Mittelschwaebische Nachrichten
Darum sind die Ränge so leer
Zuschauer Etliche Plätze bleiben während der Wettkämpfe unbesetzt. Das liegt zu einem großen Teil an wirtschaftlichen Zwängen. Laura Dahlmeier findet die Stille in den Stadien sogar gut
Pyeongchang Auch gestern bei der Nordischen Kombination: massenweise leere Tribünenplätze. Als Eric Frenzel seinen Triumph feierte und von seinem Trainer- und Betreuerteam überschwänglich gefeiert wurde, war das Alpensia Langlaufstadion schon wieder gähnend leer. Die Fernsehbilder von Kälte und Wind, von Tristesse und Tote-Hose-Stimmung lösen in den sozialen Netzwerken fast schon einen Sturm der Entrüstung aus. Stimmungsarm, langweilig, nicht olympiawürdig, so lauten die Kommentare. Sie zielen zweifelsohne in die richtige Richtung, doch die Präzision einer Schusssalve von Laura Dahlmeier haben sie nicht.
Es gibt sie nämlich, die Sportarten, bei denen in Korea der Bär steppt. Beim Shorttrack in allererster Linie und auch bei den anderen Eissporten herrscht jene Atmosphäre, die Athleten bei ihrem Karrierehöhepunkt zu Höchstleistungen animiert – vermutlich deshalb, weil der Zuschauer ein Hallendach über dem Kopf hat und lange nicht so frieren muss wie ein Fan in einem der Freiluftstadien. Das hat auch Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, bei seiner Rundtour durch alle olympischen Sportstätten erlebt. Beim Snowboard am Vormittag herrsche grundsätzlich eine sehr ausgelassene und fröhliche Stimmung. Richtig Laut und schrill wurde es gestern beim Triumph der Halfpipe-Ikone Shaun White.
Abendveranstaltungen wie die Skisprung-Wettbewerbe leiden dagegen besonders unter dem Zuschauerschwund. „Wenn’s bis Mitternacht geht“, sagt Hörmann, „oder wie bei den Männern sogar darüber hinaus“, dann werde es schwierig: „Da kommen ja dann auch noch die eisigen Temperaturen hinzu.“Fans aus den reisewütigen Wintersport-Nationen wie Norwegen oder Deutschland trifft man kaum an. Die Anreise ist zu beschwerlich und teuer. Unterkünfte waren zumindest vor den Spielen in akzeptabler Reichweite der Sportstätten nicht buchbar. Auch die Koreaner, die zu den meisten Sportarten kaum einen Bezug haben, kommen nicht nach Pyeongchang. Der neu gebaute Schnellzug aus der Hauptstadt Seoul fährt stündlich – besetzt ist er jedoch meist nur von ein paar freundlichen OlympiaHelfern.
Für die Athleten sei das natürlich enttäuschend. Hörmann: „Man muss ja nichts schönreden. Es macht schon einen Unterschied, ob du in ein proppevolles Stadion springst oder nicht.“Skisprung-Bundestrainer Werner Schuster sprach nach dem Goldsprung von Andi Wellinger von einer Atmosphäre wie beim Deutschlandpokal, gab aber zu: „Ich würd’ auch nicht mehr dastehen. Da erfrierst du ja.“
Ähnlich erlebte es Schusters Kollege bei den Frauen, Andreas Bauer. Der Oberstdorfer wunderte sich schon vor Monaten über den Zeitplan, vergisst aber nicht die wirtschaftlichen Zwänge und die Macht des Fernsehens. Auf der einen Seite wolle man stimmungsvolle Bilder und eine ordentliche Kulisse, auf der anderen Seite möchte man im Fernsehen präsent sein – „mit guten Einschaltquoten, die dem Verband, den Athleten und der Sportart guttun würden“. Da bei acht Stunden Zeitverschiebung ein Mittelmaß zu finden, sei „sehr, sehr schwer“, sagt Bauer.
Seine Silbermedaillengewinnerin Katharina Althaus sah es allerdings deutlich pragmatischer: „Erstens waren hier mehr Zuschauer anwesend als bei den meisten unserer Weltcups, zweitens freue ich mich, dass meine Familie den Wettkampf im Fernsehen anschauen konnte, ohne mitten in der Nacht aufstehen zu müssen.“Auch Biathlon-Ass Laura Dahlmeier hatte eine überraschende Antwort parat: „Man erhofft sich bei Olympia schon ein paar mehr Zuschauer, letztendlich muss der Athlet aber doch selber laufen. Mir ist es hier sogar lieber, als wenn 50000 Menschen schreien.“Ihr Trainer Gerald Hönig ist anderer Meinung: „Im Vergleich zum Weltcup ist das hier ein Trauerspiel. Die Athleten haben etwas Besseres verdient.“
Weniger Wind, mildere Temperaturen. Die Olympia-Organisatoren sind guter Dinge, dass sie bald das millionste der insgesamt 1,17 Millionen Tickets an den Mann bringen. Nach dem Wahrheitsgehalt der 85-prozentigen Auslastung der Stadien gefragt, gab der Sprecher des Organisationskomitees, Sung Baik You, eine überraschende und doch vielsagende Antwort: „Wenn Plätze im Fernsehen als leer wahrgenommen werden, bedeutet das nicht, dass die Zuschauer nicht da gewesen sind.“