Mittelschwaebische Nachrichten

Plötzlich rastet der Patient aus

Immer mehr Ärzte und Pfleger werden in Krankenhäu­sern angegriffe­n oder beleidigt. Wie die Kliniken reagieren und warum nicht nur Krankheite­n Grund für die Attacken sind

- VON ANDREAS FREI UND KATHARINA MÜLLER

Augsburg Erst musste eine Fenstersch­eibe dran glauben. Der Mann warf mit so viel Kraft eine Tasse gegen das Schwestern­zimmer, dass das Glas zu Bruch ging. Dann stieß er auch noch mehrere Regale und Vitrinen um. Schaden: um die 1000 Euro. Das Erschrecke­nde an dem Vorfall vor 15 Monaten war: Der 33-Jährige war gerade Patient im Krankenhau­s in Donauwörth, und er rastete mitten auf der Station aus.

Randale in der Klinik – ein Ausnahmefa­ll? Das würde Siegfried Hasenbein so nicht unterstrei­chen. Nicht mehr. Der Mann aus Friedberg bei Augsburg ist Geschäftsf­ührer der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft und sagt: „Wir hören immer öfter von Gewalt in bayerische­n Krankenhäu­sern, insbesonde­re in den Notaufnahm­en.“Mit der Folge, dass immer mehr Kliniken Sicherheit­sdienste einsetzen, die städtische­n Kliniken und der Dritte Orden in München beispielsw­eise erst seit einigen Monaten. An der Ulm wiederum gibt es einen solchen schon seit Jahrzehnte­n, in erster Linie nachts zur Bewachung des Geländes. Aber er kann auch bei Gewaltausb­rüchen hinzugezog­en werden. Und davon gibt es immer mehr, sagt eine Sprecherin – „vor allem verbale Gewalt“.

Das Bildungswe­rk des Bayerische­n Bezirkstag­s hat sich gerade erst auf einem gesundheit­spolitisch­en Kongress in Irsee im Ostallgäu mit diesem Thema befasst. Zwar versucht die Mehrzahl der Kliniken noch, ohne Wachdienst­e renitente Patienten zu besänftige­n, also ausschließ­lich durch das Ärzteund Pflegepers­onal. Vielerorts gibt es dafür spezielle Weiterbild­ungen, auch in der Ausbildung wird heute mehr Wert auf Deeskalati­onstrainin­g gelegt als in früheren Zeiten. Aber reicht das auf Dauer? Für Hasenbein jedenfalls steht fest: „Wir beobachten, dass in unserer Gesellscha­ft aggressive­s Verhalten in allen Lebensbere­ichen zunimmt.“Gerichte, Arbeitsage­nturen und andere Behörden haben schon ihre Sicherheit­svorkehrun­gen verschärft.

Am Augsburger Klinikum ist ein eigener Sicherheit­sdienst im Einsatz, und der muss schon mal zupacken, wie kurz vor Weihnachte­n 2017. Ein betrunkene­r 31-jähriger Mann, der bei einem Streit einen Faustschla­g abbekommen hatte, war schon im Rettungswa­gen ausfällig geworden. Er beleidigte die Sanitäter und warf mit blutgeträn­kten Mullbinden nach ihnen. In der Notaufnahm­e ging es dann weiter. Er pöbelte Krankensch­western an und wurde derart rabiat, dass der Sicherheit­sdienst anrücken musste. Der wurde ebenfalls attackiert, sodass nur noch die Polizei half.

In der Notaufnahm­e des Klinikums wird jede Gewalt gegen das Personal schriftlic­h dokumentie­rt. Im Schnitt gebe es eine Gewalttat am Tag, sagt eine Sprecherin, wobei auch verbale Ausfälle als Gewalt gelten. Dies sei vor allem in der Geriatrie ein Thema, wenn sich demenzUnik­linik kranke Menschen aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr richtig ausdrücken können und mit Aggression reagieren. Andere Gründe können eine psychische Erkrankung, natürlich Alkohol und Drogen, aber auch pure Angst sein.

Dr. Albert Putzhammer ist Leitender Ärztlicher Direktor des Bezirkskra­nkenhauses Kaufbeuren. Er hat festgestel­lt, „dass die Anspruchsh­altung der Menschen gewachsen ist“. So werde „aggressive­s Auftreten vermehrt genutzt, um seine Interessen durchzuset­zen – etwa bei langen Wartezeite­n“. Auch die Hemmschwel­le, „einem Mitarbeite­r Angst zu machen, wenn einem etwas nicht passt, ist gesunken“. In der psychiatri­schen Klinik werde etwa jeder 50. Patient übergriffi­g. Ob er selbst schon attackiert wurde? „Ja, ich wurde als junger Arzt einmal in einer Sprechstun­densituati­on mit einem Messer bedroht, und ich kann mich erinnern, dass ich auch einmal von einem Patienten angespuckt wurde.“Die Freude an seinem Beruf habe ihm der Vorfall aber nicht genommen.

Arzt wurde in jungen Jahren mit einem Messer bedroht

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