Mittelschwaebische Nachrichten

Hürben, Berlin, Hollywood

Die Biografie der Schriftste­llerin Hedwig Lachmann steht für Aufbruch und Abgrund des 20. Jahrhunder­ts. Sie starb vor 100 Jahren

- VON PETER BAUER

Krumbach Hippiezeit. Der junge Dustin Hoffman, verliebt, geradezu losgelöst. „Die Reifeprüfu­ng“– das ist irgendwie seine Rolle, es ist sein großer Durchbruch als Schauspiel­er. Es gelingt ihm auch dank der glänzenden Regie im Hintergrun­d. Für „Die Reifeprüfu­ng“(1967) wird Regisseur Mike Nichols mit dem Oscar ausgezeich­net. Nichols ist in dieser Zeit so etwas wie der Mann der Stunde des großen Kinos. Bereits sein Debüt als Regisseur war glänzend und ist noch heute geradezu legendär: „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“(1966) mit Richard Burton und Elizabeth Taylor. Nichols wurde in der Kategorie „Beste Regie“für den Oscar nominiert. Liz Taylor gewann den Oscar als beste Hauptdarst­ellerin.

Es sind glänzende Zeiten für Hollywood, auch für Mike Nichols selbst. Kaum jemand denkt in diesen Momenten daran, was Mike Nichols alles hinter sich gebracht hat, auch hinter sich lassen musste, um nach Hollywood zu kommen. Nichols (1931 bis 2014) ist in Berlin geboren, in der Zeit des quälenden Untergangs der Weimarer Republik. Und sein Leben führt auch nach Krumbach zurück. Er ist der Enkel von Hedwig Lachmann. Hedwig Lachmanns Tochter Brigitte, die einen russischen Arzt, der in der deutschen Emigration lebte, geheiratet hatte, konnte 1938 mit ihrer Familie in die USA auswandern. Ihre Mutter, die jüdische Literatin und Übersetzer­in Hedwig Lachmann, war zu diesem Zeitpunkt mehr als 20 Jahre tot. Sie starb vor rund 100 Jahren, am 21. Februar 1918, in Krumbach. Danach geriet sie lange in Vergessenh­eit. Doch ihr freier Geist, ihre Lebensbeja­hung sind auf ihre Weise spürbar in den Werken ihres Enkels Mike Nichols.

Der Tod Hedwig Lachmanns ist so etwas wie ein Symbol für das Ende einer Epoche. Auch für das, was kommen sollte – und untrennbar mit dem Namen Hitler verbunden ist. Im Jahr 1918 erfasst eine schlimme Grippe-Epidemie den Kontinent. Millionen Menschen sterben. Darunter sind diesseits und jenseits der Fronten auch zahlreiche Intellektu­elle, deren Geist für europäisch­e Aufbruchst­immung stand. Manche hatten sich 1914 noch als Kriegsfrei­willige gemeldet wie der französisc­he Dichter Guillaume Apollinair­e (1880 bis 1918), dessen surreale Werke sich dann aber bald gegen die Grausamkei­t des Krieges richten. Apollinair­e fällt ebenso der Grippe zum Opfer wie der österreich­ische Maler Egon Schiele (1890 bis 1918). Der Schriftste­ller Stefan Zweig wird während des Ersten Weltkriege­s zum Kriegsgegn­er, später zu einem entschiede­nen Gegner Nazi-Deutschlan­ds. Er nimmt sich 1942 im brasiliani­schen Exil das Leben. Ebenso wie Zweig ist auch Hedwig Lachmann jüdischer Herkunft. Gerade Intellektu­elle aus jüdischen Kreisen hatten große Hoffnungen in ein geeintes, den Nationalis­mus überwinden­des Europa gesetzt. Ihr Tod steht für das tragische Ende dieser Hoffnungen, er scheint das Unheil, das kommen sollte, ahnen zu lassen.

und fremd und immer doch noch ich“und „... auf Erden schon enthoben ...“: Die Titel zweier Lachmann-Bücher (von Armin Strohmeyr und Heinrich Lindenmayr, 2003 und 2006) lassen die komplexe Persönlich­keit Hedwig Lachmanns erahnen. Zeit ihres Lebens bleibt sie geradezu luftig mädchenhaf­t. Doch der Hauch der Jugend steht in einem ungewöhnli­chen Kontrast zu ihrem intellektu­ellen, grüblerisc­hen Tiefgang.

Hedwig Lachmann wird 1865 als Tochter von Isaak Lachmann in Stolp/Pommern geboren. Isaak Lachmann übernimmt 1873 die Stelle des Kantors der jüdischen Gemeinde in Hürben. Nach Hürben: Es ist der Beginn einer Bezie- hung, die Hedwig Lachmann bis zu ihrem Tod prägen wird. Strohmeyr bringt dies in seinem Buch auf den Punkt: „Sie wird zeitlebens Hochdeutsc­h sprechen, den melodische­n Dialekt der Bevölkerun­g nie annehmen; dennoch werden Krumbach und die sanft gewellte mittelschw­äbische Landschaft sie prägen.“Heinrich Lindenmayr umschreibt dies noch deutlicher: „Hier war ihre eigentlich­e Heimat, Hedwig Lachmann war Krumbacher­in.“Aber ist sie dort im Lauf ihres Lebens wirklich angekommen? In Hürben (Synagogeng­asse 3) wächst Hedwig Lachmann mit ihrer Schwester und vier Brüdern auf. Rasch zeigt sich ihre sprachlich­e Begabung. Im Alter von 15 Jahren legt sie in Augsburg ihr Examen als Sprachlehr­erin ab, mit 17 geht sie als Erzieherin nach England. Zwei Jahre lebt sie in Budapest, sie lernt in dieser Zeit auch die ungarische Sprache. 1889 dann die Übersiedlu­ng nach Berlin. Hier lernt sie schnell die Widersprüc­he ihrer Zeit kennen. Welche Rolle bleibt den Juden? Nationale Anpassung, nachdem ihnen seit 1871 endlich die formelle Gleichbere­chtigung zugestande­n worden war? Oder kann der Weg nur Eigenständ­igkeit heißen in einer Zeit, in der des Kaisers Hofpredige­r Adolf Stoecker und der Historiker Heinrich von Treitschke das Wort Antisemiti­smus salonfähig machen? Vertraut und fremd: Hedwig Lachmanns Weg wird auch zum Sinnbild des Weges der deutschen Juden. Sie arbeitet als Hauslehrer­in, bald aber schreibt sie auch Artikel für Zeitungen, sie übersetzt Werke ausländisc­her Schriftste­ller wie etwa von Oscar Wilde („Das Bildnis des Dorian Gray“) und Edgar Allan Poe.

Die Liebesbezi­ehung mit dem verheirate­ten Schriftste­ller Richard Dehmel bleibt Episode. 1899 lernt Hedwig Lachmann den jüdischen Literaten Gustav Landauer (gebo„Vertraut ren 1870 in Karlsruhe) kennen. Doch Landauer ist verheirate­t und so wird auch diese Beziehung zunächst zu einer Beziehung im Verborgene­n. 1901 versuchen die beiden in England einen neuen Anfang, 1902 aber kehren sie verarmt nach Deutschlan­d zurück. Bemerkensw­ert ist, dass gerade in dieser turbulente­n Zeit Hedwig Lachmanns schöpferis­che Kraft sichtbar wird. 1902 veröffentl­icht sie den Gedichtban­d „Im Bilde“. Bereits 1900 war ihre Übersetzun­g von Oscar Wildes „Salome“in der Wiener Rundschau erschienen. Richard Strauss verwendet diese Übersetzun­g als Libretto für seine 1905 in Dresden uraufgefüh­rte gleichnami­ge Oper.

Das Paar bekommt zwei Kinder

1903 lässt sich Landauer scheiden, der Heirat der beiden steht jetzt nichts mehr im Wege. Das Paar bekommt zwei Kinder, Gudula und Brigitte. Beide bleiben schriftste­llerisch aktiv, doch die Armut ist ein ständiger Begleiter ihres Lebens. Dramatisch verschärft sich die Lage mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriege­s 1914. Für Menschen, die an ein vereintes Europa glauben, ist kein Platz in dieser aufgeheizt­en Atmosphäre. Für Landauer und Lachmann werden die Kriegsjahr­e zur Leidenszei­t. Hedwig Lachmanns Mutter Mina stirbt am 5. Februar 1917 in Hürben (1900 war bereits der Vater gestorben). Lachmann und Landauer kommen nach Krumbach-Hürben, sie beziehen die Wohnung der Mutter im jüdischen Schulhaus (unmittelba­r westlich der Synagoge in der Synagogeng­asse). Hedwig Lachmann begegnet den Anfängen ihres Lebens – kurz vor ihrem Ende. Ihren tragischen Tod beschreibt Herbert Auer: „Als Walter Landauer, ein Neffe von Gustav, zur Armee eingezogen wurde, haben Hedwig und die Kinder ihn zum Bahnhof begleitet. Der Zug hatte aber mehrere Stunden Verspätung und die Wartehalle war nicht geheizt. Hier zog sich Hedwig eine starke Erkältung zu, die sich später als ... Grippe herausstel­lte. Als noch eine Lungenentz­ündung dazu kam, war der zierliche, durch die Hungerjahr­e geschwächt­e Körper dieser Belastung nicht mehr gewachsen.“Hedwig Landauer-Lachmann starb am 21. Februar 1918 und wurde in aller Stille und von der Bevölkerun­g fast unbeachtet auf dem israelitis­chen Friedhof in Krumbach-Hürben zur letzten Ruhe gebettet. Ihr tragischer Tod ließ das, was folgen sollte, erahnen: Die Niederlage Deutschlan­ds 1918 und der verhängnis­volle Aufstieg der Nazis. Die Welt ihrer Ideale schien für alle Zeit die Welt von gestern zu werden.

Auf ihrem Grabstein sind die Verse zu lesen:

O Geist, dahingegeb­en - Der dunkelsten Gewalt - Wie sehnst du dich ins Leben, - Zurück in die Gestalt“.

Ins Leben – die Sehnsucht nach Leben: Dafür steht auch das Werk ihres Enkels Mike Nichols. Das Lebenswerk Hedwig Lachmanns, für Jahrzehnte in Vergessenh­eit geraten, erfuhr lange nach ihrem Tod doch noch eine umfassende Würdigung. Das ist nach all dem, was war, eine bemerkensw­erte Botschaft.

 ?? Foto: Annegret Döring ?? „Weißt du denn, wo deine Heimat ... – Am Abend“ist der Titel der Hedwig Lach mann Darstellun­g von Petra Wende (2006) im Heimatmuse­um.
Foto: Annegret Döring „Weißt du denn, wo deine Heimat ... – Am Abend“ist der Titel der Hedwig Lach mann Darstellun­g von Petra Wende (2006) im Heimatmuse­um.
 ?? Archivfoto: Maximilian Czysz ?? Der Grabstein von Hedwig Lachmann auf dem jüdischen Friedhof in Krumbach Hür ben.
Archivfoto: Maximilian Czysz Der Grabstein von Hedwig Lachmann auf dem jüdischen Friedhof in Krumbach Hür ben.
 ?? Foto: Sammlung Herbert Auer ?? Hedwig Lachmann (geboren 29. August 1865, gestorben 21. Februar 1918) in einer undatierte­n Aufnahme aus Budapest (vor 1889).
Foto: Sammlung Herbert Auer Hedwig Lachmann (geboren 29. August 1865, gestorben 21. Februar 1918) in einer undatierte­n Aufnahme aus Budapest (vor 1889).
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Foto: Sammlung Auer Kantor Isaak Lachmann, Vater von Hed wig Lachmann.
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Foto:pres se@studiocana­l.de Dustin Hoffman und Anne Bancroft in „Die Reifeprü fung“
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Foto: gr/dpa Bild funk Liz Taylor küsst Ri chard Burton (ein undatierte­s Foto).

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