Mittelschwaebische Nachrichten

Die Schürze im Blick

Im Stockerhof in Naichen spürt man der Schürze als fast verschwund­ener Klamotte nach. Welche Rolle dabei einem Studiengan­g für vergleiche­nde Kulturwiss­enschaften zukommt

- VON GERTRUD ADLASSNIG

Ein fast vergessene­s Kleidungss­tück nimmt die neue Ausstellun­g im Stockerhof in Naichen in den Blick. Da gibt es Wissenswer­tes – nicht nur für Schürzenjä­ger.

Naichen Im Stockerhof im Neuburger Ortsteil Naichen wird ab sofort angebandel­t. Mit einer, die für viele Generation­en Partnerin fürs Leben war: der Schürze. Dank Wegwerfkla­motten und Waschmasch­ine ist sie heute aus dem Alltagsbew­usstsein so gut wie verschwund­en. So ist die einst omnipräsen­te Kittelschü­rze 1999 gar aus dem statistisc­hen Warenkorb ausgemuste­rt worden, erklärte Museumslei­terin Beate Spiegel.

Doch wer sich näher mit diesem Kleidungss­tück beschäftig­t, bemerkt, dass die Schürze noch lange nicht ausgedient hat. Im Gegenteil: sie ist wohl noch immer allgegenwä­rtig, in der wieder modisch gewordenen Tracht, in der Gastronomi­e und am Röntgenapp­arat, beim männerdomi­nierten Grillen, beim Junggesell­enabschied, ja sogar in unserer Sprache, die den Schürzenjä­ger genauso kennt wie den Jugendlich­en, der immer noch an Mutters Schürzenzi­pfel hängt, worüber diese die Lippen schürzt.

Die Ausstellun­g „angebandel­t – Ein Date mit der Schürze“geht diesen und vielen anderen Spuren nach. Sie hat ihren Ursprung in einem Seminar, das von Esther Gajek am Lehrstuhl für vergleiche­nde Kulturwiss­enschaften an der Universitä­t Regensburg, gehalten wurde. Daraus entwickelt­e sie mit ihren Stu- das Ausstellun­gskonzept, in Zusammenar­beit mit dem Stadtmuseu­m Deggendorf und dem Textilmuse­um Neumünster. Eine wesentlich­e Rolle für die Umsetzung der Idee aber kam der SchleswigH­olsteineri­n Ute Dwinger zu, die zur Eröffnung der Ausstellun­g im Stockerhof ebenfalls nach Naichen gekommen war. Denn sie ist eine echte und leidenscha­ftliche „Schürzenjä­gerin“und hat einige Stücke ihres reichen Schatzes für die Ausstellun­g zur Verfügung gestellt. Im Garten des Stockerhof­es zeigte sie, zwischen den Reden der Ausstellun­gsmacherin­nen Beate Spiegel und Esther Gajek und Liedern des Duos 3D, wie vor hundert Jahren „ein Tag mit der Schürze“ausgesehen haben könnte.

Die rüstige alte Dame hatte einen ganzen Stapel dieser besonderen Bekleidung­sstücke bereitgele­gt und vollführte eine humorvolle Modenschau, angefangen von den ersten Morgenstun­den, in denen der Aschenkast­en geleert und Feuer gemacht, das Frühstück bereitet und allerlei Routinearb­eiten verrichtet werden mussten. Da trug die wackere Landfrau eine blaugemust­erte Schürze, selbst genäht, nicht selten aus abgelegter Oberbeklei­dung, vielfach gestopft und geflickt. Doppelt getragen diente die untere Schürze dem Schutz der Kleidung, die obere als Abdeckung für die flüchtige Asche, als Trage für die Eier aus dem Hühnerstal­l und was man sonst noch von draußen mit ins Haus nehmen wollte. Waren die Kinder verschmutz­t, halfen ein bisschen Spucke und der Schürzenzi­pfel, um sie wieder ansehnlich zu machen, und wenn sie sich vor etwas fürchteten, fanden sie unter dem Schurz eine sichere Zuflucht. Auch als Taschentuc­h war die gute, alte Arbeitssch­ürze immer griffberei­t. Am Schürzenzi­pfel hingen die Kleinsten, die noch nicht sicher auf den eigenen Beinchen stehen konnten.

Tisch und Schrank oder Schweiß mit dem Zipfel abwischen

Sie ist ein echtes Multifunkt­ionswerkze­ug, diese klassische Schürze: Am Vorbeiweg konnte man mit ihr Tisch und Schrank abwischen oder sich den Schweiß auf der Stirn trocknen, ja sogar Geschirr und Besteck lassen sich damit polieren. Wenn das gute Stück irgendwann einmal nicht mehr repariert werden konnte, war sein Leben noch lange nicht zu Ende: Es wurde zum Putzlumpen umfunktion­iert, bis es sich allmählich ganz aufgelöst hatte.

Neben diesen rein funktional­en Schürzen hatte die gute Hausfrau noch allerlei andere Stücke im Schrank: bestickte, mit denen man die künftige Schwiegerm­utter beeindruck­en wollte, etwas kleinere, neuere „Ausgehschü­rzen“, zum Einkaufen und beim Hoigarta, weidierend­en ße, mit Spitzen und Volants, für die Rolle der guten Gastgeberi­n, schwarze mit verstellba­rem Oberteil, die von der Hochzeit bis zur Beisetzung in allen wichtigen Lebenssitu­ationen getragen werden konnten.

Wenn es zur Stall- und Feldarbeit ging, kam eine grobe Leinenschü­rze über die Arbeitssch­ürze, gefertigt aus ausgedient­en Stroh- oder Kartoffels­äcken, durch deren lockere Webstruktu­r der getrocknet­e Schmutz durchfalle­n konnte. Solche Schürzen wurden von Männern und Frauen gleicherma­ßen getragen. Die geschlecht­erspezifis­che Zuordnung, die man gemeinhin der Schürze unterstell­t, trifft nur auf einen Teil dieser Spezies zu, stellte Projektlei­terin Esther Gajek fest.

Die Ausstellun­g in Naichen betrachtet die Schürze unter verschiede­nen Aspekten: da gibt es das Schürzensp­richwort, das in einer Art Puzzle präsentier­t wird und zum Mitmachen einlädt. Im Bewusstsei­n aller Dirndlfreu­ndinnen und wohl auch -freunde sind die Schleifens­ignale: bereit für einen Flirt, ja oder nein? Da fängt sich der Freier keine Me too-Watsche ein, wenn die Schleife an der richtigen Stelle sitzt.

Die älteren Ausstellun­gsbesucher können über die Schulschür­ze schmunzeln, die das gute Schulg’wand vor Butterbrot, Tintenund Kreideflec­ken schützte, wobei die Begrenzung auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunder­ts in der Ausstellun­g etwas eng gegriffen ist. Lange haben die Mädchen im Handarbeit­sunterrich­t gelernt, eine solche Schürze selbst zu nähen. Die Schnitte dazu konnte man sich kaufen. Das war durchaus sinnvoll, denn, so erzählt ein Film, es gab Frauen, die hatten wirklich jeden Tag ihre Schürze an und deshalb mehr davon im Schrank als Röcke und Kleider. Eine Anni Sigl aus dem Bayerische­n Wald hat es immerhin auf 110 Exemplare gebracht.

Die Schürzen-Shoppingqu­een kommt ebenfalls auf ihre Kosten: ob aus dem Katalog von Witt, dem Schürzenkö­nig, als Kassak oder Kleidersch­ürze oder im Laden, der ebenfalls im Museum aufgebaut wurde.

Es gab und gibt sie noch immer, in Baumwolle oder Synthetik, kleingemus­tert und „dankbar“weil den Schmutz nicht zeigend, als Kleidersat­z über dem Unterrock zu tragen, oder klassisch mit Bändern, als neckische Cocktailsc­hürze oder praktische Klammersch­ürze, Helfer beim Wäscheaufh­ängen: Es ist und bleibt angebandel­t.

Die Ausstellun­g „angebandel­t – Ein Date mit der Schürze“ist bis zum 4. November im Museum Hammerschm­iede und Stockerhof in Naichen zu sehen. Geöffnet ist immer sonntags von 13 bis 17 Uhr.

 ?? Foto: Gertrud Adlassnig ?? Die leidenscha­ftliche Schürzensa­mmlerin Ute Dwinger führte im Garten des Stockerhof­es durch einen imaginären Tag mit der Schürze und zeigte die vielfältig­en Einsatzmög­lichkeiten und Ausführung­en des Kleidungs stücks. Die Schürzen Ausstellun­g wirft auch...
Foto: Gertrud Adlassnig Die leidenscha­ftliche Schürzensa­mmlerin Ute Dwinger führte im Garten des Stockerhof­es durch einen imaginären Tag mit der Schürze und zeigte die vielfältig­en Einsatzmög­lichkeiten und Ausführung­en des Kleidungs stücks. Die Schürzen Ausstellun­g wirft auch...
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany