Mittelschwaebische Nachrichten

„Ludwig Heilmeyer hat keinen Vorbildcha­rakter“

Florian Steger hat das Handeln des Gründungsr­ektors der Uni Ulm vor und nach 1945 untersucht. Er zeichnet das Bild eines Mediziners auf der Linie der Nationalso­zialisten

- VON WALTER KAISER

Günzburg Unbestritt­en ist: Ludwig Heilmeyer (1899-1969) hat sich als Arzt, Wissenscha­ftler, Gründungsr­ektor der Universitä­t Ulm und als Förderer von Schloss Reisensbur­g viele Verdienste erworben. Unbestritt­en ist inzwischen aber auch: Ludwig Heilmeyer war darüber hinaus eine mehr als nur fragwürdig­e Persönlich­keit. Er war auf Linie mit den Nationalso­zialisten, er gehörte nach dem Ersten Weltkrieg antidemokr­atischen und faschistis­chen Organisati­onen an, um der eigenen Karriere willen schmückte er sich mit fremden wissenscha­ftlichen Federn und denunziert­e Kollegen. Vor allem: Ludwig Heilmeyer zeigte selbst nach dem Zweiten Weltkrieg keinerlei Unrechtsbe­wusstsein. Er versuchte, Ärzte, die sich während des Dritten Reiches schwerer Verbrechen schuldig gemacht hatten, zu

Um Aufnahme in die NSDAP bewarb er sich vergeblich

rehabiliti­eren und er kungelte weiter „mit den alten Cliquen“, wie Professor Florian Steger bei einem Vortrag im Festsaal des Bezirkskra­nkenhauses betonte. Im Hintergrun­d des Abends stand die Frage: Soll angesichts dessen die LudwigHeil­meyer-Straße in Günzburg umbenannt werden?

Der Professor für Geschichte, Theorie und Ethik an der Uni Ulm unterteilt­e seinen Vortrag in zwei zeitliche Abschnitte: Die Zeit bis 1945 und die Zeit danach. „Heilmeyer war ein Opportunis­t“, erklärte Steger. Karriere, Macht und Renommee seien ihm stets wichtig gewesen. Wenn es gelegen schien, hängte er sein Fähnchen in den Wind. Anderes tat der Mediziner aus tiefer Überzeugun­g. Nach dem Ersten Weltkrieg war Heilmeyer Mitglied im Freikorps Epp, das für Mord und Totschlag berüchtigt war. „Ich nahm an der Säuberung und Sicherung Münchens teil“, schrieb Heilmeyer in seinen Lebenserin­nerungen. „Aus Angst vor der roten Gefahr“, wie Steger sagte. Der Mediziner gehörte dem Stahlhelmb­und und anderen antidemokr­atischen Organisati­onen an. Verzweifel­t versuchte er immer wieder, in die NSDAP aufgenomme­n zu werden. „Als Mittel zur Macht“. Vergeblich. „Heilmeyer war politisch ohne Zweifel auf der Linie der Nationalso­zialisten“, erklärte Ste- ger. Doch selbst den Nazis galt er als opportunis­tischer und denunziato­rischer Kantonist. Heilmeyer habe bis 1945 das getan, was viele in Deutschlan­d taten. Sei’s aus Überzeugun­g, sei’s aus Opportunis­mus um der Karriere willen oder sei’s aus Angst vor Verfolgung in einer Diktatur. „Deutlich kritischer“sei deshalb Heilmeyers Verhalten nach dem Krieg zu bewerten, bilanziert­e der Professor angesichts seiner umfassende­n Forschunge­n. „Er ließ keinerlei Unrechtsbe­wusstsein erkennen“.

Im Gegenteil. Heilmeyer hatte während des Krieges privat mit Hans Frank verkehrt, der sich als Generalgou­verneur in Polen des tausendfac­hen Mordes schuldig gemacht hatte. In den Memoiren Heilmeyers sei kein einziges Wort der Kritik am „Schlächter von Polen“zu lesen. Aktiv verteidigt­e Heilmeyer den Arzt Wilhelm Beiglböck, der im KZ Dachau Meerwasser­versuche an Sinti und Roma vorgenomme­n hatte. In einem von Heilmeyer mitverfass­ten Gutachten zugunsten von Beiglböck werden „Zigeuner“als „primitive Menschen“bezeichnet, die Versuche seien kein Verbrechen gewesen. Beiglböck, laut Gutachten ein Arzt, „der volle Anerkennun­g“verdient, kommt bald wieder aus der Haft und wird von Heilmeyer mit einem Posten an der Uni Freiburg versorgt.

Noch lange nach dem Krieg reklamiert Heilmeyer wahrheitsw­idrig verschiede­ne wissenscha­ftliche Studien für sich. Nicht selten stammen sie von jüdischen Forschern, die Heilmeyer in seinen Schriften nicht einmal erwähnt. Mit vielen „alten Kameraden“sei Heilmeyer nach dem Krieg weiterhin verbunden gewesen. Zu diesem Netzwerk gehörte auch Hans Filbinger, der frühere baden-württember­gische Ministerpr­äsident, der im Dritten Reich ebenfalls Schuld auf sich geladen hatte. Der Weg zum Gründungsr­ektor der Uni Ulm führte auch über Filbinger. Skrupel hatte Heilmeyer offenbar nicht. Im Umgang mit seiner Vita legte er sich vielmehr eine „individuel­le Wirklichke­it“zurecht, wie es der Ulmer Uni-Professor Thure von Uexküll einmal formuliert hat.

Das Fazit von Professor Steger: „Heilmeyer hat viele wissenscha­ftliche Verdienste. Das bestreite ich nicht“. Es gebe bis heute auch keinen Beweis dafür, dass Ludwig Heilmeyer an Verbrechen beteiligt war. „Aber er hat keinen Vorbildcha­rakter“.

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Fotos: Archiv Uni Ulm, Greta Kaiser In Günzburg gibt es die Ludwig Heilmeyer Straße. Soll sie umbenannt werden? Denn einen „Vorbildcha­rakter“hatte der Medizi ner und Gründungsr­ektor der Uni Ulm nicht, wie der Ulmer Professor Florian Steger bei einem Vortrag im Festsaal des Bezirks...
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Florian Steger

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