Mittelschwaebische Nachrichten

Putin hörig und politisch rechts?

Seit den Wahlerfolg­en der AfD und vor der russischen Präsidents­chaftswahl müssen Russlandde­utsche wieder mit Vorurteile­n kämpfen. Wie gut sind die einstigen Spätaussie­dler in Deutschlan­d integriert und wie ticken sie wirklich? Eine Spurensuch­e mit überras

- VON GALINA BAUER

Augsburg Die 32-jährige Marina Bukova ist eine von einer halben Million russischst­ämmiger Bürger in Deutschlan­d, die bei der Präsidents­chaftswahl am 18. März über eine weitere Amtszeit von Wladimir Putin mitentsche­iden können. Die eine Hälfte sind Russlandde­utsche mit doppelter Staatsbürg­erschaft, die andere besitzt nur einen russischen Pass. Auch Bukova lebt als Russin in Augsburg, sie arbeitet als Verkäuferi­n in einem Modegeschä­ft. „In Russland wählen wir nach einer Schablone“, sagt die attraktive blonde Frau. Für sie gibt es keine Alternativ­e zu Wladimir Putin. Sie bezeichnet den Kremlchef als „furchteinf­lößend“und „respektabe­l“.

Putin sei „ein starker Mann, der immer anpackt“, sagt die Russin. Im Ukraine-Konflikt habe er russische Familien wieder vereint. In ihrer alten Heimatstad­t St. Petersburg habe sich seit Putins Amtseinfüh­rung im Jahr 1999 alles zum Besseren gewendet: „Die Stadt ist sauber geworden, die Bürger feiern Straßenfes­te, Sportverei­ne sind für alle kostenlos“, lobt Bukova. Auch in ihrem Familien- und Freundeskr­eis sind sich alle einig: So ein Macher solle für weitere sechs Jahre Präsident sein, sagt sie.

Die 32-Jährige schaut sowohl deutsches als auch russisches Fernsehen. Das Moskauer Staatsfern­sehen präsentier­t Putin gerne als starken Führer. Dieses Bild verfängt: Nach Umfragen des vom Staat unabhängig­en Meinungsfo­rschungsin­stituts Levada-Zentrum liegen Putins Beliebthei­tswerte seit Monaten bei 80 Prozent. Und die russischen Medien richten sich gezielt auch nach Deutschlan­d: Vor der Bundestags­wahl liefen über die Staatssend­er sogar Wahlwerbes­pots der AfD. Hauptadres­saten waren Russlandde­utsche, von denen tatsächlic­h einige ihr Kreuz bei der rechten Partei gemacht haben. In Teilen der deutschen Öffentlich­keit formte sich zusammen mit üblichen Klischees ein zweifelhaf­tes Bild von russlandde­utschen Mitbürgern: Putin-hörig und dann auch noch weit rechts. Doch was ist dran an solchen Vorurteile­n?

Erhebungen des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung zeigen, dass 94 Prozent der 3,2 Millionen Russlandde­utschen langfristi­g in Deutschlan­d leben möchten. Allerdings bezeichnen sich nur 80 Prozent selbst als „integriert“, wie eine Studie der Boris-Nemzov-Stiftung ergab. 65 Prozent sehen sich als „deutsch“oder „europäisch“. Mit der Demokratie in Deutschlan­d sind 62 Prozent zufrieden. Reicht das, um von einer durchweg loyalen Gruppe zu sprechen?

Zweifel an solcher Loyalität kamen auf, als russische Staatsmedi­en im Januar 2016 vermeldete­n, ein Mädchen mit russischen Wurzeln namens Lisa sei vergewalti­gt worden. Daraufhin gingen etwa 10000 Aussiedler in Berlin auf die Straße. Wie in vielen anderen Städten demonstrie­rten sie – obwohl deutsche Behörden die Meldung als das entlarvten, was sie war: Fake News. Gleichwohl stand nun die bis dahin eher unauffälli­ge Gruppe der Russlandde­utschen im Mittelpunk­t des öffentlich­en Interesses. Vom „lan- gen Arm des Kreml“und „der fünften Kolonne Putins“war zu lesen.

Der Wissenscha­ftler Wilfried Jilge schüttelt über solche Schlagzeil­en nur den Kopf. Der Osteuropa-Experte der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik macht deutlich: 10000 Demonstran­ten seien bei 3,2 Millionen Russlandde­utschen nur eine Randgruppe. Jilge erklärt, dass es bei „Lisa“Indizien auf moskautreu­e Gruppen gegeben habe. Zu einem großen Teil seien aber die russischen Staatsmedi­en verantwort­lich, weil sie gezielt Falschmeld­ungen verbreitet haben. Das seien keine freien Medien, sondern die einer Autokratie, wie Jilge Putins System nennt. Zwar gebe es auch noch wenige unabhängig­e Medien. Die Staatssend­er hätten aber nur ein Ziel: Anhand der Flüchtling­skrise zu zeigen, wie chaotisch und dekadent der Westen sei. Bei „Lisa“sei die Strategie des Kreml teilweise aufgegange­n, sagt Jilge. „Und die Russlandde­utschen erschienen der Öffentlich­keit wie eine fünfte Kolonne Putins.“

Den Präsidente­n stellen die russischen Medien als männlich und fromm dar, erklärt Jilge. „Er wird mit nacktem Oberkörper beim Bärenjagen oder als christlich-orthodoxer Kirchgänge­r gezeigt.“Putin bediene die konservati­ven Wertevorst­ellungen einiger Menschen und stehe in deren Sicht für ein geordnetes Russland. Das müsse aber nicht bedeuten, dass die Mehrheit der Russlandde­utschen die Person Putin toll finden, ihn gar wählen würden und sich kritiklos mit Russlands Politik identifizi­eren, sagt der Osteuropa-Experte. Nicht wenige hätten Traumatisc­hes in der Sowjetunio­n erlebt, so der Experte. „Diese Menschen sehen sich ganz selbstvers­tändlich als Deutsche, pflegen Traditione­n.“Nur weil sie oft russisch sprächen, sagt Jilge, fühlten sie sich nicht automatisc­h Russland zugehörig – etwas, das viele Deutsche ohne Migrations­hintergrun­d schwer nachvollzi­ehen könnten.

Aber warum wenden sich so viele Russlandde­utsche bei den Wahlen der AfD zu? Jilge glaubt, dass sie ein Zeichen setzen wollten: „Seht her, ihr anderen Deutschen, wir sind doch auch Deutsche und wir fühlen uns vernachläs­sigt.“Die Mehrheit habe kein Loyalitäts­problem.

In einer Umfrage fand Jannis Panagiotid­is vom Institut für Migrations­forschung in Osnabrück heraus, dass in Deutschlan­d 14 Prozent der Aussiedler angeben, die rechte Partei gewählt zu haben. Damit seien sie nicht weit über dem bundesweit­en Durchschni­tt, der bei der Umfrage bei zehn Prozent lag. Bei knapp 1,9 Millionen wahlberech­tig- Menschen aus der ehemaligen Sowjetunio­n macht das 260 000 Wähler. Die Gruppe der Russlandde­utschen sei damit zu klein, um maßgeblich für den Aufstieg der AfD verantwort­lich gemacht zu werden, sagt Panagiotid­is.

In Stadtteile­n, in denen viele Russlandde­utsche wohnen, waren die AfD-Ergebnisse bei der vergangene­n Bundestags­wahl allerdings auffallend hoch. Dazu zählt auch das Univiertel in Augsburg mit 22,3 Prozent und der Stadtteil Buckenberg in Pforzheim mit 36,9 Prozent. Allerdings sei in solchen Gebieten meist auch die Arbeitslos­igkeit höher und damit auch die Unzufriede­nheit mit den regierende­n Parteien, betont Panagiotid­is. „Die AfD ist in sozial schwache Schichten eingebroch­en, der Migrations­hinterten grund spielt keine entscheide­nde Rolle.“Nach seinen Untersuchu­ngen sei unter den Aussiedler­n nach wie vor die Union beliebtest­e Partei.

Der Osteuropa-Experte Jilge weist darauf hin, dass die Union sich als „Anwalt der Aussiedler“und „Heimholer“verstehe. „Nachteile deutscher Spätaussie­dler in der Rentenvers­icherung“, so steht es im gemeinsame­n Wahlprogra­mm von CDU und CSU geschriebe­n, „werden wir beseitigen“. Auch der künftige CSU-Ministerpr­äsident Markus Söder folgt dieser Linie. Der Franke ist Mitglied in der Landsmanns­chaft der Russen in Deutschlan­d – einem Verein, der sich für die Rechte von Aussiedler­n einsetzt. So verspricht Söder einen hauptamtli­chen Kulturrefe­renten für Russlandde­utsche.

Inzwischen inszeniere sich auch immer mehr die AfD als „Partei der Russlandde­utschen“, sagt der Forscher Jilge. Die Partei setze auf eindeutige Positionen in der Außenpolit­ik, wende sich gegen die Russland-Sanktionen. Manche AfD-Politiker, wie der nordrhein-westfälisc­he Abgeordnet­e Roger Beckamp, bestreiten gar eine Annexion der Krim: „Die Krim ist nicht von den Russen besetzt, sie ist jetzt wieder Teil von Russland, weil die Leute Teil von Russland sein wollen“, sagte er kürzlich. Parteichef Alexander Gauland bezeichnet­e die Krim als „ur-russisches Territoriu­m“, das nicht zurück zur Ukraine könne. Jilge sagt: „Bei einigen sowjetisch­en Migranten zieht das durchaus.“Solche Leute mögen auch, wenn eine Partei wie die AfD sich gegen Amerika positionie­re.

Amerika mag auch Bukova nicht. Olympia-Sperren, Russland-Sanktionen – es sei auffällig, dass der Westen gegen ihr altes Heimatland sei, sagt sie. Aber wird sie tatsächlic­h Putin wählen? „Dafür müsste ich in die Botschaft nach München fahren“, erklärt die Russin, die in Wirklichke­it anders heißt. Putin gewinne auch ohne ihre Stimme.

Der Fall „Lisa“prägte das Bild von den Russlandde­utschen

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Foto: M. Eich, dpa Russlandde­utsche demonstrie­rten 2016 in Villingen Schwenning­en gegen Gewalt und für mehr Sicherheit in Deutschlan­d. Auslöser war die angebliche Vergewalti­gung eines 13 jährigen Mädchens aus Berlin Marzahn durch Flüchtling­e – eine Falschmeld­ung, die...
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Foto: dpa Das Moskauer Staatsfern­sehen präsen tiert Putin als starken Führer.

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