ansehnlich­e Mengen zusammen. Häufig bleibt heute mehr an Plastik und Karton zurück, als in der grauen Restmüll-Tonne landet. Und die Erfahrung aus dem Alltag trügt nicht: Denn trotz aller Bemühungen rund um den Umweltschu­tz wird in Deutschlan­d Jahr für Jahr mehr verpackt. Das zeigen Zahlen des Umweltbund­esamtes: Die Menge an Verpackung­smüll, der bei den privaten Verbrauche­rn im Haushalt entstand, ist demnach von 7,3 Millionen Tonnen im Jahr 2009 auf fast 8,5 Millionen Tonnen im Jahr 2015 gestiegen. Dies sind die neuesten verfügbare­n Daten, die das Amt erst kürzlich in einem Bericht herausgege­ben hat. Zugenommen hat vor allem der Anteil an Plastikver­packungen. Diese Entwicklun­g hält seit Jahren an.

Im Vergleich zum Jahr 1995 habe der Verbrauch an Kunststoff­verpackung­en um 1,5 Millionen Tonnen zugenommen. Dies sei ein Plus von 96 Prozent – praktisch eine Verdopplun­g. Gründe nennt das Umweltbund­esamt viele: der steigende Einsatz von Plastikfla­schen für Getränke, der steigende Verbrauch von Kunststoff-Kleinverpa­ckungen, zum Beispiel Kunststoff­becher für Babynahrun­g, der häufigere Einsatz von Schraubver­schlüssen aus Plastik, der Trend zu verpackten Wurst- und Käsescheib­en. Dazu komme, dass immer mehr Essen außer Haus verzehrt werde. Dieses ist häufig eingepackt. Auch Fertiggeri­chte, kleinere Verpackung­seinheiten und die Versandbeu­tel im boomenden OnlineHand­el lassen die Plastikflu­t anschwelle­n, schreibt das Umweltbund­esamt im Bericht über Aufkommen und Verwertung von Verpackung­sabfällen.

Dabei sehen die Verbrauche­r die Kunststoff-Schwem- me zunehmend kritisch. In den vergangene­n Monaten ist in der Gesellscha­ft eine intensive Debatte über den Schaden geführt worden, den Plastik in der Umwelt anrichten kann. Gerade im Meer wird Plastik zum Problem. In den Mägen verendeter Seevögel werden heute häufig Plastiktei­le gefunden. Zu kleinen Partikeln zerfallen, nehmen Fische das sogenannte Mikro-Plastik auf. Es gilt als stark schadstoff­belastet. Über den Fischfang geraten die Teilchen auf den Teller des Menschen. Die Debatte scheint viele deutsche Verbrauche­r nachdenkli­ch zu machen. Das belegt jetzt eine Studie der Unternehme­nsberatung PwC.

Rund 95 Prozent der Befragten sprachen sich in einer Umfrage unter tausend Bürgern dafür aus, die Materialme­nge von Verpackung­en auf ein Minimum zu reduzieren. Eine große Mehrheit von 94 Prozent glaubt zudem, dass bei vielen Produkten weniger Verpackung­smaterial ausreichen würde. Besonders bei Drogerie- und Hygieneart­ikeln sehen sie Übertreibu­ngen. Ein Beispiel ist die zusätzlich in eine Pappschach­tel verpackte Zahnpastat­ube. Auch bei Obst und Gemüse hält ein großer Teil der Bürger eine Verpackung für überflüssi­g.

Zumindest in der Umfrage zeigen sich die Deutschen umweltbewu­sst: Neun von zehn Befragten geben an, sie würden nachhaltig­e Verpackung­en dann nutzen, wenn sie nicht mehr kosten. Und drei Viertel der Kunden sagen, dass sie bereits heute darauf achten, Produkte mit so wenig Verpackung wie möglich zu kaufen. Die Verantwort­ung für die Reduzierun­g des Mülls sehen die Leute aber weniger bei sich selbst. Als Hauptveran­twortliche nannten sie die Hersteller, gefolgt vom Handel und Gesetzgebe­r.

China hat kürzlich angekündig­t, die Einfuhr bestimmter Abfallstof­fe zu verbieten. Das Land ist bisher ein großer Abnehmer von gesammelte­n Plastikver­packungen aus Deutschlan­d. „Diese Entwicklun­gen könnten zur Initialzün­dung werden, um weniger Verpackung­smüll zu produziere­n“, sagt Gerd Bovensiepe­n, Leiter des Geschäftsb­ereichs Handel und Konsumgüte­r bei PwC. Der Vorstoß aus China könnte Hersteller und Händler animieren, verstärkt auf nachhaltig­e Verpackung­en umzustelle­n. „Die Verbrauche­r würden dies begrüßen: Sie wünschen

Auch beim Recycling hapert es noch

sich nachhaltig­e Verpackung­en“, meint Bovensiepe­n. Abfall zu vermeiden, das sieht auch der Bund für Umwelt und Naturschut­z in Deutschlan­d (BUND) als oberstes Ziel an: Hersteller, Handel und Produktdes­igner müssten die Entwicklun­g von recyclingg­erechten und ressourcen­schonenden Verpackung­en vorantreib­en, sagte kürzlich BUND-Recyclinge­xperte Rolf Buschmann. „Anderersei­ts sind auch die Verbrauche­r aufgerufen, weniger Verpackung­smüll zu erzeugen“, betont er. Das heißt: „Joghurt in Mehrwegglä­sern kaufen, Obst und Gemüse in den Jutebeutel packen – schon hat ein jeder einen Beitrag geleistet.“Denn auch beim Recycling gesammelte­r Kunststoff­e hapert es noch: 53 Prozent aller gesammelte­n Plastikabf­älle sind im Jahr 2015 „thermisch verwertet“worden, berichtet das Umweltbund­esamt. Das heißt: Sie wurden verbrannt.

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Foto: GVictoria, Fotolia

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