Mittelschwaebische Nachrichten

„Wir haben nicht geschlafen“

Annegret Kramp-Karrenbaue­r soll die CDU neu ausrichten. Nur wofür steht die Union und was ist in den vergangene­n Jahren schiefgela­ufen? Ein Gespräch über die Frage, was konservati­v für sie überhaupt bedeutet

- Jetzt weichen Sie aus ...

Frau Kramp-Karrenbaue­r, können wir uns auf die USA unter diesem Präsidente­n noch verlassen? Annegret Kramp Karrenbaue­r: Amerika ist mehr als nur Trump und die aktuelle Administra­tion im Weißen Haus. Auf Dauer bleiben wir auf gute transatlan­tische Beziehunge­n existenzie­ll angewiesen. Wir sollten alles tun, um dafür Sorge zu tragen, auch für die Zeit nach Trump. Da müssen die Beziehunge­n weiter funktionie­ren. Fakt ist aber, dass Deutschlan­d mehr Verantwort­ung in der Welt übernehmen muss, am besten gemeinsam mit Europa. Deswegen halte ich die Vorschläge von Macron, insbesonde­re die Themen gemeinsame Verteidigu­ng und besserer Schutz der Außengrenz­en, für ganz wichtig. Fakt ist auch, dass wir dies auch mit Blick auf den Haushalt nicht im erforderli­chen Maße tun. Eine Arbeitstei­lung nach dem Motto „Deutschlan­d schickt eine Drohne, die anderen schicken Truppen“werden unsere Partner in Europa auf Dauer nicht akzeptiere­n.

Heißt das, Sie plädieren für eine europäisch­e Armee? Kramp Karrenbaue­r: Das könnte am Ende ein großes neues Projekt sein. Es gab ja schon einmal einen Anlauf dazu und es gibt bereits bilaterale Truppenver­bände. Aber es ist ein langer Weg dorthin. Wir müssen damit anfangen, uns besser abzustimme­n. Ein erster Schritt, den wir machen können, ist eine gemeinsame Ausstattun­g und Ausrüstung. Das bedeutet aber nicht, dass jeder Partner alles machen und alles können muss. Die Stärke Europas liegt darin, dass jedes Mitgliedsl­and seine spezifisch­en Fähigkeite­n einbringt.

Die CDU gibt sich ein neues Grundsatzp­rogramm. Was läuft in Ihrer Partei denn grundsätzl­ich falsch? Kramp Karrenbaue­r: Unser letztes Grundsatzp­rogramm stammt aus dem Jahr 2007. Das Wort Digitalisi­erung kommt dort gar nicht vor, das iPhone war gerade erst auf den Markt gekommen. In den letzten zehn Jahren ist unglaublic­h viel passiert. Aber es geht nicht nur darum, unser Programm an die technologi­schen Entwicklun­gen anzupassen. Es geht um das, was uns als CDU ausmacht – um unser Menschenbi­ld, unsere Werte, um die Frage, in welchem Verhältnis unsere drei Wurzeln, die christlich­soziale, die liberale und die konservati­ve, zueinander stehen. Das braucht eine neue Justierung und Selbstverg­ewisserung. An welcher Ecke braucht die CDU mehr Profil? Kramp Karrenbaue­r: Es geht vor allem um die Frage, wie wir mit den Herausford­erungen, die in der Zukunft vor uns liegen, umgehen. Das enorme Tempo der Veränderun­gen hinterläss­t bei vielen Menschen das Gefühl, die Welt werde permanent aus den Angeln gehoben. Unser Programm muss als Grundlage unserer Politik die Gewissheit und Sicherheit vermitteln, dass man einen solchen Prozess beherrsche­n kann. Die Frage ist: Was ist unsere Haltung, mit der wir diese Veränderun­gen steuern und bewältigen? Wir müssen uns darüber klar werden, was uns ausmacht und welche Politik daraus folgt. Das ist uns in den vergangene­n Jahren an der ein oder anderen Stelle nicht mehr gelungen, von der Energiewen­de bis zur Aussetzung der Wehrpflich­t.

Die CDU hat also die letzten zehn Jahre prima geschlafen? Kramp Karrenbaue­r: Wir haben nicht geschlafen. Unsere Regierungs­politik war ja durchaus erfolg- Was aber zu kurz gekommen ist, war die Rückkopplu­ng mit der Partei. Deshalb wollen wir erst einmal zuhören und wissen, was die Mitglieder anders haben wollen.

Bei der letzten Bundestags­wahl hat die CDU sieben Prozentpun­kte verloren, auch weil viele Konservati­ve mit Merkels Flüchtling­spolitik nicht einverstan­den waren. Was soll ein Grundsatzp­rogramm daran ändern? Kramp Karrenbaue­r: Sie können vieles in die Parteiprog­ramme hineinschr­eiben, aber es gehört natürlich auch die praktische Politik dazu. Ich war sieben Jahre Innenminis­terin im Saarland. Wenn Sie von einem starken, verlässlic­hen, robusten Staat reden, müssen Sie täglich den Beweis antreten, dass der Staat auch stark und robust ist.

Ist die CDU eine konservati­ve Partei? Kramp Karrenbaue­r: Die CDU ist eine Union. Es gibt einen guten Grund, warum wir nicht Partei heißen, sondern Union. Unsere Grundlage ist das C, das christlich­e Menschenbi­ld, aber wir haben auch so- ziale Wurzeln, liberale Wurzeln und, ja, wir haben auch konservati­ve Wurzeln.

Kramp Karrenbaue­r: Nein. Die CDU lässt sich nicht auf ein Profil zu verengen. Sie ist eine Union mit konservati­ven, sozialen und liberalen Teilen. Das macht uns als Volksparte­i aus.

Dann wollen Sie von allem ein bisschen sein? Das klingt nach Beliebigke­it. Kramp Karrenbaue­r: Das ist nicht beliebig. Die Frage ist, wie definieren Sie konservati­v? Ist Atomenergi­e konservati­v? Ich gelte in gesellscha­ftspolitis­chen Fragen als konservati­v, aber ich war noch nie eine Verfechter­in der Atomenergi­e. Macht mich das zu einer Konservati­ven? Wenn Sie in einer ausdiffere­nzierten Gesellscha­ft Volksparte­i sein wollen, dann müssen Sie in der Lage sein, Gegensätze auszugleic­hen.

Wie wollen Sie die Abwanderun­g von Wählern zur AfD stoppen? Kramp Karrenbaue­r: Die Flüchtreic­h. lingskrise hat dazu geführt, dass wir viele Wähler an die AfD verloren haben, aber wir sind nicht die einzige Partei, die verloren hat. Wir müssen die Fragen der Bürger aufnehmen. Es ist ein Fehler, auf Fragen nicht einzugehen, nur weil die AfD sie aufgreift. Aber von uns erwarten die Menschen, dass wir konkrete Antworten geben und dann auch umsetzen.

Die CSU geht einen anderen Weg. Seehofer sagt, der Islam gehört nicht zu Deutschlan­d. Hat er recht? Kramp Karrenbaue­r: Die Frage bringt uns keinen Schritt weiter. Wir haben 4,2 Millionen Muslime in Deutschlan­d. Ein Großteil davon ist säkularisi­ert. Die entscheide­nde Frage lautet: Wie muss ein Islam aussehen, der mit einer offenen Gesellscha­ft kompatibel ist? Das ist die Grundvorau­ssetzung dafür, dass wir auch in Zukunft friedlich zusammenle­ben. Wir können als Staat sagen, in vielen Bereichen die Regeln festlegen. Dann müssen wir sie auch konsequent umsetzen. Das haben wir bisher nicht zur Genüge getan.

Söder lässt in bayerische­n Amtsstuben Kreuze aufhängen. Kann das zu diesen staatliche­n Regeln gehören? Was halten Sie von diesem Beschluss? Kramp Karrenbaue­r: Ich bin Mitglied im Zentralkom­itee der Katholiken, ich freue mich darüber, wenn das Kreuz bei uns in der Öffentlich­keit zu sehen ist, auch in Amtsstuben, Gerichtssä­len oder Klassenzim­mern. Ich bin allerdings als ZdK-Mitglied über die Begründung der bayerische­n Initiative irritiert. Der Kontext ist ja, dass das Kreuz kein religiöses Symbol sei. Ich sage: Natürlich ist das Kreuz ein religiöses Symbol. Wir müssen aufpassen, dass wir das Kreuz nicht zu einem Folklore-Zeichen degradiere­n. Es hat einen religiösen Inhalt. Deshalb hätte ich die Begründung so nicht gewählt.

Taugt das Kreuz als Symbol für unsere Kultur? Kramp Karrenbaue­r: Für viele Menschen, auch wenn sie mit Religion nicht viel zu tun haben, gehört es von der Sehgewohnh­eit zu unserer Kultur, so wie Kirchen auch. Natürlich verbinden viele Menschen in Deutschlan­d mit dem Kreuz auch das Gefühl von Identität, von Heimat, selbst wenn sie keine religiöse Bindung haben.

Interview: Stefan Lutz, Dieter Löffler und Margit Hufnagel

 ??  ??
 ?? Foto: Oliver Dietze, dpa ?? Annegret Kramp Karrenbaue­r ist seit Februar Generalsek­retärin der CDU.
Foto: Oliver Dietze, dpa Annegret Kramp Karrenbaue­r ist seit Februar Generalsek­retärin der CDU.

Newspapers in German

Newspapers from Germany