Mittelschwaebische Nachrichten
Bloß kein tragisches Ende!
Musicals sind keine Selbstläufer mehr. Die Produktionenkosten gehen aber schnell in die Millionen. Beim Petry-Spektakel „Wahnsinn!“wurde genau hingeschaut, ob es sich lohnt
„Waaahnsinn!“, schallt es durch das Duisburger Theater am Marientor – und die Antwort aus 1600 Kehlen lässt nicht lange auf sich warten: „Hölle, Hölle, Hölle!“Nun, Wahnsinn ist es natürlich nicht, was dort im Ruhrpott das Publikum allabendlich in glückseliger Erinnerung an Wolfgang „Wolle“Petry jubeln und skandieren ließ. Eher schon ein wohl kalkuliertes MusicalUnternehmen gleichen Titels, das auf die Musical-Begeisterung der Deutschen, vor allem auf die Millionen von „Wolle“-Fans, hofft (ab 16. Mai in München), die seit dem Bühnen-Rückzug des Sängers vor über 15 Jahren seine Hits nur noch auf Schlagerpartys feiern können. 75000 Karten wurden im Vorverkauf bereits abgesetzt. Auf den ersten Blick eine höchst eindrucksvolle Zahl, die sich bei genauerem Hinsehen ein wenig relativiert: So waren 2006 in Hamburg vor der Premiere der „Dirty Dancing“-Produktion fast 300 000 Tickets verkauft worden. Auch das Udo-Jürgens-Musical „Ich war noch niemals in New York“brachte es zwei Jahre später auf 200000 Vorab-Buchungen.
Doch die Zeiten des MusicalBooms sind vorbei. Selbst der Marktführer Stage Entertainment (SE) kalkuliert heute mit deutlich Besucherzahlen und kürzeren Laufzeiten seiner HausProduktionen an den verschiedenen Standorten. Floppt eines der Großmusicals wie in der Vergangenheit „Rocky“, kann dies angesichts von Produktionskosten zwischen fünf und 20 Millionen Euro unterm Strich Millionenverluste bedeuten. Kein Wunder, dass die Macher mehr denn je nach fassbaren Erfolgsrezepten suchen – ohne sich natürlich in der Öffentlichkeit auf solch ein Baukasten-Prinzip reduzieren lassen zu wollen.
„Ein erfolgreiches Musical muss dem Publikum eine gute Botschaft vermitteln, dann berührt es uns – sei es die Hoffnung auf Liebe oder den Glauben daran, Vorurteile überwinden zu können“, sagt Adam Benzwi, Leiter des Musical-Studiengangs an der Berliner Universität der Künste. Simone Linhof, künstlerische Leiterin der Stage-Produktionen, ergänzt: „Musicals, die gut ausgehen, sind wesentlich erfolgreicher. Der Besucher möchte etwas Positives mitnehmen. Das ist anders als im klassischen Theater, wo es das Publikum eher gewohnt ist zu leiden.“Das ist einer der Gründe, warum in ihrem Haus die düstere Geschichte der „Titanic“nach wenigen Monaten Schiffbruch erlitt und das Revolutions-Epos „Les Miserables“auch finanziell Tränen hinterließ.
Und doch sind historische Themen keineswegs ein Tabu, wie das mit fast 2,5 Millionen Besuchern höchst erfolgreiche Musical „Hinterm Horizont“gezeigt hat, das zur Musik Udo Lindenbergs die Geschichte der deutsch-deutschen Teilung aufgriff – wenngleich für Regisseur Ulrich Waller auch hier von Anfang an klar war: „Jedes gute Musical braucht eine Liebesgeschichte, die den Zuschauer hoffen und bangen lässt, und es sollten auch verschiedene Generationen involviert sein.“
Mit (kriselnden) Liebesgeschichten kann auch „Wahnsinn!“aufwarten – und zwar gleich vier an der Zahl. Die allerdings sind mitten aus dem Alltagsleben gegriffen und in keinen historischen Kontext eingebettet, sondern bilden einfach die Lebens- und Gefühlswelt vieler Menschen zwischen der täglichen Schufterei und den kleinen, großen Träumen ab – genauso wie die Lieder Petrys.
Dass solche, „wie am Reißbrett entworfene“Produktionen durchaus funktionieren können, habe die Udo-Jürgens-Produktion „Ich war noch niemals in New York“gezeigt, sagt Waller. „Wenn dort ein Grieche eingeführt wird, kommt natürlich der Titel ‚Griechischer Wein‘ und gleich auch noch seine ganze Familie hinterher.“Letztlich entgeringeren scheidend für den Erfolg sei, „dass Figuren auf der Bühne sind, mit denen sich das Publikum identifizieren kann: Genial ist dies bei „Mamma Mia“mit einer Vielzahl von Szenen und Milieus gelungen, die alle gespiegelt werden und dem Zuschauer das Gefühl geben, das hat etwas mit mir zu tun.“So klar, so einfach? Letztlich bleibe es Spekulation, ob man die Menschen tatsächlich mit einem Thema erreiche, meint Waller – „doch man kann die Fehlerquellen verkleinern. ‚Rocky‘ etwa war in Deutschland ein Flop, weil die Geschichte keinen wirklich interessiert und man sich mit der Musik nicht sonderlich Mühe gegeben hat.“
Wie schwierig es Musicals mit tragischem Ausgang haben, zeigt auch die Geschichte der LudwigMusicals im extra dafür gebauten Festspielhaus Neuschwanstein. Das erste Ludwig-Musical musste nach ein paar Jahren abgesetzt werden, die Nachfolgeproduktion Ludwig2 lief dort von 2005 bis 2007 und wird dort seit 2016 wieder gezeigt. In diesem Jahr stehen dort 60 Vorstellungen auf dem Spielplan des Festspielhauses.
Termine Das Musical „Wahnsinn!“mit den Liedern von Wolfgang „Wolle“Pe try läuft in München am Deutschen Thea ter vom 16. Mai bis zum 3. Juni.