Mittelschwaebische Nachrichten
Sextourismus übers Internet
Eine Philippinerin missbraucht ihre Kinder vor einer Webcam. Ein Mann aus Bayern schaut das an und zahlt dafür. Nun muss er ins Gefängnis. Einblicke in eine neue Form von Sexualdelikten
Traunstein Die philippinischen Kinder sollten sich vor der Kamera ausziehen, tanzen – und erotische Spiele vorführen. Rosa, die Mutter, hatte ihre Kleinen im Internet feilgeboten – für zahlende Kunden, etwa im reichen Deutschland. Ein Mann aus Oberbayern muss dafür nun ins Gefängnis. Das Landgericht Traunstein verurteilte den 48-Jährigen aus dem Landkreis Altötting am Dienstag wegen Anstiftung zum teils schweren sexuellen Missbrauch von Kindern sowie wegen Besitzes kinderpornografischer Bilder und Videos zu fünfeinhalb Jahren Haft.
Schon zwei Mal war der Mann einschlägig mit dem Gesetz in Konflikt gekommen und hatte Strafbefehle über je acht Monate auf Bewährung erhalten. Einmal war es Kinderpornografie, ein anderes Mal begrapschte er seine Tochter. Die erste Ehe zerbrach. Richter Jürgen Zenkel sprach von einer gewissen Unbelehrbarkeit. Dass der Mann nach weniger als fünf Jahren wieder straffällig wurde, wirkte sich strafverschärfend aus. Im vergangenen August war der Mann in U-Haft genommen worden.
Die Staatsanwaltschaft Traunstein und das Bundeskriminalamt (BKA) die Tat damals als „noch neuen Modus Operandi des ,Webcam Child Sex Tourism‘ (WCST)“. Das Verfahren in Traunstein war eines der ersten dieser Art in Deutschland. Die bisherigen Fallzahlen zum WCST seien niedrig, hieß es beim BKA. Es gebe aber wahrscheinlich eine hohe Dunkelziffer.
Das Kinderhilfswerk Terre des Hommes in den Niederlanden, das sich mit dieser Form des virtuellen Sextourismus befasst hat, schätzt unter Berufung auf Experten, dass auf den Philippinen zehntausende Kinder Opfer sind. Allerdings gebe es nur wenige Statistiken. WCST hinterlasse fast keine Beweise. Das Internet habe dem Mann die Taten erleichtert, sagte auch der Richter. Müsse man als Sextourist in den Flieger steigen, so habe er hier ganz bequem die „Leistung direkt ins Haus“bekommen. „Die Tatgelegenheiten häufen sich und die Schwelle sinkt“, sagte Zenkel. Das Entdeckungsrisiko sei auch nicht hoch. „Man hat es Ih- nen tatsächlich sehr leicht gemacht.“Teils war es dem Angeklagten zufolge auch Rosa, die das Geschehen forcierte. Es ging um Geld. Zahlungen des Angeklagten über mehr als 3000 Euro für die Dienste listet die Anklage auf. Tatsächlich zahlte der hoch verschuldete Mann aber mehr als 10000 Euro an Rosa. Sie habe ihm gesagt, sie brauche Geld für die Schule. „Dann habe ich das halt gezahlt“, sagte er vor Gericht. Er habe gedacht, er könne damit helfen. Die Kinder waren zu Beginn der virtuellen Treffen vier bis acht Jahre alt, beim letzten Fall sieben bis elf. Die Kleinste sei aber nicht involviert gewesen, sagte der Mann. Auch seien die von ihm gewünschten Handlungen nur angedeutet gewesen. „Das hat mir gelangt.“
Acht konkrete Fälle listet die Anklage auf. Wahrscheinlich aber trafen sich Rosa und der 48-Jährige im Chat viel öfter. „Hi Baby“, begrüßten sie sich – man kannte sich gut. Das Chatprotokoll, das die Ermittler auf dem Rechner des Mannes fanden, umfasste 110 Seiten. Allerdings geht daraus nicht hervor, ob das, was darin verbal beschrieben war, auch wirklich gleichzeitig vor einer Webbeschrieben cam geschah. Deshalb war für Gericht und Anklage das Geständnis des Mannes „sehr wertvoll“, wie Staatsanwältin Veronika Ritz sagte. Sie hatte sechseinhalb Jahre verlangt, Verteidiger Axel Reiter hatte auf vier Jahre und acht Monate plädiert. Haupttäterin sei die Mutter, sagte er.
Der Angeklagte sagte, er bedaure zutiefst, dass er sich habe hinreißen lassen. Im Gefängnis will er eine Therapie machen. Bisher hatte diese keinen Erfolg gebracht. Denn über seine sexuellen Vorlieben sprach er nicht. „Es war mir zu peinlich.“Am Schluss sagt er unter Tränen: „Ich bin froh, dass das vorbei ist.“Richter Zenkel wünscht ihm, „dass Sie ein Leben ohne diese Probleme führen können“. Das nächste Mal wäre die Strafe noch höher.
Rosa, die beschuldigte Mutter, sitzt seit eineinhalb Jahren auf den Philippinen in einer Polizeizelle. Ob und wann ihr der Prozess gemacht wird, ist offen. Die Ermittler vermuten, dass der Mann aus Oberbayern nicht ihr einziger Kunde war. Unklar bleibt auch, wie es den Kindern geht, ob auch sie therapeutische Hilfe bekommen. Sie sollen in staatlicher Obhut sein.
Die „Kunden“müssen nicht mehr in den Flieger steigen