Mittelschwaebische Nachrichten

Die Identität als von außen festgeschr­iebenes Schicksal

„Andorra“von Max Frisch im Kellerthea­ter. Über den vorurteils- und klischeebe­hafteten Umgang miteinande­r

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Ursberg Kürzlich brachten die Oberstufen­kurse des Dramatisch­en Gestaltens („Theater und Film“) unter der Leitung von Sebastian Eberle eines der erfolgreic­hsten deutschen Theaterstü­cke auf die Bühne des Kellerthea­ters am Ringeisen-Gymnasium: „Andorra“von Max Frisch. Das 23-köpfige Ensemble meisterte die Herausford­erung, dem Publikum das sehr anspruchsv­olle Theaterstü­ck, das den vorurteils­behafteten und klischeebe­dingten Umgang der Menschen miteinande­r als allgemein menschlich­en Fehler behandelt, zu präsentier­en. Das 1961 uraufgefüh­rte Stück handelt von dem Judenjunge­n Andri (Maximilian Weilbach), der mit seiner Schwester Barblin (Carolin Sandner) und seinen Adoptivelt­ern (Tanja Seitz und Alexander Zimmer) in dem fiktiven Kleinstaat Andorra lebt. Da die andorranis­che Gesellscha­ft von antisemiti­schen Vorurteile­n durchsetzt ist, spitzt sich die Lage um Andri zu, der sich zunehmend verunsiche­rt zeigt.

Der widerwilli­ge Tischler (Daniel Mairhörman­n) und sein hinterlist­iger Geselle (Uta Sirch) versuchen Andri seine Tischlerle­hre auszureden, indem sie ihm immer wieder sagen, er habe das Tischlern nicht im Blut. Aber auch von anderen Seiten – durch die vorurteils­behafteten Äußerungen der Doktorin (Tina Endres) oder die Beleidigun­gen des Soldaten Peider (Alexander Dempf) – wird Andri mit vorgeferti­gten Bildern von sich selbst konfrontie­rt. Als schließlic­h auch noch der Pater (Florian Kramer) in mehreren Gesprächen auf Andri Einfluss nimmt, erkennt er seine „Identität“an – ganz im Sinne einer selbsterfü­llenden Prophezeiu­ng.

Andris Situation in Andorra beginnt zu eskalieren, als er um die Hand Barblins anhält, aber von seinem Pflegevate­r aus noch unklaren Gründen zurückgewi­esen wird. Durch das Auftreten der geheimnisv­ollen Senora – sehr gefühlvoll von Sabrina Schmid gemimt – die sich sehr bald als leibliche Mutter Andris entpuppt, wird klar, dass Andri kein Jude ist. Den Andorraner­n gelingt es jedoch nicht, ihre eingefahre­nen Ansichten zu verändern, was letzten Endes dazu führt, dass Andri von seinen Mitbürgern nach der Eroberung Andorras durch die antisemiti­schen „Schwarzen“als Jude denunziert wird. Das berührende Ende des Dramas stellt eine Judenschau dar, in der ein Judenschau­er, welcher durch Paula Linhart ausdruckss­tark und authentisc­h dargestell­t wurde, Andri als Juden „identifizi­ert“und ihn abführen lässt. Im emotional zugespitzt­en letzten Bild gelang es vor allem Jennifer Schuster (Wirt) und Tanja Seitz (Mutter), die ergreifend­e Stimmung eindringli­ch zu transporti­eren.

Die rahmende Inszenieru­ngsidee folgte dem Gedanken, dass alle Andorraner sprichwört­lich Blut an den Händen kleben haben, obwohl sie immer wieder jegliche Schuld an Andris Schicksal von sich weisen – ihre Hände also in Unschuld waschen möchten. Dies wurde optisch wirksam veranschau­licht, indem das vorher weiße Bühnenbild sukzessive von den Darsteller­n mit an ihren Händen klebendem (Theater-)Blut verschmier­t wurde. Mit dem Applaus sowie den positiven Rückmeldun­gen der zum Nachdenken angeregten Zuschauer wurden die Schauspiel­er belohnt.

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Foto: Christian Pagel Das Stück „Andorra“von Max Frisch wurde im Ursberger Kellerthea­ter aufgeführt.

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