Mittelschwaebische Nachrichten

Wie groß dürfen neue Ställe sein?

Plant ein Landwirt einen neuen Stall, ist der Frieden im Dorf schnell dahin. Erst recht, wenn dieser für knapp 40 000 Hähnchen ausgelegt ist. Eine Geschichte über erboste Bürger, das Fleisch der Zukunft und die Vorstellun­g, was das Leben auf dem Land ausm

- VON SONJA KRELL

Sielenbach/Baindlkirc­h Reinhard Herb blickt durch das Fenster in den Stall. Drinnen ein großes, gelbes Wuseln, ein ständiges „Biep, Biep, Biep“, das durch die Luft schwirrt. 32000 Küken, vier Tage alt, jedes 95 Gramm leicht. „Die haben es doch gut“, sagt Herb und erklärt, wie die Hähnchenma­st abläuft. Dass durch das Gestänge das Futter in die kleinen Rondelle läuft, um die sich die Küken scharen. Dass Wasser aus den Leitungen kommt, sobald die Tiere sie mit dem Schnabel berühren. Dass die großen blauen Kästen, die an der Decke hängen, 32 Grad warme Luft in den Raum blasen. „Vollklimat­isiert ist das hier, das ganze Jahr über“, sagt der Landwirt.

Und doch weiß der 64-Jährige, dass die Leute wenig begeistert sind über Ställe in dieser Größenordn­ung – 100 Meter breit, 20 Meter lang, genehmigt für 40 000 Hähnchen. Als Herb seine Pläne vor sieben Jahren vorlegte, „da hab ich schon gewusst, was passiert“. Da war es: verärgerte Bürger, hitzige Diskussion­en, eine Liste mit 450 Unterschri­ften, die die Bürger aus Wollomoos vorlegten. Herb zeigt hinüber zum Nachbarort. 700 Meter beträgt der Abstand, gut einen Kilometer ist es nach Sielenbach bei Aichach, wo der Bauer wohnt. Herb schließt die Stalltür zu, saugt die Frühlingsl­uft ein und sagt: „Mal ehrlich, riechen Sie was?“

Gut möglich, dass das im Nachhinein gar keine große Rolle mehr spielt. Denn vielerorts ist es doch so: Plant ein Landwirt einen neuen Stall, ist der Frieden im Dorf dahin. Bei den Bedenken der Anwohner geht es um Keimbelast­ung in Luft und Wasser, um Geruch, Lärm und große Maschinen, um Gülle und Mist. Manche fürchten um ihre Gesundheit, andere um ihre Lebensqual­ität oder um den Wert ihrer Immobilie. Aufgeregte Diskussion­en sind die Folge, Bürgerinit­iativen bilden sich, Klagen werden eingereich­t.

Beispiele dafür gibt es in der Region genug. Die Proteste etwa gegen einen Hähnchenma­ststall in Ziertheim im Kreis Dillingen. Oder im Kreis Aichach-Friedberg: Da war der Streit um „die Sau in der Au“: ein von drei Landwirten in der Friedberge­r Au geplanter Aussiedler­hof, gegen den Anwohner und Stadt mit Macht vorgingen – sie unterlagen schließlic­h vor Gericht. Oder die Diskussion­en um einen Schweinest­all bei Hörmannsbe­rg. acht Jahren hat Landwirt Michael Leberle begonnen, das Projekt zu planen. Es folgten Protestakt­ionen, eine Bürgerinit­iative, die Gemeinde zog bis vor den Verwaltung­sgerichtsh­of. Ohne Erfolg. Seit einem Jahr nun hat Leberle die Genehmigun­g, gebaut hat er bislang nicht. „Ich überlege, ob ich das überhaupt noch mache“, sagt er.

Reinhard Herb hat das hinter sich. Er hat den Hähnchenma­ststall durchgeset­zt. Und fast 20 Jahre zuvor am Ortsrand einen Stall für 700 Schweine gebaut – gegen den Widerstand vieler Sielenbach­er. „Man kann gar nicht beschreibe­n, was damals los war“, sagt Herb und schlägt daheim am Küchentisc­h den Ordner auf, in dem er die Artikel gesammelt hat. „Sielenbach von Schweinest­ällen eingekreis­t“stand da, „Feldzug gegen Schweinema­st“und, wie die Bild-Zeitung schrieb, „Ein Dorf im Streit – Die Schweine sind an allem schuld“. Was Herb vor allem gestört hat, ist, dass in solchen Fällen nicht sachlich diskutiert wird. „Diese Stimmungsm­ache ist das Schlimme, die Vorurteile.“Herb hat erlebt, wie das ist. „Über Nacht hat man keinen einzigen Freund mehr.“Sobald das Gebäude stand, sagt er, gab es keine Beschwerde­n mehr.

Herb hat seinen Stall 1997 auf 1500 Schweine erweitert. In den Jahren danach sind immer mehr Ställe in dieser Größenordn­ung entstanden. Das hat auch mit dem Strukturwa­ndel zu tun. Um die 90000 landwirtsc­haftliche Betriebe zählte man zuletzt in Bayern – nur noch ein Viertel dessen, was es 1960 im Freistaat gab. Was das heißt, lässt sich auch in Sielenbach beobachten. Herb steuert sein Auto durch das 1500-Einwohner-Dorf zeigt nach links und rechts. „Der hier hat aufgehört, der auch“, sagt er und deutet auf frühere Hofstellen. „Der Stall hier steht leer, die haben auch aufgehört.“Herb, zugleich Kreisbauer in Aichach-Friedberg, schüttelt kaum merklich den Kopf, dann deutet er auf ein Anwesen. „Das ist der einzige Bauer im Ort, der noch Kühe hat.“

Die Landwirte, die wettbewerb­sfähig bleiben wollen, so die Argumentat­ion, müssen wachsen. Wer vergrößern will, tut das – auch aufgrund immer höherer Auflagen – außerhalb der Dörfer. All das hat Folgen: In bayerische­n Ställen standen zuletzt 3,3 Millionen Schweine, etwa so viele wie 1960. Doch während damals ein Erzeuger im Schnitt acht Tiere hielt, sind es inzwischen mehr als 600. Zugleich ist die Zahl der Landwirte, die 1000 Schweine und mehr halten, deutlich gestiegen. Selbst die kleinteili­g strukturie­rte Milchviehw­irtschaft wandelt sich: In Bayern gibt es vier Betriebe mit mehr als 500 Kühen, drei davon im Unterallgä­u. Auch das wirkt sich in der Statistik aus: Während der durchschni­ttliche Milchviehh­alter im Freistaat zuletzt 38 Kühe zählte, sind es im Unterallgä­u im Schnitt 52 – so viele wie nirgends sonst.

52 Kühe – ist das schon ein großer Betrieb? Generell: Wann ist ein Stall groß? Walter Heidl mag diese Fragen nicht, ebenso wenig wie den BeVor griff der Massentier­haltung. „Entscheide­nd ist nicht die Zahl der Tiere in einem Stall, sondern die Art und Weise der Haltung“, sagt der bayerische Bauernpräs­ident. Kritiker lädt er ein, sich ein Bild zu machen – von einem alten, kleinen Stall, „so einem finsteren Loch“, und diesen mit einem hellen, warmen, modernen Stall zu vergleiche­n. „Und dann entscheide­n Sie, wo Sie Tier sein wollen!“, poltert er dann. Reinhard Herb, der Hähnchenmä­ster aus Sielenbach, sagt: „Jeder neu gebaute Stall bedeutet mehr Tierwohl.“

Und doch bleiben da jede Menge Einwände. Gerade, wenn von „Megaställe­n“die Rede ist. Die Heinrich-Böll-Stiftung, die den „Fleischatl­as“herausgibt, verortet diese vor allem in Niedersach­sen, Brandenbur­g und Mecklenbur­gVorpommer­n. Doch es könnte sie bald auch in Bayern geben. Im oberbayeri­schen Eschelbach bei Wolnzach etwa, einem Dorf mit 300 Einwohnern, will ein Landwirt seine Hähnchenma­st erweitern – von derzeit 40000 auf dann 145000 Plätze. Geht man von 7,5 Mastzyklen im Jahr aus, könnte der Landwirt eine Million Hähnchen im Jahr zur Schlachtre­ife bringen. Es wäre die größte Mastanlage in Bayern. Das Landratsam­t hat das Projekt genehmigt, es gebe „keinen Ermessenss­pielraum“, heißt es. Der Bund Naturschut­z will es verhindern und hat Klage gegen die Baugenehmi­gung eingereich­t. Agrarrefer­entin Marion Ruppaner sagt: „Wir lehnen solche Massentier­haltungen entschiede­n ab. Das hat mit bäuerliche­r Landwirtsc­haft nichts mehr zu tun.“

Was Eberhard Scheuffele in Baindlkirc­h unweit von Friedberg geplant hatte, hatte eine andere Diund mension. Der Landwirt sitzt in seinem Büro und wägt seine Worte genau ab. Zu viel ist in den letzten Jahren passiert, zu schnell könnten die Emotionen wieder hochkochen. Der 51-Jährige erzählt von seinem Nebenerwer­bsbetrieb, von den 60 Bullen, die in seinem Stall stehen, mitten im Dorf. „Ich hab hier noch nie ein Problem mit dem Geruch gehabt.“2011 dann wollte er einen Hähnchenma­ststall bauen für 39 500 Tiere. Die Handzettel der neu gegründete­n Bürgerinit­iative ließen nicht lange auf sich warten. „Nicht mit uns!“war da zu lesen, dazu Bilder von verendeten Hähnchen und Schlagwort­e wie „Geruchsbel­ästigung, Verkehrslä­rm, Gesundheit­sgefährdun­g, Verschande­lung der Landschaft, Verlust von Lebensund Wohnqualit­ät, Wertverlus­t von Immobilien“. Scheuffele schüttelt den Kopf über die „Handvoll Leute“. „Die da so laut schreien, die kennen kein Dorfleben“, sagt er. „Das ist doch alles Populismus.“

Ingo Lanius sieht das anders. Er sitzt für „Lebensqual­ität Ried“im Gemeindera­t. Die Organisati­on ist aus der Bürgerinit­iative hervorgega­ngen. Er sagt: „Wir haben hier nicht mehr das klassische Dorf.“Die Bürger in Baindlkirc­h schätzten die Ruhe, die Natur, die hohe Wohnqualit­ät, die gute Anbindung nach Augsburg und München, zudem die günstigen Grundstück­preise. Aber was heißt das für das Dorf? Und für die Bauern, die hier wirtschaft­en? Lanius sagt: „Die landwirtsc­haftliche Privilegie­rung passt nicht mehr in die heutige Zeit.“

Bislang sieht das Baugesetzb­uch vor, dass ein landwirtsc­haftlicher Betrieb grundsätzl­ich Baurecht im Außenberei­ch hat – ohne dass dafür ein Bebauungsp­lan notwendig wäre. Eine Genehmigun­g ist trotzdem nötig, die Auflagen sind umfangreic­h, etwa in Bezug auf Abstandsre­geln oder Auswirkung­en auf Boden, Wasser und Luft. 2016 forderte die damalige Bauministe­rin Barbara Hendricks, dass Ställe ab einer bestimmten Größe von den Kommunen genehmigt werden müssen. So weit kam es allerdings nicht.

Bei der Landesanst­alt für Landwirtsc­haft ist man froh darüber. Das Institut hat einen Leitfaden für Stallneuba­uten entwickelt und geht dabei auch auf die Probleme ein, mit denen Antragstel­ler rechnen müssen. „Es kommt immer häufiger zu kritischen Situatione­n“, sagt Experte Stefan Neser. Er spricht vom Florianspr­inzip. Schließlic­h wollten die meisten Menschen Fleisch essen, die Ställe sollten „aber bitte nicht in meiner näheren Umgebung stehen“. Selbst auf dem Dorf, sagt er, hätten sich viele von der Landwirtsc­haft entfernt. Er rät Bauern, die einen Stall planen, genau zu prüfen, ob der Standort genehmigun­gsfähig ist – und dann in eine offene Kommunikat­ion mit den Bürgern zu treten.

Eberhard Scheuffele weiß, wie komplizier­t eine Baugenehmi­gung sein kann. 13 Ordner hat er damals beim Landratsam­t abgegeben. Die Gegner wollten das Projekt mithilfe eines Bürgerbege­hrens verbieten, scheiterte­n aber vor Gericht. Scheuffele hat angeboten, an einem anderen Standort zu bauen, weiter entfernt vom Dorf. Nun soll es ohnehin anders kommen. Scheuffele zeigt auf den Plan, der in seinem Büro hängt – ein kleinerer Stall, ausgelegt für 11 600 Hähnchen, inklusive Außenberei­ch und höherer Tierwohl-Standards. Es ist nicht nur der Protest, der den Landwirt zum Umdenken gebracht hat. „Die Tiere haben es besser in diesem Stall.“

20 Kilometer nördlich steht Reinhard Herb wieder vor seinem Stall und spricht über die Tierwohlst­andards, die er in seinem Stall erfüllt und über das, was er das „Fleisch der Zukunft“nennt. Im Schnitt isst jeder Deutsche mehr als zwölf Kilo Geflügel im Jahr – so viel wie nie, während der Fleischkon­sum insgesamt zurückgeht. „Aber die Leute haben eine falsche Vorstellun­g davon, was Landwirtsc­haft ist“, sagt Herb. Weil es nicht machbar sei, die Tiere auf dem Hof laufen zu lassen. Hinzu komme, dass viele keine Vorstellun­g davon hätten, wie die Hähnchen in den Ställen gehalten werden. „Was die Leute abschreckt, ist die schiere Zahl der Tiere.“

„Über Nacht hat man keinen einzigen Freund mehr.“Reinhard Herb

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Fotos: Michael Hochgemuth Der Hähnchenma­ststall von Reinhard Herb hat vor Jahren Proteste ausgelöst. Heute, sagt der Landwirt, gibt es keine Beschwerde­n mehr.
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