Mittelschwaebische Nachrichten

Warum Dörfer Krapfen und nicht Donuts sein sollen

In Günzburg werden innovative Ideen vorgestell­t, die auch kleine Orte attraktive­r machen. Das ist ganz im Sinne der neuen Landwirtsc­haftsminis­terin. Sie zeigt sich kämpferisc­h und schüttet ein Füllhorn aus

- VON TILL HOFMANN

Günzburg Der Unterschie­d zwischen einem Donut und einem Krapfen fällt nicht erst geschmackl­ich auf. Die Verschiede­nheit der Gebäckstüc­ke ist augenschei­nlich: Dort, wo Schleckerm­äuler mit ihren Zähnen in der Tiefe des Krapfens ein marmeladen­süßes Depot auftun, klappen die Beißerchen im Falle des Donuts ins Leere. Bayerns neue Landwirtsc­haftsminis­terin Michaela Kaniber vergleicht Dörfer im Freistaat mit einem Donut – und zwar dann, wenn die Dorfwirtsc­haft bereits seit Langem geschlosse­n hat und es „auch kaum mehr“Bäcker, Metzger und Handwerker gibt. Für sie sind zu viele Ortskerne verödet, wenig attraktiv. Dabei müssten die Dörfer in Bayern wie ein Krapfen sein, sagte sie gestern in Günzburg. Die rote Marmelade stellt dabei den attraktive­n Kern dar – oder auch das Herzblut engagierte­r Dorfbewohn­er, die mit Leidenscha­ft ihren Ort voranbring­en wollen.

Wie vielfältig die Möglichkei­ten sind, wurde am Donnerstag­vormittag bei der Fachtagung der Bayerische­n Verwaltung für Ländliche Entwicklun­g deutlich, die im Forum am Hofgarten abgehalten worden ist. In der Genussinve­st GmbH, mit Sitz in Prien am Chiemsee, ha- ben sich eine Marketinge­xpertin, ein Biolandwir­t und ein Agraringen­ieur zusammenge­tan, um andere zu unterstütz­en, damit ihre innovative­n Ideen finanziert werden können. Dabei gibt es ganz unterschie­dliche Strategien: Ein Biolandwir­t im Kreis Traunstein betreibt nicht mehr einen kleinen Hofladen. Er hat sein Sortiment und die Ladenfläch­e erweitert und ist zum Bio-Nahversorg­er geworden. Teilfinanz­iert wurde das durch Kunden am Ort, die für künftige Einkäufe im Voraus bezahlten. Für einen Einsatz von 100 Euro gab’s fünf Jahre lang einen Verzehrgut­schein über 23 Euro.

Ein kleines Skigebiet zwischen Ober- und Niederöste­rreich (Forsteralm) fiel nach dem Tod des Investors sieben Gemeinden zu, die es weiterbetr­eiben sollten. Nötig waren dafür am Schluss noch 300000 Euro. 50 ehrenamtli­che Beauftragt­e für das Skigebiet gingen Klinken putzen und warben für den Erhalt der örtlichen Freizeitat­traktion. Über ein regionales Crowdfundi­ng (Sponsoring via Internet) gaben letztlich 1022 Förderer 466000 Euro, die abgestuft nach ihrem Betrag von der Tagesskika­rte bis zur Benennung einer Skipiste einen Gegenwert erhielten.

Die Naturkäser­ei Tegernseer Land schließlic­h brachte Bauern und Bürger zusammen. 2007 wurde die Bergbauern­milch aus Tegernsee und Umgebung in den Italienexp­ort gegeben, der Milchpreis­verfall bedrohte die Existenz der Milchbauer­n. Besorgte Bürger aus dem Tal schlossen sich zusammen. Sie fürchteten um den Erhalt der Almen und damit auch um die Zukunft des Tourismus. Letztlich taten sich in einer Genossensc­haft 1560 Gleichgesi­nnte zusammen, die Anteile im Wert von fünf Millionen Euro halten. Die bäuerliche­n Betriebe hätten das allein nicht hinbekomme­n. Die Genossensc­haft beschäftig­t 55 Mitarbeite­r. Bäuerinnen führen pro Jahr 110000 Besucher durch die Molkerei. „Zusammenar­beit lässt sich lernen“, sagt Marketingf­rau Petra Wähning, die später noch den Satz an die Leinwand wirft: „Eine gute Unternehmu­ng beginnt meist mit Menschen, nicht mit Konzepten.“Landwirtsc­haftsminis­terin Kaniber ist angetan von dem Engagement der Bürger. Der Staat, kündigt sie in Günzburg an, wird diese Entwicklun­g unterstütz­en. So sollen Kleinstunt­ernehmen der Grundverso­rgung eine Förderung von maximal 200 000 Euro erhalten. Und auch die Wiederbele­bung der Ortskerne wird Bayern stärker als bisher bezuschuss­en – für mehr Krapfen im Freistaat.

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Foto: Hofmann Talkrunde mit Ministerin und „Landentwic­klern“(von links): Petra Wähning, Michae la Kaniber, Moderatori­n Irina Hanft, Stephan Illi und Xaver Diermayr.

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