Mittelschwaebische Nachrichten
Unabsteigbar?
Die Hanseaten schicken sich tatsächlich an, auch dieses Jahr wieder irgendwie den Klassenerhalt zu schaffen. Trotzdem kritisiert der Trainer seinen Lieblingsschüler
Wolfsburg Wie viele Leben hat der HSV? Die ganze Liga stellt sich nach drei Siegen in vier Spielen diese Frage. Eigentlich war der HSV nach der Niederlage in Hoffenheim und einem Acht-Punkte-Rückstand auf den Relegationsplatz so gut wie abgestiegen. Doch Christian Titz hat das Team zu neuem Leben erweckt: Beim 1:0 gegen Freiburg war noch Glück im Spiel, in Wolfsburg war es überwiegend Können. Die Hamburger spielten Fußball, statt die Bälle weit und hoch irgendwohin zu befördern, wo sie niemand verarbeiten kann. Schon in der ersten Hälfte hatte der HSV das Spiel im Griff, das überraschend offensiv geführt wurde. Als sich auch die bestens gelaunten und sangesfreudigen Hamburger Fans auf ein 0:0 zur Pause eingestellt hatten, kamen die drei Minuten des Tatsuya Ito. Nachdem er zuvor kaum aufgefallen war, schnappte er sich in Minute 43 das Spielgerät, zog von rechts in den Strafraum ein, doch Joshua Guilavogui stand ihm so im Weg, dass der kleine Ito nur fallen konnte.
Der Elfmeter war berechtigt, aber wer sollte schießen? Hunt und Kostic hatten in dieser Saison schon verschossen. Also schnappte sich Bobby Wood den Ball. Wood, der völlig außer Form schon auf der Tribüne gelandet war und von Titz überraschend in die Startelf beordert wurde. Und Wood passte damit in die sich anbahnende Story des Wunderheilers Titz, denn er versenkte den Strafstoß humorlos zur Führung. Noch ehe sich die Wolfsburger neu justiert hatten, war Ito schon wieder am Ball. Diesmal flankte er von links vor das Gehäuse, Lewis Holtby stieg nur moderat in die Höhe, es reichte zur 2:0-Führung. Holtby. Der Aussortierteste der Aussortierten erzielte unter seinem Förderer Titz bereits sein viertes Tor. Dass der Trainer nicht bedingungslos hinter dem neuen Goalgetter steht, zeigte Titz schon bei seinem Auftritt am Samstagabend im Sportstudio. Lewis Holtby hatte im Überschwang des Sieges die Ursache des Erfolges so beschrieben: „Erstmals seit vier Jahren wird endlich bei uns wieder Fußball gespielt.“Diese Fundamentalkritik an den Trainerkollegen passte Titz nicht: „Ich fand das unangenehm und auch unangemessen“, kritisierte er seinen Lieblingsschüler, dem er attestierte: „Er ist ein herzensguter Mensch mit hoher Sozialkompetenz, aber er haut in der Euphorie auch schon mal Sachen raus, die er besser nicht gesagt hätte.“Kurz vor Schluss wurde das Spiel noch einmal richtig spannend und wäre fast gekippt, weil Julian Pollersbeck einen harmlosen Freistoß der Wölfe passieren ließ.
Der HSV war kurzzeitig geschockt, die Wölfe witterten ihre Beute, doch weil sie zu ungestüm agierten, bekam der HSV noch einmal zwei wunderbare Chancen. Erst klärte Torhüter Koen Casteels glänzend gegen Kostic, dann hatte Luca Waldschmidt seinen großen Auftritt. Waldschmidt – der mit seinem Last-Minute-Tor am letzten Spieltag der vergangenen Saison den HSV rettete und Wolfsburg in die Relegation schoss. Seither traf der Ex-Frankfurter nicht mehr. Erst holte er in der Nachspielzeit einen Elfmeter raus, dann verwandelte er den Nachschuss, nachdem Kostic vom Punkt aus an Casteels gescheitert war. Abpfiff. Freudentaumel, Freudentänze. Der Hamburger SV ist zurück im Abstiegskampf. „Halbfinale“nennt Christian Titz am nächsten Samstag das Spiel mit dem Tatort Frankfurt. Ein Sieg könnte die Indizienkette zur Gewissheit machen. Vielleicht ist der HSV ja wirklich unabsteigbar. Tore 0:1 Wood (43./Foulelfmeter), 0:2 L. Holtby (45.), 1:2 Brekalo (78.), 1:3 L. Waldschmidt (90.+3) Zuschauer 29 400