Mittelschwaebische Nachrichten
Männer, die auf Bretter starren
Beim Schachklub Krumbach kommt unser Autor geistig ziemlich ins Schwitzen. Der frühere Bundesligist hat seine besten Zeiten hinter sich. Doch die Begeisterung ist noch da
Krumbach Brütend sitzen sie vor ihren Brettern, nur das Ticken der Schachuhren durchbricht die Stille. Ab und zu macht einer der acht Spieler, die sich da gegenüber sitzen, einen Zug und drückt auf den Knopf, der seine Uhr anhält und die des Gegners startet. Es ist Freitagabend und im ersten Stock des alten Stadthauses in der Krumbacher Dr.-Schlögl-Straße wird trainiert.
Wer bei dem Begriff Training aber an Gewichte stemmen und Ausdauerläufe denkt, der ist beim Schachklub Krumbach an der falschen Adresse. Hier wird der Geist trainiert. Gerade mühen sich einige Jugendliche im Duell mit den „alten Hasen“des Vereins. Und so still es in diesem Raum ist, so laut geht es im Nachbarzimmer zu. Dort führt Jugendleiter Ralf Möckel acht Jungs gerade in die Grundzüge des Schachs ein. Per Beamer projiziert er ein Schachbrett mit einer bestimmten Figurenkonstellation an die Wand. Dann teilt er ein DinA4-Blatt aus: „Die zehn Gebote der Schacheröffnung.“Der Jüngste im Bunde, der sechsjährige Pawel, kann noch nicht einmal richtig lesen. Und doch diskutiert er, genauso wie die anderen, lautstark mit, als Möckel fragt: „Was ist die beste Möglichkeit, um hier besser als der Gegner zu sein?“
Auch zu späterer Stunde, beim Training der Erwachsenen, sind fast alle Tische besetzt. Doch eines fällt auf: Fast alle Spieler sind altersmäßig jenseits der 50 Jahre. Das bestätigt Spielleiter Möckel: „Bei uns fehlt die Mittelschicht. Zwischen 20 und 50 gibt es niemanden.“Das heißt: Insbesondere für den Ligabetrieb fehlen die Leute. Deshalb stieg der SK Krumbach vor einem Jahr freiwillig aus der Regionalin die Schwabenliga ab. Die Belastung durch Auswärtsfahrten war zu hoch, für ein schlagkräftiges Team waren zu wenige Spieler vorhanden. Hoffnung macht das Interesse bei Kindern. Besonders im Schulschach sei der Andrang groß, sagt Möckel.
Schach ist offenbar kinderleicht. Nun wage ich es, mich selbst ans Schachbrett zu setzen. Ich weiß, welche Figur wie ziehen darf. Damit endet aber auch schon mein Wissen über das „Spiel der Könige“, das ich mir durch sporadisches Durchklicken eines Schachprogramms erarbeitet habe. Mir gegenüber nimmt Rupert Strobl Platz. Er hat schon in seiner Kindheit Schach gespielt, erzählt er. Aber in den Verein ist der pensionierte Beamte erst vor fünf Jahren eingetreten. Hoffentlich ein Gegner, der es langsam angehen lässt. Er bietet mir die weißen Figuren an. Das heißt: Ich ziehe zuerst. Leider habe ich die „Zehn Gebote der Spieleröffnung“längst wieder vergessen. Ich versuche es also mit Instinkt.
Je länger die Partie dauert, desto mehr versuche ich, strategisch zu denken, Züge vorauszusehen, Reaktionen meines Gegners zu bedenken. Trotzdem fehlt mir wohl noch die Übersicht. Als ich mit meinem Springer vorrücke, übersehe ich Strobls Läufer. Meine Dame, die vielseitigste Figur im Spiel, ist Geschichte. Ich weiß, ich habe verloren. Trotzdem versuche ich, mich solange wie möglich gegen das Matt zu wehren. Die Fallen, die ich zu stellen versuche, sind dann aber doch sehr plump. Als ich eine regelwidrige Rochade versuche, muss mein Gegner eingreifen und mir erst einmal die Regeln erklären. Bald ist mein König in die Enge getrieben.
Der Vereinsvorsitzende Ulrich Link kann mich nach meiner recht einseitigen ersten Partie trösten: „Schach gilt nicht umsonst offiziell als Sportart anerkannt. Wer darin gut sein will, muss auch trainieren.“Link führt den Verein seit rund einem Jahr und ist Schachspieler aus Leidenschaft. „Es ist wie eine internationale Sprache, die in allen Ländern gesprochen und von allen Generationen verstanden wird“, sagt er. Schach fördere die Konzentration, geistige Flexibilität und die Aufmerksamkeit. Was jedoch auch zur Wahrheit gehört: Es ist, wie viele Sportarten, eine Männerdomäne. Nur rund zehn Prozent aller Schachspieler seien Frauen, schätzt Link. Auch in Krumbach ist das nicht anders. Dabei hat der erfolgreichste Verein im Landkreis mit Nadja Jussupow eine vom Weltschachbund FIDE anerkannte Meisterin in seinen Reihen, die die Krumbacher 2009 sogar in die 2. Bundesliga brachte. Zwei Jahre hielten sich die Mittelschwaben dort.
Durch den Verlust einiger Leistungsträger backt man nun kleinere Brötchen. Talentierte Hobbyspieler seien aber immer willkommen, sagt Link. Ob in mir nicht doch ein Talent schlummert? Ich versuche es mit einer zweiten Partie. Dieses Mal heißt mein Gegner Johann Fischer. Um auch etwas dazuzulernen, soll das langjährige SK-Mitglied mir Tipps geben. Das tut Fischer mit Freuden, spricht mit mir Züge durch, zeigt verschiedene Möglichkeiten auf. Irgendwann steigen auch Sohn Ernst Fischer und Spielleiter Möckel vom Nebentisch mit in die Diskussion ein. Dann schallt ein „Geht das auch leiser?“durch den Raum und beendet den Disput. Mir schwirrt der Kopf. Ich merke, wie meine Konzentration nachlässt. Mein Gehirn scheint wie ein überstrapazierter Muskel die Spannung zu verlieren. Ohne zu wissen, warum, mache ich einen Zug, bei dem mein Gegenüber anerkennend nickt und dann weiter auf das Brett starrt. Am Ende verliere ich natürlich doch.