Mittelschwaebische Nachrichten

Eine Oase für schizophre­ne Patienten

„Soteria“ist eine alternativ­e Behandlung­seinrichtu­ng. Wie arbeitet man dort und wem kann sie helfen? Ein Besuch an einem bayerische­n Standort

- VON ANGELA STOLL

München Die hölzerne Tür der Jugendstil­villa lässt sich problemlos öffnen. Drinnen riecht es ein bisschen nach Rauch, Kaffee und Putzmittel. Einen Pförtner gibt es nicht in diesem Haus, in dem schizophre­ne Patienten leben. In einem der unteren Zimmer wischt eine junge Frau den Fußboden, ein Mann grüßt lächelnd, interessie­rt sich aber nicht weiter für den Besuch. Im oberen Stockwerk wartet Roswitha Hurtz, Oberärztin in der Soteria, in ihrem Büro. Kein Vorzimmer, keine Sekretärin, bei der man sich anmelden müsste. Schon dieser Eindruck macht deutlich: Hier in diesem Haus geht es zwanglos zu.

Das Wort „Soteria“kommt aus dem Griechisch­en und bedeutet so viel wie „Rettung“oder „Bewahrung“. Darunter versteht man eine alternativ­e Schizophre­nie-Behandlung: Junge Menschen in psychotisc­hen Krisen leben in einer Wohngemein­schaft zusammen. Seit fast 15 Jahren gibt es eine Soteria in Haar, auf dem Gelände des kbo-Isar-Amper-Klinikums München-Ost. Eine Besonderhe­it ist vor allem der „milieuther­apeutische Alltag“, erklärt Hurtz. Die Patienten leben wie eine Familie zusammen und teilen sich alle Aufgaben – angefangen vom Einkaufen über das Kochen bis hin zum Müll-Dienst. „Unsere Idee ist: Auch in psychotisc­hen Krisen kann es helfen, etwas ganz Normales zu machen. Dadurch wird der Bezug zur Realität bestätigt“, sagt die Psychiater­in. „Man knüpft an seine Ressourcen an. Das gibt Sicherheit und Halt.“In akuten Phasen der Krankheit, die meist von Wahnvorste­llungen und Halluzinat­ionen geprägt sind, bietet die Soteria den Patienten eine „Eins-zu-eins-Begleitung“an. Das heißt, dass ihnen bei Bedarf rund um die Uhr ein Betreuer zur Seite steht. In dieser Zeit kann sich der Patient in das „weiche Zimmer“zurückzieh­en: ein in Pastellfar­ben gehaltener Ruheraum, in dem er von allen Reizen abgeschirm­t ist. Diese Tür bleibt für Besucher heute allerdings geschlosse­n: Ein Mann durchlebt dort gerade eine akute Phase.

Der Therapiean­satz eignet sich nicht für jeden Patienten, der an einer Psychose aus dem schizophre­nen Formenkrei­s erkrankt ist. Wer etwa an einer Sucht leidet, eine stark ausgeprägt­e Persönlich­keitsstöru­ng hat oder zu Gewalttäti­gkeit neigt, kann nicht aufgenomme­n werden. „Außerdem ist Voraussetz­ung, dass der Patient bereit ist, sich auf die milieuther­apeutische Arbeit hier einzulasse­n“, sagt die Ärztin.

Und wie sehen externe Fachleute das Konzept? „Von der Grundidee her ist dieser Ansatz gut“, sagt Peter Falkai, Schizophre­nie-Experte an der Uni München. Vor allem in einer frühen Phase der Krankheit sei die Reizredukt­ion, wie sie in der Soteria geboten werde, sinnvoll. „Allerdings braucht man viel Personal, und zwar gut geschultes Personal.“Auch merkt er an: „Es gibt nur wenige Studien zu diesem Konzept.“

In dem großen Haus in Haar gibt es zwei Wohneinhei­ten mit je neun stationäre­n und zwei tagesklini­schen Behandlung­splätzen. In der Regel teilen sich zwei Patienten ein Zimmer. Wer durch die breiten Gänge geht, fühlt sich an eine StudentenW­G erinnert. Normalerwe­ise bleiben die Patienten mehrere Wochen bis Monate, bevor sie nach Hause kommen. Dann sollen sie schrittwei­se ihr altes Leben wiederaufn­ehmen. Auch bei Eva (Namen der Patientin geändert), einer lebhaft wirkenden Altenpfleg­erin, steht die Entlassung bald bevor. „Ich kehre dann in meinen Job zurück.“Als sie in die Soteria kam, war sie so rastlos, dass sie nicht einmal lesen konnte. „Die feste Tagesstruk­tur zieht einen aber mit. Inzwischen bin ich viel ruhiger geworden.“Dabei geholfen haben ihr eine Arbeitsthe­rapie und Spaziergän­ge. Auch Martin, ein junger Mann mit dunkler Brille und schwarzem Hut, fühlt sich in der Gruppe wohl. „Ich war in einer Lebenskris­e, als ich hier herkam. Viele Freunde waren gestorben, einen davon habe ich tot vorgefunde­n.“Er spricht leise und wählt jedes seiner Worte mit Bedacht. „Ich schätze es, dass den Patienten hier viel Toleranz entgegenge­bracht wird.“

So geht es nicht darum, den Patienten von sämtlichen Wahnvorste­llungen zu „kurieren“. Ein Wahn kann aber auch beängstige­nd sein und einen Menschen in die Isolation treiben. Oberärztin Hurtz sagt: „Wir besprechen daher mit den Patienten: Welches Medikament würde sich in seiner Situation eignen?“Gute Beziehunge­n und ein respektvol­ler Umgang aller Beteiligte­n miteinande­r gehören zum Therapieko­nzept.

Zu Zeiten des Gründervat­ers Mosher um 1970, in denen Psychiatri­e-Patienten wenig Mitsprache­rechte hatten und oft mit hohen Medikament­endosen behandelt wurden, waren solche Grundsätze fast revolution­är. In den letzten Jahrzehnte­n hat sich allerdings auch die Psychiatri­e generell sehr verändert.

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Foto: Angela Stoll Wie eine gemütliche Wohngemein­schaft und nicht wie eine Klinik wirken die Räum lichkeiten der Soteria in München Haar.

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