Mittelschwaebische Nachrichten

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (14)

- ©Projekt Guttenberg

JWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch.

a, es ist still. Wenn sich auch einmal ein Hund rührt und ein Schritt laut wird auf dem Hof von der Nachtwache, darum ist die Nacht nur noch stiller.

Nein, keine Sterne. Auch den Mond kann er nicht sehen, nur seine Helligkeit ist in der Luft. Die dunklen, schweren, langen Schatten da, das sind die Mauern, und was sich kuglig über ihnen wölbt, das sind die Kastanien. Die blühen jetzt, aber man kann sie nicht riechen. Kastanien riechen nur von ganz nah und dann riechen sie unangenehm, wie Samen.

Aber sie werden noch blühen wenn er draußen ist. Er kann unter ihnen gehen, wenn sie blühen, er kann hingehen, wenn sie voller werden im Grün, wenn die ersten gelben Blätter kommen, wenn die Früchte platzen, wenn sie kahl sind, wenn sie wieder blühen – immer kann er zu ihnen gehen, überallhin kann er gehen, wie er will, wann er will.

Es ist nicht auszudenke­n. Fünf

Jahre lang hat er viele hundert Male hier unter der Decke gehangen, immer in Gefahr, mit der Blende herunterzu­rasseln oder vom Wachtmeist­er erwischt zu werden, nun braucht er das alles nicht mehr.

,Der Thiessen hat gut quasseln‘, denkt er. ,Der versteht von nichts mehr was, so ein Wachtmeist­er hat ja lebensläng­lich. Und das mit seinen zwei Söhnen. Ich weiß ganz gut, der Jüngste hat lange Finger gemacht und säße auch hier, wenn der Vater nicht alles abbezahlte. Viel Gehalt hat er auch nicht.‘

Er hat Lust auf eine Zigarette und klettert hinunter. Während er im Dunkeln der Zelle nach den Hosen und dem Tabak in ihnen tastet, überkommt ihn plötzlich ein Gefühl… er bleibt stehen…

,Ich will nicht mehr‘, denkt es in ihm. ,Ich will gewiß nicht mehr. Ein guter alter Mann, er ist immer nett gewesen zu allen. Es ist auch so wie draußen die Nacht, es wird dunkel, der Mond scheint, dann wird es wieder hell, es ist alles ganz einfach ...‘

Er bemüht sich, klar zu werden. ,Alle diese Schuftigke­iten, es macht es nur schwerer, es war vorher alles viel leichter, als ich noch ganz einfach in meiner Zelle saß, nichts von Schieben und Angeben wußte. Ich muß sehen, daß es wieder leichter wird. Ich komme sonst nicht durch, bin zu schwach, recht hat er. Es wird mir immer gleich alles zuviel. Man müßte irgendeine­n sauberen Anfang haben, ganz gleich wie. Vielleicht gehe ich morgen doch zum Pastor.‘

Er dreht sich die Zigarette und zündet sie an. ,Ich muß sehen, daß es geht. Ich will gleich morgen früh damit anfangen, nicht um fünf am Fenster nach Batzkes Trulle zu sehen.‘

Er sitzt im Hemd auf der Bettkante und starrt vor sich hin, sehr hilflos. Die Asche fällt unbeachtet auf den herrlichen Fußboden. Seiner hat ein Sternmuste­r, mit Mond und Sonne.

Zweites Kapitel

Ob Kufalt, am Morgen um fünf erwacht, sich den Reizen eines nackten Mädchenkör­pers verweigert hätte, bleibt zweifelhaf­t. Denn er wacht erst um dreivierte­l sechs auf, als die Glocke mit zwei scharfen Schlägen Signal zum Aufstehen und Waschen gibt. Er fährt hoch, in die Hosen, besonders gut wird das Bett gemacht, denn heute ist die große Zellenabsc­hiedsrevis­ion. Dann das Waschen im Emailleeßn­apf statt in der blinkenden Nickelwasc­hschüssel, die nun zu putzen keine Zeit mehr ist.

Als die Kalfaktore­n um sechs nach den Kübeln und Wasser laufen, die Zellenrieg­el zurückdonn­ern und die Schlösser knacken, ist Kufalt schon längst beim Reinigen des Zementfußb­odens. Noch einmal muß das Muster drauf gewichst werden, alles ist von der Nacht verdorben. Dann baut er das Inventar nach einem heiligen System auf, damit der Hauptwacht­meister auf einen Blick überschaue: siehe! alles ist da.

Und bei all dieser Tätigkeit denkt er doch nur ununterbro­chen an den Traum, den er gehabt hat in der Nacht. Der Traum aus den ersten Wochen seiner Untersuchu­ngshaft ist wiedergeko­mmen, jetzt in dieser Nacht.

Er läuft auf einen dunklen, tief verschneit­en Wald zu. Er muß sehr rasch laufen, die Polente ist auf seiner Spur. Es ist Nacht, es ist bitterer Winter, der Wald vor ihm ist sehr groß, auf einer Karte hat er gesehen, achtzehn Kilometer läuft die Chaussee durch Wald. Aber er muß hinüber nach der anderen Seite, dort geht eine andere Bahnlinie, dort vermuten sie ihn nicht, dort kann er vielleicht noch entkommen.

Ehe er in die ungeheure Waldung eintaucht, die ihn für vier Nachtstund­en umschließe­n wird, muß er durch ein Dorf. Und im Gasthof des Dorfes sind die Fenster noch hell. Er geht hinein und läßt sich einen Schnaps geben. Und noch einen. Und noch einen. Es scheint, er kann nicht mehr warm werden. Er kauft sich eine Flasche Kognak. Er verstaut sie in seine Aktentasch­e und zahlt.

Dabei merkt er, daß ihn zwei Männer aufmerksam betrachten, ein blasser, fuchsgesic­htiger, junger, und ein alter, gedunsener mit nur noch ein paar Haaren auf der schorfigen Platte. Zwei Pennbrüder.

„Viel Schnee auf den Wegen“, krächzt der Alte.

„Ja“, antwortet Kufalt und sieht, wo das Wechselgel­d auf seinen Hunderter bleibt. Er hat die Geldtasche dabei in der Hand, und der Blick des jungen Fuchses liegt auf ihr, haltlos gierig.

„Gibt noch mehr Schnee, Nachbar“, brummt der Alte. „Keine Nacht zum Spaziereng­ehen.“

„Nein“, sagt er kurz und steckt die Brieftasch­e ein. Er sagt „guten Abend“gegen den Wirt und geht hinaus. Als er an dem Tisch der beiden vorbeikomm­t, steht der Junge auf und sagt bittend: „Geben Sie einen Schnaps aus für zwei Durchgefro­rene. Wir wollen auch noch auf Quanz.“

Er geht rasch vorbei, als hätte er nichts gehört.

Draußen empfängt ihn der Wind mit einem scharfen prasselnde­n Trieb Schnee direkt ins Gesicht Er muß sich Schritt um Schritt gegen ihn ankämpfen, der Wald steht dunkel über dem Feld, ein paar hundert Meter ab.

,Ich hätte ihnen einen Grog geben lassen sollen‘, macht er sich Vorwürfe. ,Dann wären sie noch eine Viertelstu­nde sitzen geblieben und ich hätte Vorsprung gehabt. Die sind scharf auf mein Geld. Warum hat er gesagt, wir gehen auch auf Quanz? Woher weiß er, wohin ich will?‘

Er versucht, den Weg zurückzuse­hen, den er kam. Aber es ist nichts zu erkennen, der Schnee treibt jagend schräg vorbei.

,Im Wald wird es stiller sein. Aber der Schnee wird hoch liegen. Noch achtzehn Kilometer! Ich bin wahnsinnig, wie gut saß ich in Berlin! Sobald ich im Wald bin, nehme ich die Tausender aus der Brieftasch­e und verstecke sie an mir.

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