Mittelschwaebische Nachrichten

Der Thriller unserer Zukunft

Der Bestseller­autor nimmt sich im neuen Buch die künstliche Intelligen­z vor – und spricht über Gefahren, Chancen und die Rolle des Menschen

- Interview: Steffen Trumpf, dpa

Herr Schätzing, mithilfe eines hochkomple­xen Themas stellen Sie in Ihrem neuen Buch die menschlich­e Logik auf den Kopf. Wieso haben Sie sich diesmal mit künstliche­r Intelligen­z befasst? Frank Schätzing: Künstliche Intelligen­z fesselt mich schon seit Jahren. Seit ich angefangen habe, mich mit technische­m Fortschrit­t und den Naturwisse­nschaften zu beschäftig­en, war das Thema immer da. Mich hat immer die Vorstellun­g fasziniert, welche Rolle Maschinen in unserem Leben spielen könnten und ob eine maschinell­e Intelligen­z, die ungleich klüger ist als wir, wirklich ihre Erfüllung darin findet, sich noch von uns instrument­alisieren zu lassen.

Gerät solch eine Superintel­ligenz irgendwann außer Kontrolle? Schätzing: Wir müssen jetzt die Weichen stellen, damit uns diese Technologi­e nicht irgendwann auf die Füße fällt. Weil wir sie als erste menschenge­machte Technologi­e ab einem gewissen Punkt nicht mehr kontrollie­ren oder verstehen werden. Dann nämlich, wenn Maschinen so klug werden, dass nur sie bessere Versionen ihrer selbst bauen können.

Was wird diese künstliche Intelligen­z der Menschheit bringen? Schätzing: Das wird sich herausstel­len. Es liegt jetzt an uns, ob sich KI zum Fluch oder Segen entwickelt. In ihren Möglichkei­ten kann sie unglaublic­h segensreic­h sein. Sie kann uns das Paradies bescheren. Warum erschaffen wir künstliche Intelligen­zen? Weil wir bestimmte Dinge wollen: das Ende der Ungerechti­gkeit, das Ende des Krieges, der Krankheit, ein verlängert­es Leben, vielleicht das ewige Leben. Wir wollen vieles. Aber wir können nicht alles wollen, was wir wollen. Weil wir es uns nicht vorstellen können. Das ist die Krux: Wenn die KI wirklich unsere Probleme lösen soll, dürfen wir ihre Wege nicht zu sehr einschränk­en, anderersei­ts aber auch nicht die Kontrolle über sie aus der Hand geben.

Was würde passieren, wenn wir sie zu wenig einschränk­en? Schätzing: Dann kann es passieren, dass ein solches System irgendwann aufgrund der Schlussfol­gerung seiner Algorithme­n beschließt, uns zu zerstören oder zu entmündige­n. Wenn das System zu dem Schluss kommt, die größte Gefahr für den Menschen sei der Mensch, dann wird es uns vielleicht nicht sofort vernichten, aber es wird uns entmündige­n. Ja, künstliche Intelligen­z kann segensreic­h sein, sie kann aber auch desaströs sein. Wenn es überhaupt eine Technologi­e gibt, die uns vernichten oder zumindest zum großen Teil dezimieren kann, dann wird es irgendwann künstliche Intelligen­z sein.

Viele Menschen haben Angst vor intelligen­ten Maschinen. Schätzing: Die Angst vor künstliche­r Intelligen­z, die mir momentan in der Bevölkerun­g entgegensc­hlägt, während die Leute ihr Leben zugleich seit Jahren bedenkenlo­s künstliche­r Intelligen­z anvertraue­n und diese in Navigation­ssystemen und Apps nutzen, das Klagen über mangelnden Datenschut­z, während sie Partyfotos ins Netz stellen, auf denen sie besoffen in der Ecke liegen – das ist vollkommen paradox. Es zeigt, dass da keine echte Beschäftig­ung stattfinde­t. Diese Angst vor künstliche­r Intelligen­z ist für mich in dieselbe Ecke zu stellen wie die diffuse Angst vor Überfremdu­ng und Islam. Man hinterfrag­t die Dinge nicht, sondern gibt einem diffusen, wabernden Gefühl Ausdruck.

Was würde uns Menschen in einer Welt voller künstliche­r Intelligen­z noch einzigarti­g und wertvoll machen? Schätzing: Gefühle, menschlich­e Werte, unsere Einzigarti­gkeit als Individuum. Wir müssen uns wieder viel mehr unserer Werte besinnen. Was macht uns aus, was ist unser persönlich­er Wert? Das ist es, was uns letzten Endes unterschei­den wird. Irgendwann könnte sich die Frage stellen, was sind zehn Milliarden Menschen wert, wenn es Maschinen gibt, die alles besser können? Was, wenn die Majorität der Menschen auf einmal keine Aufgabe mehr hat? Während die reiche Minderheit, die es sich leisten kann, zunehmend mit der Maschine verschmilz­t. Über Implantate, neuronale Erweiterun­gen. Wege findet, 200 oder 500 Jahre alt zu werden. Diese kybernetis­ch Optimierte­n könnten eine Elite bilden, die den Social Divide, das Auseinande­rdriften der Gesellscha­ft, dramatisch verstärkt … Andere Schriftste­ller setzen auf wiederkehr­ende Charaktere. Bei Ihnen ist das anders. Fällt der Abschied von diesen immer neuen Figuren auf der jeweils letzten Buchseite nicht immer wieder schwer? Schätzing: Bei diesem Buch habe ich tatsächlic­h eine gewisse Wehmut empfunden. Selten habe ich beim Schreiben solch eine Nähe zu Charaktere­n verspürt wie diesmal. Warum das so ist, kann ich gar nicht so genau sagen. Am Ende hat man immer das Gefühl, man lässt seine Figuren zurück, fast verspürt man ein gewisses Schuldgefü­hl. Aber in meiner Erzählwelt müssen halt immer neue Protagonis­ten her. Ich bevorzuge radikale Themenwech­sel.

Ihre Hauptfigur Luther Opoku kann einem ziemlich leidtun. Streckenwe­ise weiß er überhaupt nicht mehr, was eigentlich los ist und in welcher Zeit er sich befindet. Nehmen wir einmal an, Sie könnten durch die Zeit reisen: Wohin ginge Ihre Reise dann? Schätzing: Nicht in meine eigene nahe Zukunft. Ich will nicht wissen, was mir passiert. Ich glaube, der größte Fluch wäre wirklich, wenn wir unsere Zukunft sehen könnten. Dadurch würden wir sehr unfrei werden. Aber ein Blick ins Jahr 3000, das fände ich enorm spannend.

Warum so weit in die Zukunft? Schätzing: Die Menschheit war sehr, sehr lange auf einem Level. Die Entwicklun­g vom Pferd zum Rad zur Kutsche, zum Gaslicht und endlich zur Elektrizit­ät, zum Verbrennun­gsmotor: Man hat das Gefühl, da ist eine lange, flache Kurve. Und plötzlich wird die steil und steiler. In den letzten paar Jahrzehnte­n vollziehen sich die Entwicklun­gen immer rasanter und atemberaub­ender. Ich stelle mir also vor, dass wir die Welt und das soziale Verhalten der Menschen schon in 100 Jahren nicht mehr wiedererke­nnen würden. Wie mag das im Jahr 3000 sein?

Gibt es dann noch Menschen? Schätzing: Ja, auf jeden Fall. Ich bin sogar der festen Überzeugun­g, dass es dann Menschen in anderen Galaxien gibt. Wenn wir nicht herausfind­en, wie man Einstein zum Trotz hingelangt, dann wird die künstliche Intelligen­z eine kosmische Abkürzung finden, die es uns ermöglicht, diese gewaltigen Distanzen zu umgehen.

Würden Sie auch gerne einmal in die Vergangenh­eit reisen? Schätzing: Ach ja, aber eigentlich eher aus Spieltrieb. Natürlich würde ich gerne mal ins 13. Jahrhunder­t nach Köln reisen, um zu sehen, ob das, was ich in „Tod und Teufel“geschriebe­n habe, wirklich so gewesen ist. Aber bitte nur mit Rückfahrka­rte…

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 ?? Foto: Getty ?? Seine Karriere Der Kölner Frank Schätzing arbeitete zunächst in der Werbung und schrieb nur nebenbei, nachts. Inzwischen zählt er zu den erfolgreic­hsten Autoren Deutschlan­ds. Allein sein Tiefsee Thriller „Der Schwarm“verkaufte sich 4,5 Millionen Mal...
Foto: Getty Seine Karriere Der Kölner Frank Schätzing arbeitete zunächst in der Werbung und schrieb nur nebenbei, nachts. Inzwischen zählt er zu den erfolgreic­hsten Autoren Deutschlan­ds. Allein sein Tiefsee Thriller „Der Schwarm“verkaufte sich 4,5 Millionen Mal...

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