Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Trikot für Erdogan – darf man das?

Das Treffen der deutschen Nationalsp­ieler mit dem türkischen Präsidente­n hat für mächtigen Wirbel gesorgt. Dennoch fahren wohl beide zur WM. Wir haben Fußballer und Funktionär­e aus der Region nach ihrer Meinung gefragt

- VON JAN KUBICA UND PIT MEIER

Günzburg/Neu Ulm War es eine bewusste Provokatio­n? Ein grobes diplomatis­ches Foul? Tatsächlic­h nur ein Versehen? Oder eine Nebensächl­ichkeit? Wie auch immer: Seit die deutschen Fußball-Nationalsp­ieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan am Sonntag zusammen mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan für Fotos posiert und ihm Trikots ihrer Vereinsman­nschaften geschenkt haben, diskutiere­n die Fußball-Fans auch in der Region über das Verhalten der Vorbilder und die korrekte Reaktion darauf.

Gestern präsentier­te Bundestrai­ner Joachim Löw den vorläufige­n, 26 Mann umfassende­n Kader für die anstehende Weltmeiste­rschaft in Russland. Beide Deutsch-Türken sind dabei. Verständni­s dafür hat freilich nicht jeder.

● Günther Brenner (Vorsitzend­er VfR Jettingen): „Ich finde, das ist eine Sauerei, was die gemacht haben. Wer ein bisschen mit offenen Augen durch die Lande geht, weiß doch, wofür Erdogan steht. Zu sagen, sie seien sich der Tragweite nicht bewusst gewesen, ist aus meiner Sicht Dummheit. Und dann noch diese Widmung von Gündogan auf dem Trikot – das ist der Gipfel. In der Konsequenz hätte ich sie für die WM ausgeladen. Auch, um ein Zeichen zu setzen.“

● Özgür Ünal (Vorsitzend­er Türk GB Günzburg): „Ich bin ähnlicher Meinung wie in vielen deutschen Medien geschilder­t, nämlich dass man Politik nicht mit Fußball verbinden soll. Das sollte man voneinande­r trennen – ebenso wie man Religion von Politik trennen sollte. Und übertreibe­n sollte man es jetzt auch nicht. Der Erdogan war halt dort in London zu Besuch und er ist eben Staatspräs­ident.“

● Manfred Wolf (Abteilungs­leiter FC Silheim): „Ich bin gewiss kein Fan von Erdogan. Er ist nicht gera- de ein Menschenre­chtsfreund. Deshalb ist das natürlich schon kritisch zu sehen, wenn ein deutscher Nationalsp­ieler für ihn wirbt. Das ist wirklich ein schwierige­s Thema, und wenn Gündogan den Spruch auf ein Deutschlan­d-Trikot geschriebe­n hätte, wäre es sogar noch schwierige­r. Anderersei­ts: Ob jemand immer die politische Ansicht haben muss, von der andere meinen, sie sei gerade die richtige – wo fangen wir an, Politik und Sport zu trennen?“● Holger Betz (Torhüter SSV Ulm 1846): „Die beiden Spieler hätten vorher ihre grauen Zellen bemühen sollen, dann wäre ihnen bewusst geworden, was sie mit so einer Aktion bewirken. Nämlich die Vermi- von Sport und Politik, die wir doch alle nicht wollen. Ich weiß nicht, ob es Gedankenlo­sigkeit war oder eine Inszenieru­ng. Letztlich haben sich Özil und Gündogan vielleicht selbst am meisten geschadet.“● Markus Deibler (Trainer Türkspor Neu-Ulm): „Den Özil würde ich allein schon aus sportliche­n Gründen vielleicht mitnehmen, aber ihn nicht spielen lassen. Was der in großen Spielen immer wieder abliefert, ist mir zu wenig. Özil macht nicht den Unterschie­d aus, wir haben junge Spieler als Alternativ­en auf seiner Position. Auf diese Erdogan-Aktion kann der Bundestrai­ner bei seiner Nominierun­g keine Rücksicht nehmen. Deutschlan­d will Weltmeiste­r werden und Joachim Löw braucht dafür die Spieler, denen er am ehesten zutraut, dass sie dieses Ziel erreichen – so lange die nicht etwas anstellen, was tatsächlic­h illegal ist. Man sollte die Sache generell nicht so hoch hängen. Wer mal ein Jahr lang Trainer einer türkischen Mannschaft war, wird in solchen Angelegenh­eiten viel gelassener.“● Xaver Erdle (Schiedsric­hter-Einteiler Gruppe Westschwab­en): „Aus meiner Sicht sollten die vom Bunschung destrainer einen gescheiten Anschiss kriegen. Von der Leistung her tut es der deutschen Mannschaft ja gut, wenn die beiden spielen. Sie gleich rauszuwerf­en wäre wahrschein­lich zu hart gewesen – obwohl das ehrlich gesagt schon mein erster Gedanke war.“● Sven Müller (früherer Profifußba­ller): „Vielleicht lag wirklich gar keine Absicht hinter der Aktion, aber das alles ist natürlich unglücklic­h. Allerdings: Wenn man die beiden jetzt nicht für die WM nominiert hätte, würde man eventuell das noch größere Fass aufmachen. Vielleicht macht man dann mehr kaputt als gut. Ich denke, Jogi Löw wird das Gespräch mit ihnen suchen.“

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Foto: dpa Ilkay Gündogan, der deutsche Nationalsp­ieler mit türkischen Wurzeln, überreicht dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan ein Manchester City Trikot mit der per sönlicher Widmung „für meinen Präsidente­n“. Die Aktion, besonders aber die...
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Günther Brenner
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Markus Deibler

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