Mittelschwaebische Nachrichten
Ein Menü gegen Einsamkeit
Gerade viele ältere Menschen im Landkreis leben alleine. Doch nicht nur ihnen fehlen oftmals soziale Kontakte. Wie ihnen auf vielfältige Weise geholfen wird / Von Christian Kirstges
Ein Cremesüppchen als Vorspeise, ein gefüllter Gärtnerbraten mit Butternudeln und Rosenkohl als Hauptgang und Apfelmus zum Dessert. Dazu gibt es einen Salat. Und wer kein Fleisch essen mag, bekommt Rahmchampignons mit Semmelknödeln. Das ist nicht die Speisekarte eines Wirtshauses, sondern des Mittagstischs im Günzburger Kolpingsaal. Ein Menü wie dieses kostet hier gerade einmal 4,50 Euro, 40 bis 50 Gäste lassen sich gerne jeden Donnerstag bewirten. Insgesamt sind es 75 Senioren, die dieses Angebot wahrnehmen. Nicht nur Liebe geht durch den Magen, sondern auch soziale Wärme.
Viele kommen hierher, die sonst alleine zu Hause essen müssten, sagt Waltraud Stricker, die Vorsitzende der Seniorengemeinschaft im Landkreis Günzburg. Die Kolpingfamilie bietet den Mittagstisch zusammen mit dieser an. Es gebe auch Gäste, die einfach wegen der Geselligkeit kommen, die meisten wollen aber so zumindest vorübergehend der Einsamkeit entgehen. „Eine Frau sagte mal zu mir, dass für sie die Woche nur aus Donnerstagen besteht“, erzählt Stricker. Wenn man niemanden und auch keine Aufgabe mehr hat, ist eben jeder Tag gleich. Zwar kommen bislang nur Senioren, aber grundsätzlich kann jeder hier essen. „Es wäre uns sehr wichtig, wenn auch andere Generationen, beispielsweise junge Mütter mit Kindern, zu uns kommen“, sagt Stricker. Schließlich gebe es nicht nur einsame Alte. Bis zu 100 Leute zu verköstigen, sei gar kein Problem.
Die sieben festen Helfer und weitere gute Geister beginnen um 10.30 Uhr mit den Vorbereitungen. Sie wischen alles ab, spülen, bereiten die Tische und für später den Kaffee vor. Bis etwa 14 Uhr sind sie mit dem Mittagstisch, den es seit Oktober 2016 gibt, beschäftigt. Danach beginnt das Nachmittagsprogramm, bei dem beispielsweise Brettspiele oder Schafkopf gespielt werden. Gegen 17.30 ist dann Feierabend. Über das Jahr verteilt gibt es zusätzliche Angebote wie Theater oder eine Faschingsfeier. „Wir hatten überlegt, den Mittagstisch zwei Mal die Woche anzubieten“, sagt Stricker. „Aber momentan reicht es so.“
Zwar kostet das Menü, das vom Versorgungszentrum des Bezirkskrankenhauses gekocht wird, nicht viel. Aber doch gebe es Menschen, die sich auch die 4,50 Euro für das Essen nicht leisten können. Deshalb fertigt die Handarbeits- und Bastelgruppe der Seniorengemeinschaft extra schöne Dinge an, die hier don- verkauft werden und deren Erlös dafür genutzt wird, den besonders Bedürftigen das Menü zu zahlen. Wie groß die Not hier ist, kann Stricker noch nicht an Zahlen festmachen, „wir loten das gerade aus“. Aber die Altersarmut nehme zu – und auch bei Menschen, denen man es nicht ansehe. Dass die Einsamkeit in der Region für viele ebenfalls ein Thema ist, sei ihr vorher auch nicht so bewusst gewesen.
Hannelore aus Günzburg, die ihren Nachnamen lieber nicht nennen möchte, ist eine derjenigen, die alleine lebt – seit mehr als 20 Jahren. Sie hat sich der Handarbeitsgruppe angeschlossen, „ich brauche Leute, die um mich herum sind“. Ab und zu bringt sie jemanden zum Mittagstisch mit, der selbst alleine ist. Alte, so findet sie, würden ja ohnehin aufs Abstellgleis gestellt. Sie habe früher in der Klinik gearbeitet und kenne dadurch immerhin noch viele in der Stadt. Auch sie merkt, dass die Armut und Einsamkeit gerade bei den Älteren zunehmen.
Das macht sie an ihren Erfahrungen fest, die sie als Helferin der Tafel sammelte. Gerade viele aus der Kriegsgeneration schämten sich, ein solches Angebot anzunehmen, dabei hätten sie nur eine minimale Rente. Viele hätten angesichts ihrer Situation auch einen Hass auf Flüchtlinge, „aber wir dürfen nicht ins Radikale verfallen, das hatten wir ja schon mal“. Sie freut sich jedenfalls, donnerstags zum Mittagstisch zu gehen, sagt die 75-Jährige. Die Gerichte seien sehr gut und dann müsse sie nicht alleine kochen und essen. Das geht Elisabeth, 74 Jahre alt und ebenfalls aus Günzburg, genauso. „Hier trifft man Leute.“Und Josefine, 78, aus Leipheim freut sich ebenfalls, beim Mittagstisch Anschluss zu finden. „Es ist super, dass man hierher kommen kann.“
Alleine leben im Landkreis viele Menschen. Nach den Zahlen des Zensus 2011 – aktuellere sind nicht vorhanden – gibt es hier 14 487 Einpersonenhaushalte. Das sind 29,5 Prozent aller Haushalte. Damit steht die Region noch recht gut dar. In Schwaben gab es 34,8 Prozent dieser Singlehaushalte, wie sie auch genannt werden, in Bayern 36 und in ganz Deutschland 37,2 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 2007 gab es nach einer Statistik des Landratsamtes 11 113 alleinlebende Senioren hier, etwa drei Viertel davon waren Frauen. Und was die Armut angeht: Im Landkreis sind im Vergleich zum Jahr 2008 heute mehr Menschen von der Grundsicherung abhängig. Lebten damals noch 264 Bürger in einer Bedarfsgemeinschaft, so waren es im Februar dieses Jahres 366.
Grundsicherung erhält, wer im Rentenalter ist oder dauerhaft keiner Arbeit nachgehen kann und die Rente nicht für das Existenzminimum reicht. Der Geschäftsführer der Caritas Günzburg, Mathias Abel, geht davon aus, dass „die Altersarmut noch stark zunehmen wird“angesichts der vielen geringnerstags fügigen Beschäftigungen. Schon in den nächsten zehn Jahren werde das Problem deutlich größer werden. Zumindest gefühlt habe ebenfalls die Einsamkeit zugenommen, auch wenn sie statistisch nicht erfasst sei. Gerade wenn der Partner und Freunde sterben, mache sie sich bemerkbar. „Es ist schon eine beklemmende Vorstellung, wenn sich keiner mehr für einen interessiert.“Das alles habe sicherlich auch mit dem gesellschaftlichen Wandel zu tun: „Immer weniger Menschen haben im fortgeschrittenen Alter noch einen (Ehe-)Partner und Kinder.“Deshalb sei es umso wichtiger, dass für sie schon heute viel angeboten werde, um mit anderen Leuten in Kontakt zu kommen.
Mancher möchte das aber nicht einmal. So hat das Rote Kreuz bei Essen auf Rädern die Erfahrung gemacht, dass viele die Tür nicht öffneten, wenn das Mittagessen kommt – es gebe oft sogar die Anweisung, die Box vor der Tür abzustellen, weiß Ingrid Merkle, die sich beim Kreisverband um das Angebot kümmert. Wobei das auch damit zu tun haben könne, dass Ältere nicht mehr so schnell zur Tür kommen und deshalb von vornherein sagen, dass das Essen abgestellt werden soll. Jedenfalls hätten die Bestellungen in diesem Jahr stark zugenommen, im Schnitt seien es 50 pro Tag. Dass Einsamkeit gerade im Alter ein großes Thema ist, weiß auch der Leiter der Kreisaltenheime, Martin Neumeier. Männer seien davon stärker betroffen, „denn sie pflegen ihre sozialen Kontakte weniger als Frauen“. Er macht die Erfahrung, dass Menschen, wenn sie ins Heim kommen, entgegen der landläufigen Meinung wieder aufblühen, „denn hier haben sie wieder mit Menschen zu tun“. Außerdem gebe es ein umfangreiches Angebot, um den Tag zu gestalten, und spezielle Ansprechpartner beim Personal, um den Alltag zu meistern. „Letztlich liegt es aber am Einzelnen, was er annimmt.“Auch könne es vorkommen, dass jemand nach dem Tod des Partners „nachstirbt“– oder auflebt. Das hänge auch vom Kontakt zu Familie und Freunden ab.
Die 96-jährige Hulda Gaus hätte sich jedenfalls nicht vorstellen können, das Günzburger Wahl-Lindersche Alten- und Pflegeheim einmal als ihr Zuhause zu bezeichnen. Sie lebt hier bereits im neunten Jahr und wollte zuvor nicht ins Heim, „aber dann wäre ich alleine zu Hause gewesen“. Ihre Kinder hätten ihr vorgeschlagen, eine Polin als Haushaltsund Lebenshilfe einzustellen, aber „da bin ich lieber ins Heim“. Es war eine Umstellung, vom großen Haus in ein Zimmer zu ziehen, jetzt gefalle es ihr hier aber besser, als alleine zu Hause zu sein. Hier sei immer etwas los – und um die Vorsitzende des Heimbeirats zu sprechen, brauche man fast einen Termin, so beschäftigt sei sie, sagt Einrichtungsleiterin Eva Schmied lachend. Dennoch entscheiden sich viele gegen das Heim und für das eigene Zuhause. Und auch die Pflegedienstleiterin der Ökumenischen Sozialstation im Landkreis Günzburg, Eva Huber, sagt, dass Einsamkeit immer ein Thema sei. Da seien die Mitarbeiter ein wichtiger Ansprechpartner für die Menschen.
„Wenn wir merken, dass jemand depressiv alleine ist, versuchen wir natürlich, da was zu machen.“Das sei jedoch nicht immer leicht, da jeder die Einsamkeit anders annimmt. „Und es gibt durchaus auch Leute, die alleine glücklich sind.“Ein Problem gebe es in jedem Fall: Wer noch keine umfassende Hilfe brauche und ins Heim wolle, bevor er sie benötige, habe das Nachsehen. Denn für solche Fälle sei das Angebot an Plätzen reduziert worden. Seit dem Abschaffen der Pflegestufen und der Einführung von Pflegegraden gehe ambulant immer vor stationär. Hilfen gebe es dennoch, und die Nachfrage sei da.
Ein Angebot für alle, die noch fit sind und Anschluss suchen, gibt es immer montags von 19.30 bis 21 Uhr im Festsaal der Taferne Ziemetshausen. Hugo und Erika Arndt, selbst begeisterte und begeisternde Tänzer, zeigen anderen, wie man sich übers Parkett bewegt. Anmelden muss sich dazu keiner, mal sind es fünf Paare, mal 15. Die meisten, die hierher kommen, sind in der Tat nicht alleine – aber gedacht ist das Angebot von der Nachbarschaftshilfe Ziemetshausen durchaus gerade auch für die, die es sind. So sind beispielsweise Anne-Marie Zaharescu, 45, und Nina Bordeianu, 40, aus Rumänien dabei. Sie arbeiten in der Region in der Pflege und freuen sich über die Ablenkung vom Heimweh.
Seit drei Jahren gibt es diesen Tanzabend, erzählt Gerlinde Emminger. Ausgegangen ist er vom Freiwilligenzentrum Stellwerk, mit initiiert hat sie ihn. Die Gemeinde stellt den Raum gratis zur Verfügung, Hugo und Erika machen es aus Spaß an der Freude – und das einfach „phänomenal“, finden Maria Wiedemann, 51, und ihr Mann Raimund Kraus, 55. Seit mehr als 30 Jahren sind sie ein Paar und hier tanzen sie seit zweieinhalb Jahren. Dass sie Spaß daran fanden, war der Auslöser, ihre Hochzeit groß und eben mit einem Tanz zu feiern. In der Taferne war am 17. Dezember 2016 die standesamtliche Feier, am 23. August vergangenen Jahres wurde dann auch kirchlich geheiratet. Und auch wenn hier die meisten bereits liiert sind – vielleicht finden ja auch Einsame zusammen. Oder zumindest Anschluss.
„Es wäre uns wichtig, wenn auch andere kommen.“
Waltraud Stricker, Seniorengemeinschaft
„Die Altersarmut wird noch stark zunehmen.“
Mathias Abel, Caritas
„Männer sind stärker von Einsamkeit betroffen.“
Martin Neumeier, Kreisaltenheime
„Es gibt auch Leute, die alleine glücklich sind.“
Eva Huber, Ökumenische Sozialstation