Mittelschwaebische Nachrichten
Im Zentrum der Macht
Mit Hans Reichhart gehört nach fast zwei Jahrzehnten wieder ein CSU-Mann aus dem Landkreis Günzburg der Staatsregierung an. Aufzeichnung eines außergewöhnlichen Tages
München Normalerweise hat es Hans Reichhart nicht so mit dem Krawatte tragen. Gestern machte er eine Ausnahme. Denn es war nicht irgendein Tag, den der 35 Jahre alte CSU-Politiker aus Jettingen-Scheppach am Mittwoch in München erlebte. Als einfacher Abgeordneter fuhr der Jurist hin. Als Staatssekretär im Finanzministerium kehrte er zurück. Dazwischen lagen aufregende Stunden.
Dem neuen Ministerpräsidenten Markus Söder ist es gelungen, die künftigen, aber auch die ausscheidenden Kabinettsmitglieder dazu zu verpflichten, nichts nach außen dringen zu lassen. Noch gestern Vormittag führte Söder nach Informationen der Günzburger Zeitung Personalgespräche beinahe im Minutentakt. Reichhart wusste durch einen Telefonanruf am Vorabend, dass er am Mittwoch um 9 Uhr in der Staatskanzlei erscheinen solle. Kein schlechtes Zeichen, da der frühere Jugendrichter am Amtsgericht Dillingen ja keinen Posten zu verlieren hatte. Welche Botschaft Söder aber konkret an ihn richten wollte, das wusste er nicht.
Das Gespräch in der Staatskanzlei soll dem Vernehmen nach ziemlich kurz gewesen sein. Auf Inhalte wollte Reichhart auf Nachfrage nicht eingehen. Die Kernaussage aber war zu diesem Zeitpunkt für den zweifachen Familienvater klar: Er wird fortan Söders Regierungsteam angehören – und das als Staatssekretär im Finanzministerium, einem Schlüsselressort.
Er habe sich über das Vertrauen, das der Ministerpräsident in ihn setze, „riesig gefreut“, sagte Reichhart. Gleichzeitig sprach er von einem „Heidenrespekt vor dieser nicht einfachen Aufgabe“. An finanziellen Stellschrauben für alle Ressorts zu drehen, die Beteiligungen Bayerns und den Haushalt überhaupt im Blick zu haben, wird zu den Dingen gehören, die Reichhart als zweiter Mann nach dem neuen Finanzminister Albert Füracker (Oberpfalz) in Zukunft mitverantwortet. Genau wusste er noch nicht, was auf ihn zukommt. Aber Bange machen gilt nicht. „Ich bin bereit, Verantwortung zu übernehmen.“
Und das soll dann offenbar auch noch „im schönsten Haus sein, das man sich vorstellen kann“. So sei ihm jedenfalls von einer nicht unbe- deutenden Person aus der Ministerialbürokratie, die augenscheinlich den Vergleich unter verschiedenen Ministerien anstellen kann, bedeutet worden.
Was nun tun mit dem Wissen nach dem Gespräch mit Söder und vor der CSU-Fraktionssitzung mittags um 12 Uhr, in der der Ministerpräsident seine Kandidaten vorstellte? Reichhart machte es so wie die anderen 13 Minister und drei Staatssekretäre: Den Mund halten; und Vestecken spielen, was an solchen Tagen wohl an der Tagesordnung ist. Das sieht ganz konkret so aus: Wer sich von den Herren zu früh mit einem Schlips umgibt, könnte damit ein unter Umständen verräterisches Zeichen setzen, das vor der Bekanntgabe des Pesonaltableaus durch den Chef vermieden werden sollte.
Reichhart ging also in den Ausschuss, der sich mit der Anhörung zum Polizeiaufgabengesetz beschäftigte. Ausreichend spät holte er seine blaue Krawatte und ein Wechselhemd aus dem Kofferraum seines Autos, um sich fein zu machen für die Vereidigung durch Landtagspräsidentin Barbara Stamm. Von den Fernsehkameras des Bayeri-
war der Landeschef der Jungen Union (JU) bei Söders Vorstellung der neuen Regierung gar nicht erfasst worden. Reichhart saß ziemlich versteckt direkt vor der Rückwand im Plenarsaal. Das wird in Zukunft nicht mehr so sein, wenn er auf der Regierungsbank Platz nimmt.
Von Reichhart wisse er ebenso wie von den übrigen Staatssekretären „zu wenig, als dass wir eine Benotung vornehmen könnten“, sagte SPD-Fraktionsvorsitzender Markus Rinderspacher während der Landtagssitzung. Er vermutete ein Dankeschön Söders an den JU-Chef. Denn die CSU-Nachwuchsorganisation hatte sich Anfang November auf ihrer Landesversammlung in Erlangen klar dafür ausgesprochen, dass der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer möglichst bald den Weg für den CSU-Spitzenkandidaten Söder für die Landtagswahl frei machen sollte. Beobachter werteten das als Mosaikstein, der zur Demontage Seehofers beigetragen hatte.
Als Letzter wurde Reichhart gestern Nachmittag zur Vereidigung von Landtagspräsidentin Stamm aufgerufen. Alle Regierungsmitglieder versammelten sich vor ihr im Halbrund, Reichhart stand von ihr aus betrachtet ganz links – und hatte vor lauter Eile vergessen, sein blaufarbenes Jackett zuzuknöpfen. Später gab’s im Prinz-Carl-Palais, das in Wurfweite zur Staatskanzlei liegt, die Ernennungsurkunde aus den Händen von Markus Söder.
Justizminister war Alfred Sauter. Landtagsabgeordneter und Günzburger CSU-Kreisvorsitzender ist er. Und der 67-Jährige ist ein Strippenzieher, der es versteht, die Interessen der Region zu vertreten – inhaltlich wie personell. Hinter den Kulissen dürfte er sich für Reichhart, der ihm den Platz als Direktkandidat für die Landtagswahl brav überlassen hatte, stark gemacht haben. Über seinen Schützling sagt Sauter: „Reichhart ist hoch qualifiziert. Zu jung ist er nicht. Ich bin mit 38 Staatssekretär geworden, er jetzt mit 35 Jahren. Außerdem steht er an der Spitze der JU mit 30000 Mitgliedern. Das soll ihm erst einmal »Bayern einer nachmachen.“