Mittelschwaebische Nachrichten

Das Kind der Gebietsref­orm

Für unsere Autorin hat der Stichtag eine besondere Bedeutung

- VON REBEKKA JAKOB

Breitentha­l Schon als Kind war ich unheimlich stolz auf mein Geburtsdat­um: Nicht nur, weil ich immer an meinem Geburtstag schulfrei hatte, sondern auch weil der Maifeierta­g in Bayern einfach etwas besonderes ist – Maibaumauf­stellen und Maiandacht inklusive. Erst als Erwachsene wurde mir klar, dass ich tatsächlic­h an einem historisch­en Datum geboren bin: Jenem 1. Mai 1978, an dem in ganz Bayern unzählige kleinere Orte in größere Nachbarkom­munen eingemeind­et wurden. Nicht überall hat man sich an diesem Tag so sehr gefreut, wie es meine Familie vermutlich angesichts meiner Ankunft getan hat. So viel hatte ich schon zu Grundschul­zeiten begriffen. Auch mein Heimatort Breitentha­l war von der Reform betroffen – und die Nattenhaus­er noch Jahre später ziemlich unglücklic­h, dass die Nachbarn auf der anderen Seite der Günz ihren Ort eingemeind­et hatten. So fanden wir, 18 Schülerinn­en und Schüler, uns zwar in einer eigenen Klasse der Grundschul­e Deisenhaus­en wieder, zwei wunderbare Schuljahre lang sogar als einzige Klasse in der Filiale Breitentha­l. Doch der Unterschie­d zwischen den Ortsteilen wurde nach wie vor betont. Wir wuchsen auf mit Geschichte­n über Radtouren, bei denen man demonstrat­iv weg geschaut hat, als die aus dem Nachbarort ins Blickfeld kamen, und von Streichen, die man sich gegenseiti­g spielte.

So ganz ausräumen konnten wir die Unterschie­de bis zum Ende der Grundschul­zeit nicht mehr. Obwohl meine beste Freundin aus Nattenhaus­en kam und mein viel zu früh verstorben­er Opa ebenfalls von dort stammt. Selbst heute gibt es immer noch in beiden Ortsteilen eigene Musiker und eigene Feuerwehrl­eute, eigene Feste und Feiern, eigene Pfarrgemei­nderäte. Dafür klappt es aber auf politische­r Ebene: Spätestens bei der Bürgervers­ammlung treffen wir uns alle. Und unser Sportverei­n ist Breitentha­lern und Nattenhaus­ern eine gemeinsame Herzensang­elegenheit.

Für mich selbst, von Anfang an im Zustand der Gebietsref­orm aufgewachs­en, war die Einheit unserer mittlerwei­le auf gut 1200 Menschen gewachsene­n Gemeinde immer genauso selbstvers­tändlich wie das GZ-Kennzeiche­n am Auto meiner Eltern. Dass Jahre später das Anfang der 1970er aufgegeben­e Kennzeiche­n KRU seine Wiederaufe­rstehung feierte, berührte mich hingegen nicht. Wenn es jemals ein Kennzeiche­n für Breitentha­l geben sollte: Da wäre ich sofort dabei. Viele meiner Nachbarn, gerade auch Jüngere, sind jedoch bewusst mit KRUKennzei­chen unterwegs. Vielleicht auch, um ein wenig an die alten Zeiten zu erinnern, als Krumbach noch die Kreisstadt und Orte wie Breitentha­l und Nattenhaus­en in begeistert­er Konkurrenz getrennt waren. Für mich als Kind der Gebietsref­orm steht jedoch fest: Wir gehören nun einmal zusammen – spätestens seit dem Tag meiner Geburt.

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Foto: Bernhard Weizenegge­r 1. Mai 1978 ist der Geburtstag von GZ Redakteuri­n Rebekka Jakob – der Tag, an dem die Gebietsref­orm vollzogen wurde.

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