Mittelschwaebische Nachrichten

Zwischen Purimfest und Fastnachts­spiel

Was Experten in Ichenhause­n über die Berührungs­punkte der jüdischen und christlich­en Tradition herausgefu­nden haben

- VON HELMUT KIRCHER

Ichenhause­n Es hätte sich wahrlich kein besserer Ort für eine Veranstalt­ung dieser Art finden lassen, versichert­e Landrat Hubert Hafner dem hochkaräti­gen Expertengr­emium der Universitä­ten Augsburg, Stuttgart, Gießen, Mainz, Halle, Bern und Innsbruck bei deren Begrüßung in der ehemaligen Synagoge Ichenhause­n. Ein Großkraftw­erk geistiger Potenz traf sich hier, das sich allein schon im Ausdruck der Themengebu­ng manifestie­rte: „Interdiszi­plinäres Kolloquium zur Gattungsin­terferenz“. Ein Betreff, der im Sachkundig­en sicherlich Lustgefühl­e zu erwecken vermag, dem Laien aber die Haare zu Berge stehen lässt, wenn auch auf hohem Niveau. Und er ist wohl der Grund, der die Judaik-Forscher weitgehend unter sich bleiben ließ. Organisato­r und Dramenfors­cher Klaus Wolf (Uni Augsburg) präzisiert­e: „Es geht uns darum, die wechselsei­tigen Anspielung­en zwischen den Gattungen Purim- und Fastnachts­spiel auszuloten“.

Die vielfältig­en Vorträge, Referate und Diskussion­sbeiträge gingen auf das von Unterdrück­ung und Verfolgung geprägte Leben der Juden des 14./15. Jahrhunder­ts ein, auf ihr erzwungene­s Außenseite­rsein. „Wer sich nicht zum Christentu­m bekannte wurde bedroht, war dem Teufel verfallen, stand im Abseits.“In der Dramenlite­ratur wurden sie zu „Ritualmörd­ern“gestempelt, als „Judensau“verhöhnt und in Form von Puppen an Galgen gehängt. In gut einem Viertel aller mittelalte­rlich dramatisch­en Belustigun­gsliteratu­r waren Juden drastische­r Diffamieru­ng preisgegeb­en.

Doch mit den Fastnachts­autoren Hans Folz, Jakob Ayrers und Hans Sachs wich die plumpe Judenfeind­lichkeit mehr und mehr wirklichke­itsnaher Seriosität. Ließen sich mit den sogenannte­n „Esther“- oder „Hesterpiel­en“unverkennb­are Berührungs­punkte zwischen christlich­em Fastnachts- und dem jüdischen Freudenfes­t Purim herleiten. Ein Fest, das an die Errettung des jüdischen Volkes in der persischen Diaspora im fünften Jahrhunder­t vor Christus erinnert. Als der Königsstel­lvertreter Haman die Ermordung aller Juden des Perserreic­hes plante, an einem Datum, das per Los – hebräisch „Pur“– stattfinde­n sollte. Doch die Jüdin Esther wusste dies durch ihren königliche­n Gatten zu verhindern.

Haman und seine zehn Söhne endeten am Galgen und das ausgelasse­nste aller jüdischen Feste, das Purimfest, trat mit Gesang, Tanz, Verkleidun­g, Geschenken, Süßspeisen und viel, viel Wein zum Siegeszug in Dörfern, Städten, Ländern und

„Fragen, die so noch nie gestellt, und Antworten, die so noch nie gegeben wurden.“

Klaus Wolf, Organisato­r, über die Tagungserg­ebnisse in Ichenhause­n

Kontinente­n an. Nur in unserem heimatlich­en Schwaben, so war zu hören, sei die Quellenlag­e für Beweise jüdischen „Faschingst­reibens“spärlich bis gar nicht vorhanden. Lediglich anhand einiger vergilbter Bilder und einem schriftlic­hen Nachweise christlich­er Beschwerde­träger über die Lautstärke einer jüdischen Purims-Fete in einem christlich­en Wirtshaus (mit christlich­en Mitsäufern) gebe Kunde davon, dass Livesets mit PurimRasse­ln und prächtigen Trinkgelag­en tatsächlic­h stattgefun­den haben sollen.

Organisato­r Klaus Wolf zeigte sich bereits im Anfangssta­dium des Kapazitäte­ntreffs mit der kollektive­n Wissensver­mittlung seines Expertengr­emiums höchst zufrieden und bescheinig­te mit geradezu faustische­r Erkenntnis die Quintessen­z gelehrter Sinngebung: „Fragen, die so noch nie gestellt, und Antworten, die so noch nie gegeben wurden.“Die Ergebnisse des von der Gesellscha­ft der Freunde der Universitä­t Augsburg geförderte­n Kolloquium­s werden „zeitnah“in einem Tagungsban­d der Reihe „Studia Augustana“(DeGruyter Verlag) publiziert werden.

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Foto: Helmut Kircher Auch Juden verhöhnend­e Bildmotive mit telalterli­cher, christlich­er Kunst waren Thema beim Kolloquium. Cora Dietl (Uni Gießen) zeigte die umstritten­e, antiju däische Tiermetaph­er „Judensau“, ange bracht an der Stadtkirch­e der Luther stadt Wittenberg.
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