Mittelschwaebische Nachrichten
Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (31)
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbruder nennt. Er kommt aus dem Schlamassel, aus seinen Verhältnissen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomisch.
„S ie werden sich daran gewöhnen. Ich gebe Ihnen drei Mark. Aber Sie gehen achtsam mit dem Geld um, nicht wahr? Drei Mark sind schwer verdient.“
„Ich brauche mindestens zehn Mark“, sagt Kufalt mürrisch.
„O was! O was! Sind wir Millionäre? Sie können ja immer frisches haben, wenn die drei Mark alle sind. Sie kriegen’s, lieber Freund. Aber wenn man erst zu Vater Seidenzopf gehen muß, überlegt man’s zweimal. Und wieder hat man Geld gespart.“
Der Kleine ist schon am Schrank, die Brieftasche ist fort.
,Hätt’ ich das geahnt‘, denkt Kufalt verblüfft. ,Hätt’ ich mir was beiseite gesteckt. Immer wieder fällt man auf diese Brüder rein.‘
„Und nun unterschreiben wir noch schnell die Heimordnung und die Schreibstubenordnung, und dann gehen Sie hinauf und packen aus und rüsten Ihr Bett.“
„Können wir nicht Licht machen?“fragt Kufalt, vor dem zwei
eng gedruckte Formulare liegen. „Ich möchte doch auch gerne wissen, was ich unterschreibe.“
„Das wollen Sie alles lesen? Lieber Freund, was hat denn das für einen Sinn? Tausend Menschen haben das unterschrieben, da werden Sie’s doch auch unterschreiben.“
„Aber wissen möcht’ ich doch, was hier los ist. Lassen Sie mich lieber lesen.“
„Aber Sie ärgern sich unnütz, lieber Freund. Natürlich, wenn Sie wollen. Am Fenster ist noch Licht genug.“
Am Fenster ist nicht mehr Licht genug. Kufalt sieht nach dem Schalter, auf die dämmrige Straße, in den Vorgarten. Da hockt eine Gestalt, ein bleiches, weißnasiges Geschöpf und macht Grimassen zu ihm hin. „Da sitzt doch der Berthold!“ruft er.
„Wo? Oh, dieser Unglückselige! Nun muß ich ihn wieder wegschaffen lassen durch die Polizei. Lieber Herr Kufalt, tun Sie mir die Liebe, unterschreiben Sie schnell. Ich muß zu dem Unseligen, das Ärgernis muß weg. Unser Haus darf nicht auffallen, ein wahres Friedensheim muß es sein. Sehen Sie, nun haben Sie unterschrieben. Ich schüttele Ihre Hand. Mein Sohn sind Sie nun. Gott segne Ihren Eingang.“
„Interkonfessionell ist das Heim aber doch?“grinst Kufalt.
„Aber natürlich! Ganz interkonfessionell! Minna, bringen Sie Herrn Kufalt seine Bettwäsche und ein Handtuch. Minna, dies ist Ihr Bruder Kufalt. Kufalt, dies ist Ihre Schwester Minna.“,Ohgottohgott‘, denkt Kufalt. „Gebt euch die Hand. Natürlich nennt ihr euch weiter Sie. Kufalt, einfach die Treppe hinauf. Suchen Sie sich Ihr Bett aus. Sie sind jetzt hier zu Haus. Sie werden einen Bruder oben finden ...“
„Der spinnt ja, Vater“, sagt Minna, das Mädchen im Friedensheim.
„Ja, er ist krank. Er ist krank noch, der Bruder Beerboom, liebe Minna. Die lange Haft ...“
„Er hat mich gefragt, ob ich mit ihm ausgehen will“, sagt Minna mit den Schielaugen.
„Oh! Oh! Oh! Aber es braucht nichts Unsittliches zu sein, wenn er mit Ihnen ausgehen möchte, natürlich werde ich ihn aber vermahnen. Gehen Sie jetzt, Kufalt, ich muß zu dem gefallenen Bruder.“
Ein Blick aus dem Fenster zeigt Kufalt, daß sein Bruder Berthold wirklich gefallen ist: jetzt kriecht er auf allen Vieren durch den Vorgarten und trägt seinen Hut in den Zähnen.
„Ich muß wirklich die Wache anrufen“, sagt Seidenzopf angesichts der Menge, die sich am Gitter des Vorgartens drängt. Er reißt das Fenster auf und ruft: „Geht doch fort, ihr Neugierigen, ihr Gaffer! Erbarmt sich euer Herz nicht ...“
Eine grobe Stimme ruft aus der Menge: „Wolle-Teddy, mach dir keinen Fleck ins Hemde ...“
Kufalt tastet sich die fast dunkle Treppe hinauf.
Oben auf dem Flur ist es kaum noch hell. Mit Mühe unterscheidet Kufalt eine Tür. Er drückt auf die Klinke und die Tür geht auf. Ein dunkler Raum, der groß zu sein scheint. Kufalts Hände suchen nach dem Schalter, finden ihn schließlich, das Licht brennt, eine runzlige Sechzehn-Kerzen-Birne in einer langen Schlucht.
Zwölf schnurgerade ausgerichtete Betten. Zwölf schmalbrüstige schwarze Schränke. Dazu ein einziger eichener Tisch.
,Üppig ist das nicht‘, denkt Kufalt, ,das trauliche Friedensheim. Wenigstens sind die Fenster nicht vergittert. Sonst ist es eigentlich Kittchen. Die Betten sind auch nicht besser.‘ Erst jetzt sieht er, daß auch die Bettwäsche über seinem Arm Gefängnisbettwäsche ist, blaugewürfelt. ,Haben sie geschnorrt von der Justizverwaltung. Hier wohnt jedenfalls keiner. Wollen mal die nächste Tür versuchen.‘ Die nächste Tür ist verschlossen. Die letzte Tür führt in einen erleuchteten Raum, wo auf einem Bett ein Mann liegt. Der Mann hebt den Kopf, betrachtet Kufalt und sagt: „Na, bist du endlich auch da, oller Knastschieber, Stubben, elender? Wird Zeit. Wieviel abgerissen? Hat dir Wolle-Teddy Geld gelassen? Hast du Schnaps im Koffer? Hast dich schon ausgeschlämmt vom Knast bei den kleinen Mädchen?“„Guten Abend“, sagt Kufalt. Der Mann steht auf und lacht verlegen. Es ist ein mittelgroßer, breiter Kerl mit grauer, lederartiger Haut, dunklen, stumpfen, schwarzen Augen, krausem, schwarzem Haar. „Entschuldigen Sie bloß. Diese Begrüßung sollte nämlich ein Witz sein. Wir sind ja jetzt in der sogenannten goldenen Freiheit. Mein Name ist Beerboom ...“„Kufalt“, sagt Kufalt. „Mein Vater ist Universitätsprofessor, kennt mich aber nicht mehr. Elf Jahre Zeit abgerissen, wegen Raubmord. Ich hab’ ’ne kleine Schwester, die war süß, muß jetzt ein großes Mädel sein. Haben Sie ’ne Schwester?“„Ja.“„So. Ich möchte meine gerne wiedersehen. Darf aber nicht. Mein Vater meldet mich sofort bei der Polente, wenn ich in sein Kaff komme und – Schluß mit der Bewährungsfrist! Wenn ich Sie übrigens störe, dahinten ist noch ein Zimmer, da können Sie auch schlafen.“
„Ich will mal sehen“, sagt Kufalt. „Sind wir die beiden einzigen hier?“
„Ja. Ich bin zwei Tage hier. Dachte schon, ich bleibe der einzige Idiot, der freiwillig in diese Besserungsanstalt geht. Ich hau’ mich wieder hin. Bis zum Abendessen ist noch ’ne halbe Stunde Zeit.“
„Ich will mal sehen“, sagt Kufalt zu dem Raum hin, der hinter diesem liegt.
„Genieren Sie sich nicht. Kann ich verstehen, ich verstehe alles. Übrigens heule ich meistens abends vor dem Einschlafen ’ne Stunde, würde Sie stören. Im Zet haben sie mich deswegen auf Gemeinschaft immer vertrimmt, ich kann es aber nicht lassen. Ist übrigens ein guter Name, Kufalt, ich denke an Einfalt und Dreifaltigkeit. Was ist eigentlich Dreifaltigkeit?“
„Irgend was mit dem Heiligen Geist.