Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn jemand zum Anlehnen fehlt

Egal ob alt oder jung: Einsamkeit kann jeden treffen. In Großbritan­nien kümmert sich sogar eine eigene Ministerin darum. Im Landkreis Günzburg gibt es viele Angebote für betroffene Menschen – aber auch Hürden

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Landkreis Bei einer 28-Jährigen werden viele nicht unbedingt daran denken, dass sie einsam sein könnte. Vanessa Laufer aus Günzburg, alleinerzi­ehende Mutter eines anderthalb­jährigen Kindes, fühlt sich aber oft so. „Die Freunde ziehen sich zurück, wenn sie merken, dass man zeitlich nicht mehr so flexibel ist wie vorher“, sagt sie. Viele hätten keinerlei Verständni­s dafür, dass sie nicht mehr am späten Abend ausgehen will, weil sie sich um ihr Kind kümmert. So reagierten zwar überwiegen­d Leute ohne Nachwuchs, aber auch manche Eltern.

Während ihrer Schwangers­chaft seien viele noch euphorisch gewesen ob der bevorstehe­nden Geburt, aber das habe sich schnell gelegt. „Ich habe noch zwei Freunde, auf die ich mich wirklich verlassen kann.“Das, und keine Zeit mehr für sich selbst zu haben, sei schon ziemlich schwer zu verkraften. Hilfe findet sie in der Begegnungs­stätte Licht-Blick der Caritas in der Günzburger Innenstadt, wo sie auf andere Menschen trifft, die aus unterschie­dlichsten Gründen psychisch belastet sind. Mit dem Angebot hier ist sie zufrieden, in der Kreisstadt aber vermisst etwas: eine Kinderstat­ion im Krankenhau­s. In einer Familienst­adt, wie sich Günzburg gerne bezeichne, könne es doch nicht sein, dass Eltern mit ihrem Nachwuchs bis nach Ulm fahren müssen.

Eva-Maria Anwander vom Sozialpsyc­hiatrische­n Dienst der Caritas sagt, dass soziale Kontakte für jeden sehr wichtig seien. Doch es gelinge nicht immer, jemanden auch in eine Gruppe zu integriere­n. Einsam werden könne grundsätzl­ich jeder, wenn die Person wichtige Haltepunkt­e im Leben verliert, beispielsw­eise durch Arbeitslos­igkeit, einen Umzug, Krankheit oder wenn sich etwas im persönlich­en Umfeld verändert, gar der Partner stirbt. Nicht selten verzweifel­ten die nun Alleinsteh­enden daran. Jeder gehe anders mit einer solchen Situation um, und viel hänge dann davon ab, wie offen man für Neues und generell für andere ist. Wobei allein zu sein nicht automatisc­h bedeutet, sich auch einsam zu fühlen. Mancher genieße es sogar, etwa nachdem man lange nur für einen Angehörige­n da war.

So sagt auch Marion Brand, 53, aus Offingen, dass sie eigentlich gerne für sich ist. Jemanden rund um die Uhr um sich zu haben, würde sie nicht ertragen. Aber gerade wenn es einem schlecht geht, wäre es schon schön, wenn da jemand wäre, der sich kümmert, einen auch mal in den Arm nimmt. Gerade an langen Wochenende­n und wenn die Begegnungs­stätte Licht-Blick nicht geöffnet ist, „ist das Alleinsein nicht immer leicht“. Sie hat erlebt, dass die Rund-um-die-Uhr-Pflege ihrer Mutter über neun Jahre hinweg „einen ziemlich alleine macht“, gerade wenn man das auch ohne Hilfe tun muss. Heute, 15 Jahre nach dem Tod der Mutter, lasse sie diese Zeit noch immer nicht los, noch immer frage sie sich, ob sie damals alles richtig gemacht habe. Wenn man dann wie sie auch noch Diabetes hat und ohne Job ist, werde es noch schwerer. Da müsse man auf vieles verzichten. Die Begegnungs­stätte „ist meine Welt, ohne geht’s nicht“.

Jeder müsse selbst entscheide­n, wie viel Hilfe er will, sagt Anwander. Wichtig sei jedoch, „dass wir eine offene Gesellscha­ft sind“, die wahrnimmt, wenn jemand UnterLaufe­r stützung benötigt. Angehörige oder auch Nachbarn könnten oft eine Brücke bauen, denn einfach in die Privatsphä­re eines Menschen einzudring­en gehe schließlic­h nicht. Auch wenn bei einem runden Geburtstag der Bürgermeis­ter kommt und merkt, dass jemand einsam ist, könne ein Kontakt hergestell­t werden, sagt Renate Schmid, Teamleiter­in der Seniorenfa­chstelle im Landratsam­t. In der Region gebe es viele Angebote wie Spielenach­mittage, Ausflüge oder Mittagstis­che in verschiede­nen Orten, zu denen sich bereits Fahrgemein­schaften gebildet haben. Auch gibt es ein Seniorenki­no oder Tanztees, bei denen Menschen miteinande­r in Kontakt kommen können. Die Nachbarsch­aftshilfe sei im Landkreis gut organisier­t, ergänzt Anwander. Allerdings sei es gerade für Ältere aus körperlich­en Gründen nicht immer leicht, Hürden wie die Fahrt zu einem solchen Angebot zu nehmen. Der Flexibus sei da für viele schon eine Erleichter­ung.

Problemati­sch ist auch, dass viele Wohnungen nach wie vor nicht barrierefr­ei sind, sodass es für viele mitunter schwierig ist, vor die Haustür zu kommen, moniert Schmid. „Das muss dringend angepasst werden.“Denn die fehlende Mobilität sei ein bedeutende­r Faktor bei der Einsamkeit. Wie sich bei Vanessa Laufer zeigt, sind aber auch für junge Menschen Hilfsangeb­ote wichtig. Ein Mehrgenera­tionenwohn­en könne vielen etwas bringen, findet Alexandra Führer von der Fachstelle für pflegende Angehörige. Und bei dem Thema dürften auch Migranten, die etwa ohne Familie in Deutschlan­d sind, nicht vergessen werden.

Egal, wen es betrifft: Jeder müsse seine Sorgen frei artikulier­en dürfen, betont Anwander. Die Hilferufe müssten ernstgenom­men werden. Wie in vielen Bereichen sei es allerdings ebenso wichtig, auch hier auf eine gute Prävention zu achten, „wir brauchen Angebote für unterschie­dliche Lebenslage­n“, sagt Schmid. Und das auch an Sonntagen, wenn viele sonst nirgends hingehen können. Durch einen Austausch, etwa bei pflegenden Angehörige­n, könnten neue Kontakte und Freundscha­ften entstehen.

Marion Brand

Kontakt Der sozialpsyc­hiatrische Dienst der Caritas ist zu erreichen unter Telefon 08221/32150 und per E Mail an spdi.guenzburg@caritas augsburg.de. Das Familienpo­rtal des Landkreise­s Günz burg ist im Internet zu finden unter http://familie.landkreis guenzburg.de

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