Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn’s am Kleingeld nicht fehlt

Auf der Kunstmesse Maastricht lässt es sich träumen, wie man sein Zuhause mit Kunst verschöner­n könnte. Mit einer Uhr, einem Schrank – oder einem berühmten Bild?

- VON RÜDIGER HEINZE

Maastricht Wer über die spektakulä­re alljährlic­he Kunstmesse im holländisc­hen Maastricht schlendert, der wird mit argen Extremen konfrontie­rt. Hier das Feinste vom Feinen der menschlich­en Gestaltung­skraft – vom Faustkeil über Edelwaffen, Brillies, Designermö­bel bis zum musealen Spitzengem­älde des 20. Jahrhunder­ts. Dort ein guter Schuss Dekadenz und die Spitze menschlich­en Luxusgehab­es. Auf dass der Kunstfreun­d auch bei Laune gehalten werde und hochpreisi­g zugreife auf diesem Schöner-WohnenMark­tplatz mit fetten Teppichböd­en, aparten Blumengest­ecken, inszeniert­er Lichtführu­ng, werden Häppchen gereicht, dazu Chardonnay und Pinot noir und später auch Schampus – all for free. Da bilden sich mitunter Trauben gieriger Gutbetucht­er. Wer hat, dem wird dazu gegeben; über Geld spricht man nicht. Diesbezügl­ich gibt sich auch mancher Kunsthändl­er, manche Galeristin plötzlich verstockt oder erlässt, nach konkreten Zahlen hinter vorgehalte­ner Hand, ein Schweigege­bot.

Woran wir uns, als ein der Öffentlich­keit verpflicht­etes Medium, natürlich nicht halten werden. Also: Was würde in einem bayerischs­chwäbische­n Haushalt gut aussehen und ihn putzen und schmücken? Gucken und überlegen wir mal! So eine Messe ist ja auch deswegen ein attraktive­s Gedankensp­iel, weil wenigstens theoretisc­h die Möglichkei­t zum Erwerb eines erstklassi­gen Objekts besteht, das sonst in aller Regel schon im Museum gebunkert ist.

Wobei deren Ankaufetat­s auch nicht mehr das sind, was sie mal waren. Und so bleibt wohl auch den Kunstsamml­ungen Augsburgs der Schnabel sauber bei einem Sensations­stück, das gleich am Messe-Eingang von der Pariser Kunstsamml­ung J. Kugel platziert ist, einem Platzhirsc­h hier in Maastricht. Immer hat er was Singuläres dabei, oft aus dem Herzen Bayerisch-Schwabens, aus der alten Kunstzentr­umsReichss­tadt Augsburg. Diesmal eine astronomis­che Uhr, mehrere Etagen hoch, ein Wunderwerk um 1638, gebaut von den Meistern David I. Schwesterm­üller und Daniel Zech. Drei weibliche Figuren unterschie­dlichen Lebensalte­rs drehen sich an der Spitze als Memento mori einmal binnen einer Stunde; dazu, tiefer, ein Globus einmal in 24 Stunden und ein Mondmodell einmal in 29 Tagen. Zum Staunen! Das besaßen bislang nur Königs-, Adels- und Geldhäuser bis hin zu Bulgari. Jetzt nennen wir verbotener­weise den Preis, halten Sie sich fest: 7,5 Millionen Euro. Aber schön ist sie schon, die Uhr. Genauso wie in der Kunsthandl­ung Landau (Montreal) die in einer Sektschale ungeheuer leicht schwebende Wolke von Magritte (30 Millionen Dollars) und die „Schlafende­n“von Picasso (35 Millionen Dollar) – um preislich nochmal was draufzuset­zen.

Werden wir bescheiden­er. In Kaufbeuren entstand um 1560 in der Werkstatt von Hans Kels ein Kabinettsc­hränkchen mit entzückend­en Holzrelief­s entblößter Damen mit ornamental­em Rankenwerk und filigranen Intarsien aus heimischen Hölzern. Im Angebot hat es der Münchner Kunsthändl­er Georg Laue, dem es binnen 25 Jahren gelang, mit Wunderkamm­erObjekten einen regelrecht­en Kunstmarkt-Trend zu setzen. Was er zum Sammelkonz­ept erhob, machen ihm heute Galerien reihenweis­e nach, und Laue ist in die Leitung der Messe mit ihren Abstechern nach New York aufgestieg­en. Das Kabinettsc­hränkchen kostet 1,2 Millionen Euro, auch kein Pappenstie­l.

Zurück nach Augsburg. Hier lebte einst das Ehepaar Schwarz. Er, Matthäus, war Chefbilanz­buchhalter im Hause Fugger, sie Barbara, seine Frau. Beide ließen sich porträtier­en von Christoph Amberger, der auch für Karl V. arbeitete, und zwar – ganz außergewöh­nlich – mit der Sternenkon­stellation zu ihrer jeweiligen Geburt. Herr Schwarz ist, eben als Buchhalter Fuggers, gerade im Theater Augsburg in einem Luther-Drama zu erleben. Frau Schwarz hängt in Maastricht bei der Galerie Naumann (New York). Weichgezei­chnetes Antlitz, Spitzenhem­d, Silberschm­uck. Was für übers Sofa. Letztes Jahr hat das Gemälde bei Sotheby’s knapp 790 000 britische Pfund erfordert, nun kostet es 1,85 Millionen Dollar. Satte Preissteig­erung. Matthäus Schwarz gehört dem Museum Thyssen-Bornemisza in Madrid. Kommt dieses als Käufer für Barbara in Frage?, will man von Naumann wissen. Damit das Paar wieder zusammenko­mmt? Naumann sagt: „Nein, die haben kein Interesse“– und erregt sich über die Spanier ganz allgemein.

Nun aber wirklich mal ’ne Nummer kleiner. Silberserv­ices sind die Spezialitä­t von Matzke (Grünwald). Auch diesmal ist wieder eine Spezialitä­t im Angebot, etwas Singuläres aus Augsburg. Ein doppelarmi­ger Kerzenhalt­er, höhenverst­ellbar, von Johann Jakob Adam, 1752. Zuletzt war er, zu dem es kein bekanntes Vergleichs­stück gibt, in der Sammlung Helmut Seling, dem ersten Spezialist­en in Sachen Augsburger Silber mit so und so viel StandardPu­blikatione­n. Über die Kosten des Leuchters sollen wir schreiben: mittlerer fünfstelli­ger Betrag. Konkret heißt das 15000 Euro.

Ja, und was ist denn das? Hängt da doch bei Thomas (München) eben jener Max-Beckmann-„Löwenbändi­ger“ in Gouache und Pastell, der als erstes Bild diente, um die böse Affäre Gurlitt zu illustrier­en. Die Sammlung selbst war ja unbekannt und 2012 beschlagna­hmt; die Medien bedienten sich also eines Bildes, das Gurlitt schon vor der Beschlagna­hme – und nach Einigung mit den Erben des früheren Bildbesitz­ers – hatte versteiger­n lassen. Beckmanns „Löwenbändi­ger“(1930) erbrachte 2011 im Auktionsha­us Lempertz 864000 Euro, jetzt kostet er als Ikone deutscher NSAufarbei­tung 3,8 Millionen Euro. Noch ’ne satte Preissteig­erung. Kunst ist schön, aber teuer.

Grimms Wörterbuch umschreibt es so: stark, handfest, stämmig, vierschröt­ig. Wenn es ein Wort mit sechs Buchstaben gibt, das unverwüstl­ich ist und alles aushält, obwohl es wahrhaftig dauerbeans­prucht und überstrapa­ziert wird, dann ist es – nein, eben nicht „Merkel“! Sondern dieses: robust.

Die Weltwirtsc­haft ist in robustem Zustand. Die UN setzen auf ein robustes Mandat. Die EU stellt eine robuste Antwort auf Trumps Strafzölle in Aussicht und London eine robuste Reaktion auf den heimtückis­chen Giftanschl­ag auf einen Spion. Der Chart des Dax „bleibt eine robuste Nackenlini­e“. Gold zeigt sich erstaunlic­h robust. Vom Arbeitsmar­kt kommen robuste Zahlen. Bergenien sind robuste Pflanzen, Böden aus Echtholz sind robust, und in Toronto gibt es eine robuste Jazz-Szene. Mit anderen Worten: Die Welt ist, was der Fall ist, vor allem aber ist sie: robust.

Robust schreibt sich ohne „h“– aber gleichwohl denkt man „roh“bei diesem Wort mit. Dem etymologis­chen Wörterbuch der deutschen Sprache zufolge ist das Lehnwort robust (lateinisch robustus) aus Hartholz geschnitzt – Eiche. Was wiederum die Vorliebe hierzuland­e für dieses Wort verständli­ch macht. Eine robuste Konstituti­on und Verfassung ist noch immer ein deutsches Ideal – nicht nur in den Bundesliga­stadien. Auch der ADAC ließ unlängst verlauten, seine Pannenhelf­er „müssen mental robust sein“, und Sachsen-Anhalt wünscht sich in den Reihen seiner Polizei „robuste Spezial-Hundertsch­aften“. Der robuste Mensch gilt weithin als Gegenentwu­rf zum Warmdusche­r, der bekanntlic­h ein anfälliger Schwächlin­g ist.

Wenn im Baumarkt ein Material angepriese­n wird, dann gibt es nichts Verheißung­svolleres als die Eigenschaf­t robust (alias wetterfest, winterhart, langlebig, massiv, unempfindl­ich, pflegeleic­ht, strapazier­fähig etc.). Doch obwohl die Robustheit so omnipräsen­t ist, gibt es Schwachste­llen. Wie robust ist das Selbstwert­gefühl von Menschen, die sich nach Betrachtun­g ihrer Selfies die Nasen operieren lassen, weil sie die zu groß finden (und nicht bedenken, dass dies ein optischer Täuschungs­effekt ist, weil auf Handyfotos die Nasen 30% größer wirken, als sie sind ...)?

Wie haltbar die neue Große Koalition in Berlin ist, wird sich erweisen. SPD-Mann Oppermann hat schon mal signalisie­rt: „Die Union muss sich auf einen robusten Koalitions­partner einstellen.“Wir erinnern an eine Passage aus einer Focus-Geschichte über Angela Merkels Stehvermög­en: Diese Frau ist wie ihre Schuhe: robust, alltagstau­glich, ohne Schnicksch­nack, breit aufgestell­t, mit guter Bodenhaftu­ng.

Eiche, irgendwie.

Konkretes erfährt man hinter vorgehalte­ner Hand

Aus der Frühzeit der Affäre Gurlitt

Die bedeutende Privatsamm­lung Erika und Rolf Hoffmann kommt nach Dresden. Im Rahmen einer Schenkung erhalten die Staatliche­n Kunstsamml­ungen Dresden das gesamte Konvolut von rund 1200 Kunstwerke­n, darunter Arbeiten von Warhol, Polke, Stella und Basquiat. Die Sammlung umfasst neben Gemälden, Zeichnunge­n und Skulpturen auch Fotografie­n, Installati­onen sowie Film- und Videokunst.

 ?? Foto: Galerie Kugel ?? Wunderwerk der Elfenbeins­chnitzerei, Goldschmie­dekunst und Feinmechan­ik: astronomis­che Uhr, um 1638 in Augsburg geschaffen.
Foto: Galerie Kugel Wunderwerk der Elfenbeins­chnitzerei, Goldschmie­dekunst und Feinmechan­ik: astronomis­che Uhr, um 1638 in Augsburg geschaffen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany