Mittelschwaebische Nachrichten
Wenn jemand zum Anlehnen fehlt
Egal ob alt oder jung: Einsamkeit kann jeden treffen. In Großbritannien kümmert sich sogar eine eigene Ministerin darum. Im Landkreis Günzburg gibt es viele Angebote für betroffene Menschen – aber auch Hürden
Landkreis Bei einer 28-Jährigen werden viele nicht unbedingt daran denken, dass sie einsam sein könnte. Vanessa Laufer aus Günzburg, alleinerziehende Mutter eines anderthalbjährigen Kindes, fühlt sich aber oft so. „Die Freunde ziehen sich zurück, wenn sie merken, dass man zeitlich nicht mehr so flexibel ist wie vorher“, sagt sie. Viele hätten keinerlei Verständnis dafür, dass sie nicht mehr am späten Abend ausgehen will, weil sie sich um ihr Kind kümmert. So reagierten zwar überwiegend Leute ohne Nachwuchs, aber auch manche Eltern.
Während ihrer Schwangerschaft seien viele noch euphorisch gewesen ob der bevorstehenden Geburt, aber das habe sich schnell gelegt. „Ich habe noch zwei Freunde, auf die ich mich wirklich verlassen kann.“Das, und keine Zeit mehr für sich selbst zu haben, sei schon ziemlich schwer zu verkraften. Hilfe findet sie in der Begegnungsstätte Licht-Blick der Caritas in der Günzburger Innenstadt, wo sie auf andere Menschen trifft, die aus unterschiedlichsten Gründen psychisch belastet sind. Mit dem Angebot hier ist sie zufrieden, in der Kreisstadt aber vermisst etwas: eine Kinderstation im Krankenhaus. In einer Familienstadt, wie sich Günzburg gerne bezeichne, könne es doch nicht sein, dass Eltern mit ihrem Nachwuchs bis nach Ulm fahren müssen.
Eva-Maria Anwander vom Sozialpsychiatrischen Dienst der Caritas sagt, dass soziale Kontakte für jeden sehr wichtig seien. Doch es gelinge nicht immer, jemanden auch in eine Gruppe zu integrieren. Einsam werden könne grundsätzlich jeder, wenn die Person wichtige Haltepunkte im Leben verliert, beispielsweise durch Arbeitslosigkeit, einen Umzug, Krankheit oder wenn sich etwas im persönlichen Umfeld verändert, gar der Partner stirbt. Nicht selten verzweifelten die nun Alleinstehenden daran. Jeder gehe anders mit einer solchen Situation um, und viel hänge dann davon ab, wie offen man für Neues und generell für andere ist. Wobei allein zu sein nicht automatisch bedeutet, sich auch einsam zu fühlen. Mancher genieße es sogar, etwa nachdem man lange nur für einen Angehörigen da war.
So sagt auch Marion Brand, 53, aus Offingen, dass sie eigentlich gerne für sich ist. Jemanden rund um die Uhr um sich zu haben, würde sie nicht ertragen. Aber gerade wenn es einem schlecht geht, wäre es schon schön, wenn da jemand wäre, der sich kümmert, einen auch mal in den Arm nimmt. Gerade an langen Wochenenden und wenn die Begegnungsstätte Licht-Blick nicht geöffnet ist, „ist das Alleinsein nicht immer leicht“. Sie hat erlebt, dass die Rund-um-die-Uhr-Pflege ihrer Mutter über neun Jahre hinweg „einen ziemlich alleine macht“, gerade wenn man das auch ohne Hilfe tun muss. Heute, 15 Jahre nach dem Tod der Mutter, lasse sie diese Zeit noch immer nicht los, noch immer frage sie sich, ob sie damals alles richtig gemacht habe. Wenn man dann wie sie auch noch Diabetes hat und ohne Job ist, werde es noch schwerer. Da müsse man auf vieles verzichten. Die Begegnungsstätte „ist meine Welt, ohne geht’s nicht“.
Jeder müsse selbst entscheiden, wie viel Hilfe er will, sagt Anwander. Wichtig sei jedoch, „dass wir eine offene Gesellschaft sind“, die wahrnimmt, wenn jemand UnterLaufer stützung benötigt. Angehörige oder auch Nachbarn könnten oft eine Brücke bauen, denn einfach in die Privatsphäre eines Menschen einzudringen gehe schließlich nicht. Auch wenn bei einem runden Geburtstag der Bürgermeister kommt und merkt, dass jemand einsam ist, könne ein Kontakt hergestellt werden, sagt Renate Schmid, Teamleiterin der Seniorenfachstelle im Landratsamt. In der Region gebe es viele Angebote wie Spielenachmittage, Ausflüge oder Mittagstische in verschiedenen Orten, zu denen sich bereits Fahrgemeinschaften gebildet haben. Auch gibt es ein Seniorenkino oder Tanztees, bei denen Menschen miteinander in Kontakt kommen können. Die Nachbarschaftshilfe sei im Landkreis gut organisiert, ergänzt Anwander. Allerdings sei es gerade für Ältere aus körperlichen Gründen nicht immer leicht, Hürden wie die Fahrt zu einem solchen Angebot zu nehmen. Der Flexibus sei da für viele schon eine Erleichterung.
Problematisch ist auch, dass viele Wohnungen nach wie vor nicht barrierefrei sind, sodass es für viele mitunter schwierig ist, vor die Haustür zu kommen, moniert Schmid. „Das muss dringend angepasst werden.“Denn die fehlende Mobilität sei ein bedeutender Faktor bei der Einsamkeit. Wie sich bei Vanessa Laufer zeigt, sind aber auch für junge Menschen Hilfsangebote wichtig. Ein Mehrgenerationenwohnen könne vielen etwas bringen, findet Alexandra Führer von der Fachstelle für pflegende Angehörige. Und bei dem Thema dürften auch Migranten, die etwa ohne Familie in Deutschland sind, nicht vergessen werden.
Egal, wen es betrifft: Jeder müsse seine Sorgen frei artikulieren dürfen, betont Anwander. Die Hilferufe müssten ernstgenommen werden. Wie in vielen Bereichen sei es allerdings ebenso wichtig, auch hier auf eine gute Prävention zu achten, „wir brauchen Angebote für unterschiedliche Lebenslagen“, sagt Schmid. Und das auch an Sonntagen, wenn viele sonst nirgends hingehen können. Durch einen Austausch, etwa bei pflegenden Angehörigen, könnten neue Kontakte und Freundschaften entstehen.
Marion Brand
Kontakt Der sozialpsychiatrische Dienst der Caritas ist zu erreichen unter Telefon 08221/32150 und per E Mail an spdi.guenzburg@caritas augsburg.de. Das Familienportal des Landkreises Günz burg ist im Internet zu finden unter http://familie.landkreis guenzburg.de