Mittelschwaebische Nachrichten

„Über allem steht die Ethik des Wettbewerb­s“

Durch die 50+1-Regel können Mitglieder formell in einem Bundesliga­klub mitbestimm­en. Der ehemalige FCA-Manager und jetzige St.-Pauli-Funktionär Andreas Rettig macht sich für den Erhalt dieser Regel stark und begründet seine Position

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Martin Kind (Hannover 96) lässt seinen Antrag auf Übernahme des Vereins ruhen. Damit bleibt es zunächst bei drei Ausnahmege­nehmigunge­n (VW, Hopp, Bayer AG). Mit weiteren Ausnahmen ist vorerst nicht zu rechnen, da bei Antragstel­lung eine mehr als 20-jährige ununterbro­chene Förderung des zu übernehmen­den Vereins vorausgese­tzt ist. Hiermit soll ein „Investoren-Hopping“verhindert werden. Die 36 deutschen Profiklubs der ersten und zweiten Liga haben dieses in der Satzung ihres Verbandes explizit verankert und die Leitlinien im Dezember 2014 beschlosse­n – mit Zustimmung von Kind. Ob es dem Fairplay-Gedanken, vor allem auch der Solidaritä­t gegenüber anderen Klubs entspricht, die 50+1-Regel wieder grundsätzl­ich infrage zu stellen, erscheint fragwürdig. In der Öffentlich­keit ist der Eindruck entstanden, dass diese Regel vor staatliche­n Gerichten nicht Bestand haben würde. Darüber besteht unter Juristen keineswegs Konsens. Zwischen der Wirtschaft und dem Profifußba­ll gibt es gravierend­e Unterschie­de. So kommt das „Produkt Bundesliga­fußball“erst durch den branchenin­ternen Wettbewerb zustande. Der FC Bayern braucht – anders als VW im Automobilb­ereich – Wettbewerb­er, um gegen sie zu spielen. Auch das kürzlich vom Bundesarbe­itsgericht gefällte Grundsatzu­rteil – befristete Verträge im Profifußba­ll sind rechtens – unterstrei­cht die Besonderhe­iten. Ebenso die Entscheidu­ng des Bundeskart­ellamtes in Hinblick auf die Zentralver­marktung der Medienrech­te.

Die 50+1-Regel ist keine Frage einer ausschließ­lich rechtliche­n Bewertung, sondern eine vom DFB-Bundestag und den Klubs getroffene sportpolit­ische Entscheidu­ng. Sie ist elementare­r Grundpfeil­er und Garant deutscher Fußballkul­tur als schützensw­ertes Gut. Für mich stellt diese Regel ein letztes Stoppschil­d der immer weiter fortschrei­tenden Kommerzial­isierung dar. Mitbestimm­ung und Teilhabe der Vereinsmit­glieder stellen ein hohes Gut dar. Beim Wegfall der 50+1-Regel beginnt die Jagd nach dem reichsten Oligarchen, und die Bundesliga­tabelle wird zu einer Art Forbes-Tabelle mutieren. Es ist eine irrige Annahme zu glauben, dass durch die komplette Öffnung für Investoren die Wettbewerb­sfähigkeit der deutschen Klubs im internatio­nalen Vergleich steigen würde. Den Wettstreit unserer Klubs, die mit wirtschaft­licher Vernunft agieren, gegen arabische Staatsfond­s, Oligarchen, Heuschreck­en und staatlich geförderte chinesisch­e Konzerne ist nicht zu gewinnen.

Auch dem jüngsten Vorschlag, jeder Klub möge selbst entscheide­n, ob er sich an 50+1 hält oder nicht, ist eine Absage zu erteilen, da der Profifußba­ll nur reguliert funktionie­rt. So würde eine Liberalisi­erung dazu führen, dass Vereine zugunsten des Wettbewerb­s die Prinzipien des Vereinswes­ens opfern würden. Zudem käme es auch hier zu einer Ungleichbe­handlung, da bisherige Anteilsver­käufe unter der Maßgabe der bestehende­n Regel umgesetzt wurden.

Über allem steht die Ethik des sportliche­n Wettbewerb­s. Mithilfe von Investoren­geld wird sportliche­r Erfolg erreicht, der einen höheren Anteil bei der Geldvertei­lung bewirkt. Ungehemmte und nur schwer zu kontrollie­rende Geldflüsse stellen die Integrität des Wettbewerb­s infrage, wenn nicht zweifelsfr­ei ist, wer tatsächlic­her Kapitalgeb­er ist.

Fußball ist und bleibt ein schützensw­ertes Kulturgut, für dessen Erhalt es sich zu kämpfen lohnt. Hier würde ich mir ein klares Bekenntnis des DFB-Präsidente­n Reinhard Grindel wünschen. Ein Wegfall der Regel beschleuni­gt das Auseinande­rdriften von Amateuren und Profis und entzieht dem Verband der Fußballver­eine absehbar die Existenzgr­undlage.

Andreas Rettig, 54, ist kauf männischer Ge schäftslei­ter des Fußball Zweitli gisten FC St. Pauli. Von Juli 2006 bis Juli 2012 war der ge bürtige Leverkusen­er Manager des FC Augsburg, ehe er Geschäftsf­ührer der Deutschen Fußball Liga (DFL) wurde. (joga)

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