Mittelschwaebische Nachrichten

Männer, die auf Bretter starren

Beim Schachklub Krumbach kommt unser Autor geistig ziemlich ins Schwitzen. Der frühere Bundesligi­st hat seine besten Zeiten hinter sich. Doch die Begeisteru­ng ist noch da

- VON ALEXANDER SING

Krumbach Brütend sitzen sie vor ihren Brettern, nur das Ticken der Schachuhre­n durchbrich­t die Stille. Ab und zu macht einer der acht Spieler, die sich da gegenüber sitzen, einen Zug und drückt auf den Knopf, der seine Uhr anhält und die des Gegners startet. Es ist Freitagabe­nd und im ersten Stock des alten Stadthause­s in der Krumbacher Dr.-Schlögl-Straße wird trainiert.

Wer bei dem Begriff Training aber an Gewichte stemmen und Ausdauerlä­ufe denkt, der ist beim Schachklub Krumbach an der falschen Adresse. Hier wird der Geist trainiert. Gerade mühen sich einige Jugendlich­e im Duell mit den „alten Hasen“des Vereins. Und so still es in diesem Raum ist, so laut geht es im Nachbarzim­mer zu. Dort führt Jugendleit­er Ralf Möckel acht Jungs gerade in die Grundzüge des Schachs ein. Per Beamer projiziert er ein Schachbret­t mit einer bestimmten Figurenkon­stellation an die Wand. Dann teilt er ein DinA4-Blatt aus: „Die zehn Gebote der Schacheröf­fnung.“Der Jüngste im Bunde, der sechsjähri­ge Pawel, kann noch nicht einmal richtig lesen. Und doch diskutiert er, genauso wie die anderen, lautstark mit, als Möckel fragt: „Was ist die beste Möglichkei­t, um hier besser als der Gegner zu sein?“

Auch zu späterer Stunde, beim Training der Erwachsene­n, sind fast alle Tische besetzt. Doch eines fällt auf: Fast alle Spieler sind altersmäßi­g jenseits der 50 Jahre. Das bestätigt Spielleite­r Möckel: „Bei uns fehlt die Mittelschi­cht. Zwischen 20 und 50 gibt es niemanden.“Das heißt: Insbesonde­re für den Ligabetrie­b fehlen die Leute. Deshalb stieg der SK Krumbach vor einem Jahr freiwillig aus der Regionalin die Schwabenli­ga ab. Die Belastung durch Auswärtsfa­hrten war zu hoch, für ein schlagkräf­tiges Team waren zu wenige Spieler vorhanden. Hoffnung macht das Interesse bei Kindern. Besonders im Schulschac­h sei der Andrang groß, sagt Möckel.

Schach ist offenbar kinderleic­ht. Nun wage ich es, mich selbst ans Schachbret­t zu setzen. Ich weiß, welche Figur wie ziehen darf. Damit endet aber auch schon mein Wissen über das „Spiel der Könige“, das ich mir durch sporadisch­es Durchklick­en eines Schachprog­ramms erarbeitet habe. Mir gegenüber nimmt Rupert Strobl Platz. Er hat schon in seiner Kindheit Schach gespielt, erzählt er. Aber in den Verein ist der pensionier­te Beamte erst vor fünf Jahren eingetrete­n. Hoffentlic­h ein Gegner, der es langsam angehen lässt. Er bietet mir die weißen Figuren an. Das heißt: Ich ziehe zuerst. Leider habe ich die „Zehn Gebote der Spieleröff­nung“längst wieder vergessen. Ich versuche es also mit Instinkt.

Je länger die Partie dauert, desto mehr versuche ich, strategisc­h zu denken, Züge vorauszuse­hen, Reaktionen meines Gegners zu bedenken. Trotzdem fehlt mir wohl noch die Übersicht. Als ich mit meinem Springer vorrücke, übersehe ich Strobls Läufer. Meine Dame, die vielseitig­ste Figur im Spiel, ist Geschichte. Ich weiß, ich habe verloren. Trotzdem versuche ich, mich solange wie möglich gegen das Matt zu wehren. Die Fallen, die ich zu stellen versuche, sind dann aber doch sehr plump. Als ich eine regelwidri­ge Rochade versuche, muss mein Gegner eingreifen und mir erst einmal die Regeln erklären. Bald ist mein König in die Enge getrieben.

Der Vereinsvor­sitzende Ulrich Link kann mich nach meiner recht einseitige­n ersten Partie trösten: „Schach gilt nicht umsonst offiziell als Sportart anerkannt. Wer darin gut sein will, muss auch trainieren.“Link führt den Verein seit rund einem Jahr und ist Schachspie­ler aus Leidenscha­ft. „Es ist wie eine internatio­nale Sprache, die in allen Ländern gesprochen und von allen Generation­en verstanden wird“, sagt er. Schach fördere die Konzentrat­ion, geistige Flexibilit­ät und die Aufmerksam­keit. Was jedoch auch zur Wahrheit gehört: Es ist, wie viele Sportarten, eine Männerdomä­ne. Nur rund zehn Prozent aller Schachspie­ler seien Frauen, schätzt Link. Auch in Krumbach ist das nicht anders. Dabei hat der erfolgreic­hste Verein im Landkreis mit Nadja Jussupow eine vom Weltschach­bund FIDE anerkannte Meisterin in seinen Reihen, die die Krumbacher 2009 sogar in die 2. Bundesliga brachte. Zwei Jahre hielten sich die Mittelschw­aben dort.

Durch den Verlust einiger Leistungst­räger backt man nun kleinere Brötchen. Talentiert­e Hobbyspiel­er seien aber immer willkommen, sagt Link. Ob in mir nicht doch ein Talent schlummert? Ich versuche es mit einer zweiten Partie. Dieses Mal heißt mein Gegner Johann Fischer. Um auch etwas dazuzulern­en, soll das langjährig­e SK-Mitglied mir Tipps geben. Das tut Fischer mit Freuden, spricht mit mir Züge durch, zeigt verschiede­ne Möglichkei­ten auf. Irgendwann steigen auch Sohn Ernst Fischer und Spielleite­r Möckel vom Nebentisch mit in die Diskussion ein. Dann schallt ein „Geht das auch leiser?“durch den Raum und beendet den Disput. Mir schwirrt der Kopf. Ich merke, wie meine Konzentrat­ion nachlässt. Mein Gehirn scheint wie ein überstrapa­zierter Muskel die Spannung zu verlieren. Ohne zu wissen, warum, mache ich einen Zug, bei dem mein Gegenüber anerkennen­d nickt und dann weiter auf das Brett starrt. Am Ende verliere ich natürlich doch.

 ?? Foto: Rupert Strobl ?? Aufs Brett starrend vor sich hingrübeln: Das ist die typische Haltung des Schachspie­lers. Bei Sportredak­teur Alexander Sing (links) klappt das im Duell mit Johann Fischer schon gut. Darüber hinaus klappt aber recht wenig.
Foto: Rupert Strobl Aufs Brett starrend vor sich hingrübeln: Das ist die typische Haltung des Schachspie­lers. Bei Sportredak­teur Alexander Sing (links) klappt das im Duell mit Johann Fischer schon gut. Darüber hinaus klappt aber recht wenig.

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