Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Totentanz

Josef Hader und Hannah Hoekstra spielen zwei Lebensmüde in Amsterdam – ein Festival des schwarzen Humors, klar. Aber doch nicht etwa eine Liebesgesc­hichte?

- VON MICHAEL RANZE

Nicht einmal in Ruhe auf den Tod vorbereite­n kann man sich in diesem Hotel. Arthur war extra von Wien nach Amsterdam geflogen, um hier die gesetzlich erlaubte Sterbehilf­e in Anspruch zu nehmen. Er ist unheilbar an Lungenkreb­s erkrankt und möchte sich das Leiden ersparen. Doch als er am Vorabend des geplanten Suizids im Hotel bei einem Glas Rotwein Abschiedsb­riefe schreiben will, wird er durch laute Heavy-Metal-Musik gestört. Aufgebrach­t klopft Arthur an die Tür des Nachbarzim­mers – und begegnet der völlig aufgelöste­n Claire, einer attraktive­n Holländeri­n Anfang dreißig. Irgendetwa­s stimmt nicht: Die Badewanne läuft über, ein Gläschen Schlaftabl­etten fällt um.

Offenbar begegnen sich zwei Menschen, die mit dem Leben abgeschlos­sen haben. Trotz ihrer Charakteru­nterschied­e raufen sie sich zusammen und ziehen durch das nächtliche Amsterdam, vom überfüllte­n Lokal in einen Coffeeshop, vom Tanzclub in eine Bar.

Die anfänglich­e Abneigung weicht Interesse, die angespannt­e Stimmung wandelt sich in Vertrauthe­it. Arthur erzählt von seinem entfremdet­en Sohn und über die kuriose Begebenhei­t, die zum Zerwürfnis führte, Claire von ihrer fünfjährig­en Tochter und dem Trauma, das sie miteinande­r verbindet. Plötzlich ist es Morgen, und Arthur muss entscheide­n, ob es nicht doch einen Grund gibt, vielleicht länger zu leben.

Das ist auch schon alles, was in diesem Film passiert, der lose auf dem gleichnami­gen Theaterstü­ck von Stefan Vögel beruht. Die Handlung war darin auf einen einzigen Ort, das Hotelzimme­r, beschränkt. Regisseur Miguel Alexandre, der gemeinsam mit Hauptdarst­eller Josef Hader das Drehbuch schrieb, hat diese Grenze gesprengt und ist nach draußen gegangen, in die nächtliche Stadt mit ihren Versprechu­ngen von Romantik und Abenteuer, aber auch mit deren Dekonstruk­tion durch die Bilder schmucklos­er Industrieg­ebiete. Das gibt dem Film etwas leichtfüßi­g-flanierend­es.

Die Inszenieru­ng fängt das gewichtige Todesthema immer wieder durch Ironie und schwarzen Humor auf. Vor allem Hader steuert viele lakonische Sprüche bei. Die dramaturgi­sche Reibung entsteht vor allem durch die Gegensätzl­ichkeit der Charaktere. Hader spielt den verklemmte­n Grantler, der nur allzu gern seinem Entrüstung­sbedürfnis nachgibt. Nicht einmal im Coffeeshop fühlt er sich wohl: „Beim Entspannen habe ich Versagensä­ngste.“Hannah Hoekstra verkörpert hingegen glaubwürdi­g die temperamen­tvolle Claire, die zwischen Lebenswill­en und Lebensmüdi­gkeit gefangen ist. Ein Spannungsf­eld, das sich in gelegentli­chen Wutausbrüc­hen entlädt.

 ?? Foto: Universum ?? Nein, das ist keine Romanze. Eher ein Tanz am Abgrund: Claire (Hannah Hoekstra) und Arthur (Josef Hader) – in der Nacht vor ihrem Tod?
Foto: Universum Nein, das ist keine Romanze. Eher ein Tanz am Abgrund: Claire (Hannah Hoekstra) und Arthur (Josef Hader) – in der Nacht vor ihrem Tod?
 ??  ?? Arthur & Claire (1 Std. 39 Min.), Tragikkomö­die, Niederland­e 2017 Regie Miguel Alexandre Mit Josef Hader, Hannah Hoekstra, Rainer Bock Wertung ★★★★✩
Arthur & Claire (1 Std. 39 Min.), Tragikkomö­die, Niederland­e 2017 Regie Miguel Alexandre Mit Josef Hader, Hannah Hoekstra, Rainer Bock Wertung ★★★★✩
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