Mittelschwaebische Nachrichten
Sammler, Naturfreund, Lebenskünstler
Porträt Zu seinem 80. Geburtstag spricht Edwin Selzer über sein Leben, das ein Spiegelbild der deutschen Zeitgeschichte ist. Aber auf seine Weise ist es auch ein „Paradies“
Krumbach „Glück“? Wenn Edwin Selzer darüber spricht, dann erzählt er oft auch von diesen Momenten. Er liegt in einem Bett in einem Memminger Krankenhaus, Prostatakrebs, er hat gerade die schwierige Operation durch Professor Peter Faul überstanden. Noch im Krankenbett greift Selzer zu seiner Kamera, die er fast immer bei sich hat, und lichtet den Professor, der in diesem Moment auch irgendwie „sein Professor“ist, ab. Rund 18 Jahre liegt all das zurück. Jetzt sitzt Selzer an seinem Weiher zwischen Attenhausen und Edelstetten. In den 70er-Jahren hat er das Grundstück gepachtet. Im Lauf der Jahre ist dort sein kleines „irdisches Paradies“entstanden. Selzer erzählt von Starenkobeln, Fledermauskästen, vom Karl-Carstens-Weg, der an seinem „Paradies“vorbeiführt. Von seinem Freund Erwin Pfeuffer, dem Zimmerermeister, der Selzers „Paradies“maßgeblich eingerichtet hat. Selzer blickt über das Wasser, zwei Enten spazieren durch seinen Garten. Wie seit 44 Jahren fast jeden Tag. Doch an diesem Tag ist etwas anders. Auf dem Tisch liegen unzählige Bilder, Fotoalben, Zeitungsausschnitte. Der Blick fällt auf eine Überschrift. „Die Momente des Glücks festhalten“. Es ist die Geschichte über seine schwere Krebsoperation, seine vollständige Heilung, gewissermaßen der Beginn seines „zweiten Lebens“. Die Au- genblicke im Memminger Krankenhaus hat Selzer ebenso wie viele Wendepunkte seines Lebens mit der Kamera festgehalten. 80 Jahre sind es jetzt, heute feiert er Geburtstag und blickt zurück auf ein Leben, das auf seine Weise ein Spiegelbild der Windungen und Wendungen der deutschen Zeitgeschichte ist.
Bei Rückblicken dieser Art ist man geneigt, Lebensstationen bisweilen geradezu tabellarisch aufzulisten. Mittelschule in Krumbach, 1955 bis 2000 bei der AOK Krumbach, ab 1974 stellvertretender Geschäftsstellenleiter, von 1993 bis zu seiner Pensionierung Leiter. Hobbys: Fotografieren, Filmen (1970 drehte er einen heute geradezu legendären Film über das Geschehen in der Stadt Krumbach), eine Vorliebe für Oldtimer aller Art, eine Leidenschaft für das Sammeln von Sterbebildern bis hin zu Bierkrügen, Schafkopfen in geselliger Runde und die Liebe zur Natur, insbesondere zu seinem „Paradies“.
Doch Selzer ist kein Mann, der in Gesprächen die Dinge tabellarisch auflistet. Lange spricht er über die naturbelassene Landschaft seiner Heimat im Grenzbereich zwischen Oberschlesien und dem Sudetenland. Am 26. April 1938 ist er in Leobschütz/Oberschlesien geboren. Sein Vater Alfons ist Fleischermeister, seine Mutter Olga stammt aus einem Gasthof mit Fleischerei im benachbarten Pilgersdorf im Sudetenland. Edwin Selzer hat eine ältere Schwester (Rita, Jahrgang 1937) und einen jüngeren Bruder (Helmut, Jahrgang 1941). Der Krieg ist zunächst weit weg. Doch allmählich wird er auch in diesem idyllischen Landstrich spürbar. Der Vater ist an der Front, die Fleischerei in Leobschütz muss geschlossen werden, Edwin Selzer wächst in Pilgersdorf auf, eng eingebettet in die Familie seiner Mutter. 1945 holt der Krieg ihr Leben ein. Drei Wochen Lager, Vertreibung, im Viehwaggon nach Schwaben, von Augsburg bringen Amerikaner die Familie mit einem Lastwagen nach Krumbach. Erste Station im Bärensaal, dann Einquartierung im Gasthaus Sonne in der Kirchenstraße. Vater Alfons findet eine Anstellung als Hilfsarbeiter in der Weinkellerei Einsle, später kann er am Marktplatz wieder eine Metzgerei eröffnen. Neuanfang in einer neuen Heimat: So umschreibt man das oft. Doch Alfons Selzer war, wie sich sein Sohn Edwin heute mit einem Schmunzeln erinnert, auch immer der „Flüchtlingsmetzger“. Selzer hat schon in den frühen Jahren seines Lebens gespürt, was „Familie“für ihn bedeutet. Seit 33 Jahren ist er mit seiner Frau Sabine verheiratet. Aus seiner ersten Ehe stammen zwei Söhne (Rainer, Jahrgang 1965) und Armin (Jahrgang 1969).
Im Alter von 13 Jahren bekommt Selzer von seiner Mutter eine Kamera geschenkt. Daraus sollte sich eine Leidenschaft entwickeln, die ihn ein Leben lang begleitet hat. Rund 300 Porträts von bekannten und weniger bekannten Menschen aus der Region sind im Lauf der Jahre entstanden. Bisweilen sei dies auch ein kleiner Dank an die Menschen, die ihm geholfen hätten. Schon in seiner langen Zeit bei der AOK war Selzer selbst als „Menschenfreund“bekannt. Immer wieder spricht er davon, dass es ihm ein Anliegen gewesen sei, Menschen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen, zu helfen.
Selzer hat in seinem Leben das Ungewöhnliche gesucht. Zweimal, 1978 und 1998, machte er Werbung für „Jägermeister“. Zuerst 1978 im Fußballmagazin „Kicker“. Vorne drauf Berti Vogts, hinten Selzer, der ein Glas „Jägermeister“genüsslich in die Kamera hält. 1998 dann im Stern ein ähnliches Bild. Selzer etwas älter geworden, aber immer noch sein typisches Lächeln. Den Mut zum Ungewöhnlichen nicht zu verlieren und „mit Gottes Hilfe im Geiste jung geblieben alt zu werden“: Das wünscht sich Selzer mit Blick auf das Kommende.
Seine Oldtimersammlung ist legendär. Und bei so mancher Hochzeit, etwa bei der von Perry und Eve, war Selzer auch gerne Chauffeur in seinem Mercedes 170 s-v. Und Selzer wäre nicht Selzer, wenn er sich für sein „Geburtstagsfoto“nicht etwas Besonderes einfallen ließe. Er steigt in „historischer Montur“auf seine Express, ein Motorrad seines Geburtsjahres 1938. Und in den nächsten Tagen wird er vielleicht noch ein bisschen öfter als sonst in seinem „Paradies“sein.