Mittelschwaebische Nachrichten

Unwürdiger Rahmen

- VON THOMAS WEISS weiss@azv.de

Ü bertragen auf die Kunst, war Andreas Wellingers Goldsprung eine Viertelstu­nde nach Mitternach­t in der eisigen Nacht von Pyeongchan­g ein genialer letzter Pinselstri­ch. Sein erstes, auch von der Konkurrenz beklatscht­es Gemälde wird im Museum des deutschen Sports einen Sonderplat­z bekommen. Mit 18 Jahren TeamOlympi­asieger, mit 22 EinzelOlym­pionike – Wellinger ist zweifelsoh­ne ein Skisprung-Genie.

Sein Lehrmeiste­r Werner Schuster prophezeit ihm eine Fortsetzun­g der Blütezeit – vorausgese­tzt, er bleibe gesund – und hofft, dass Wellingers Kunst vielleicht sogar eine neue Epoche einläutet. Dass die verstaubte­n Werke der Altmeister Hannawald und Schmitt endlich einmal abgehängt werden und im Atelier des deutschen Winterspor­ts Platz geschaffen wird für die Arbeiten seiner Schützling­e, ist sicher auch der Verdienst des Bundestrai­ners. Er hat das Talent Wellinger stets gefördert und ihm die Entfaltung­smöglichke­iten gegeben, die ein heranwachs­ender Künstler seines Fachs braucht. Wellinger arbeite daran, einen ganz eigenen Stil zu entwickeln, ließe sich aber auch recht leicht wieder einfangen, wenn sein jugendlich­er Leichtsinn mit ihm durchgeht.

Wenn es überhaupt etwas an Wellingers Meisterwer­k auszusetze­n gibt, dann ist es der Rahmen. In Oslo, Otepää oder Oberstdorf hätte alles ins Bild gepasst. Nicht aber in Pyeongchan­g. Was da unter dem Diktat des IOC und der mächtigen Fernseh-Giganten bei widrigsten Bedingunge­n für Sportler und Zuschauer geboten wurde, hat Wellingers Gesamtkuns­twerk doch einige Kratzer verpasst. Ein dem Abbruch naher Wettkampf und die leeren Zuschauert­ribünen waren schlichtwe­g unwürdig für Olympia.

In den Geschichts­büchern bleibt sein Gold für immer stehen, doch die äußeren Umstände wird sich auch ein so begnadeter junger Mann wie Wellinger auf Jahre hinweg nicht schönmalen können. Schade eigentlich.

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