Mittelschwaebische Nachrichten
Viel mehr als ein Spiel
Morgen eröffnet in Günzburg die Toys Company. Bedürftige bekommen hier beispielsweise Spielsachen und Kleidung für ihre Kinder. Dafür müssen sie Punkte hergeben. Wem diese Übungsfirma noch Freude bereitet
Günzburg Es ist ein Laden, der nichts verkauft und doch so viel bedeutet. Zum Beispiel Besnik Cerkini. Zum Beispiel Öznur Sökel. Der 58 Jahre alte Cerkini stammt aus dem Kosovo. Er hat als Maler und Tapezierer gearbeitet, aber seit zwei Jahren ist er Klient des Jobcenters. „Wenn man über 50 ist, wird es schwierig, einen Job zu finden“, sagt der Mann mit der, wie er betont, deutschen Staatsbürgerschaft. Eben hat er einen Stein bemalt – und das so akkurat und mit Liebe zum Detail, dass er ihn zu einem schmucken Accessoire verwandelt hat. Vielleicht setzt der Stein ja seine Karriere als auffälliger Briefbeschwerer in einer Wohnung fort. Öznur Sökel, 57, hat schon lange nicht mehr gearbeitet. Das letzte Mal regulär 2002 in einem Geflügelschlachtbetrieb in Kirchheim/Teck, erzählt sie. Bluthochdruck und Diabetes haben ihr zugesetzt. Die Türkin erlitt schließlich einen Schlaganfall und fand langsam wieder zurück ins Leben. Eine Stütze bietet ihr dabei die Toys Company in Günzburg (Hofgasse 2), die morgen um 13 Uhr offiziell eröffnet wird. Dort arbeitet sie wie Cerkini und 16 weitere Gleichgesinnte. Die Langzeitarbeitslosen bekommen in dem von der Dekra-Akademie getragenen Sozialprojekt die Chance, nach Jahren der Isolation und der Zurückgezogenheit zusammen etwas zu erreichen und damit auch das Selbstwertgefühl zu steigern. Und das in einer Übungsfirma.
Das bedeutet: In dem Geschäft, das neben Spielwaren auch Kinderkleider, Bücher, Medien, Schulsachen, Kinderwagen und -bettchen anbietet, wird nicht mit Geld bezahlt. Sehr wohl aber nehmen die derzeit 18 Mitarbeiter, die meisten davon in Vollzeit (30 Stunden pro Woche), die gespendeten Waren entgegen, registrieren und bewerten sie, säubern und reparieren sie, lagern sie ein oder präsentieren sie im Schaufenster oder im Laden selbst: Abläufe wie in einem Geschäft eben.
Niemand zahlt hier mit Geld. Es kann auch nicht jeder bei der Toys Company „einkaufen“. Wer seinen Sozialhilfe- oder Wohngeldbescheid vorlegt, erhält pro Kind, das er hat, im Monat 40 Wertpunkte. Jedes Kleidungsstück, jedes Spiel hat einen eigenen, von den Mitarbeitern zuvor festgelegten Punktewert. Ohne Ladenkasse geht die Ware über den Tisch. „Es ist, wenn man so will, wie bei der Tafel – nur ohne Essen“, sagt Maria-Luise Scholz. Sie ist die Projektleiterin in Günzburg und kennt sich aus mit ähnlichen Projekten. 2014 hat sie am Rehabilitationskrankenhaus Ulm eine Übungsfirma für 60 psychisch kranke Jugendliche mitorganisiert. Das waren, urteilt sie im Rückblick, „zu viele, um einen wirklichen persönlichen Kontakt aufbauen zu können“. Die Größe in Günzburg reiche aus.
Einfach ist die Sache für die Menschen nicht, die seit Längerem vermittelt bekommen, dass sie in dieser Gesellschaft eigentlich niemand braucht. Der eine oder andere sieht einen Ausweg nur noch darin, sich selbst zu betäuben – mit billigem Fusel oder anderen Drogen.
Das ist die rote Linie, die keiner der hier Tätigen überschreiten darf. „An der Pünktlichkeit und ähnlichen Dingen kann immer gearbeitet werden. Und ich nehme mir auch jede Zeit für ein persönliches Gespräch“, sagt Scholz. „Aber wer Alkohol oder illegale Drogen nimmt, der hat hier wirklich nichts zu suchen. Das ist die klare Ansage.“Deshalb musste man sich auch von zwei Mitarbeitern trennen.
In den Räumlichkeiten, in denen zuvor eine Boutique untergebracht war, ist im Erdgeschoss der „Verkaufsraum“der Toys Company. Eine Etage höher befindet sich der große Rest: Dieser Raum wird – entsprechend eingeteilt – als Lager, Reparaturwerkstätte und Künstleratelier zugleich benutzt. Auf einem Stuhl ist Cerkini in seine künstlerische Arbeit vertieft. An einer Tafel an der Wand steht der Spruch: „Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht, und hat es einfach gemacht.“Cerkini gefällt der Satz. Er will mit den anderen im Team etwas bewegen. Und vielleicht gelingt es manchem Arbeitssuchenden, von der Übungsfirma in eine Firma zu wechseln.