Mittelschwaebische Nachrichten
Eine Gen-Schere verändert die Welt
Mit dem Werkzeug Crispr/Cas scheint alles möglich. Doch auch die Ängste wachsen
In einer ehemaligen Fabrik aus rotem Backstein im New Yorker Stadtteil Brooklyn sitzen Menschen und basteln an Genen. Es sind Schüler und Lehrer, Künstler und Wissenschaftsfans. Sie bringen Mikroben zum Leuchten und veranlassen Pilze, schädlichen Smog in ungiftige Gase zu spalten. Das passiert im Nachbarschaftslabor „Genspace“. Mit Pipetten und Petrischalen wollen sie durch Experimente etwas darüber lernen, wie man Erbanlagen, die Gene, verändert.
Dazu benutzen sie auch ein Werkzeug, das das Potenzial hat, unsere Welt und uns Menschen zu revolutionieren: Crispr/Cas oder kurz Crispr. Mit dieser Allzweck-GenSchere lässt sich die Erbsubstanz wie ein Text umschreiben. Im Fachwort: edieren. Man spricht deshalb von Gen-Editing. Seit 2012 steigt Crispr zum Superstar der Biotechnologie auf. Und was macht die Methode so bedeutend? Das Werkzeug ist bei fast allen Organismen nutzbar. Es arbeitet viel präziser als die klassische Gentechnik. Einfach, schnell und preiswert wie nie zuvor findet die Schere eine angepeilte Stelle im Genom. Dort zerschneidet sie die Erbanlage, entfernt oder verändert sie. Im Anschluss erfolgt die Reparatur des Gens.
Crispr könnte helfen, Erbkrankheiten und Krebs zu heilen, Getreide zu entwickeln, das Dürren übersteht, und Bakterien, die Plastik fressen. Aber Versuche in China und den USA, wo menschliche Embryonen bereits mit Crispr verändert wurden, schüren tiefe Ängste: Wird es schon bald damit manipulierte Babys geben? Wo setzen wir Grenzen? Der Bio-Ingenieur Will Shindel vom „Genspace“-Labor sagt über seine Kurse: „Wir wollen den Leuten dabei helfen, diesen Hype zu durchschauen und die Fakten kennenzulernen.“
Die Medizin Hertz Nazaire (45) wartet. Der Künstler lebt in Bridgeport im Bundesstaat Connecticut. Er malt große Bilder. Einige zeigen verzerrte, weinende Gesichter, DNAStränge und sichelförmige rote Plättchen. Der Grund: Nazaire hat Sichelzellenanämie, eine Erberkrankung, die seine roten Blutkörperchen deformiert und verklumpen lässt. „Ich habe fast ständig Schmerzen“, erzählt er. Viele Menschen mit Sichelzellenanämie, vor allem in ärmeren Ländern, sterben zwischen 40 und 60.
Doch seit einiger Zeit hat Nazaire Hoffnung geschöpft. Denn die Krankheit, an der weltweit Millionen Menschen leiden, wird von einer einzigen Genmutation ausgelöst. 2016 gelang es Forschern der University of California im Labor, die betroffene Stelle im Genom mit Hilfe von Crispr anzusteuern. Dort konnten sie die Mutation beheben. Wenn alles klargeht, wird noch in diesem Jahr die erste klinische Studie starten, um Sichelzellenanämie im Ansatz zu therapieren.
Noch gibt es viele ungelöste Probleme auf dem Weg zu einer breiten Crispr-Therapie. Manchmal erzielt man Effekte über das ursprüngliche Ziel hinaus. Auch gibt es Hinweise, dass Menschen gegen die Cas9-Proteine Immunität entwickeln – sodass ihre Körperabwehr die Gen-Schere bekämpfen würde. Daneben stellen sich grundlegende Fragen wie: Was ist, wenn durch das Wunderwerkzeug Crispr auch der Druck steigt, weniger schlimme Krankheiten zu beheben, die nur kosmetisch unschön wirken?
Die Landwirtschaft In South Dakota streift der Farmer Jason McHenry durch ein Feld mit Sojabohnen. Sein Vater hat, wie andere Farmer in den Weiten des Mittleren Westens, gentechnisch verändertes Getreide angebaut. Aber Sohn Jason glaubt nicht, dass klassische Gentechnik eine große Zukunft hat, weil viele sie infrage stellen: „Man muss dranbleiben an dem, was Verbraucher wollen.“Deshalb setzt er auf seinen Feldern auf Sojabohnen, die mit neuen Methoden des Gen-Editing verändert wurden. Ihr Öl sei gesünder als das normaler Sojabohnen. Zwar wurde dafür nicht die CrisprGen-Schere selbst benutzt, sondern ein älteres, aufwendigeres Gen-Editing-Verfahren: TALEN. Aber ähnliche, mit Crispr bearbeitete Pflanzen stehen auf Versuchsfeldern.
Was unterscheidet Crispr von der klassischen Gentechnik? Bei den Pflanzen der ersten Generation der herkömmlichen Genmanipulation wurden mit Hilfe von Bakterien fremde Gene nach der Schrotschussmethode ins Pflanzengenom eingeschleust. Man wusste nicht genau, was dort damit passiert. Die Sorge, dass fremde Gene auf Pflanzen am Feldrand überspringen, führte in Deutschland – anders als in den USA – dazu, diese manipulierten Produkte kommerziell nicht mehr anzubauen. Die Gen-Schere ermöglicht es nun, zielgenau vorzugehen: nur winzige Sequenzen zu verändern, Gene anund auszuschalten und das Erbgut mit einem Resistenzgen wilder Pflanzenvarianten zu ergänzen.
Die Tiere Kevin Esvelt muss mit einer Fähre fahren, um an den Ort zu gelangen, den Crispr verändern soll: Nantucket vor der US-Ostküste in Massachusetts. Die Urlaubsinsel hat ein riesiges Zecken-Problem. Und daraus folgend ein Lyme-BorrelioseProblem. Mehr als ein Viertel der 10000 Inselbewohner ist nach einem Zeckenbiss damit infiziert. „Was wäre, wenn wir das verhindern könnten?“fragt Bio-Ingenieur Esvelt, 35, Assistenz-Professor am Massachusetts Institute of Technologie MIT in Cambridge. Ansatzpunkt für das Pilotprojekt ist die Übertragungskette: Denn die Zecken auf Nantucket stecken sich meist bei Weißfußmäusen an. Die sind wiederum die Heimat des Erregers Borrelia burgdorferi. „Diesen Kreislauf können wir durchbrechen“, sagt Esvelt.
Eine Impfung, die Menschen vor Borreliose schützt, gibt es nicht. Aber eine für Hunde, die auch bei Mäusen wirkt. Esvelts MIT-Team arbeitet daran, die Mäuse mit diesem Impfstoff gegen den Erreger zu immunisieren. Nächster Schritt: die DNA dieser Immunantwort mit Crispr in den Reproduktionszellen der Weißfußmäuse zu verankern. Dann sind die Tiere und ihre Nachkommen resistent gegen die Erreger.
Wie wichtig Austausch unter Forschern und gesellschaftliche Diskussion sind, wird Esvelt nicht müde zu betonen. Denn Crispr bietet viele Einsatzmöglichkeiten. Eine, über die die Urteile stark auseinandergehen, wird Gen-Drive genannt. Der wirkt als Beschleuniger bei der Vererbung. Dann vererbt sich eine Eigenschaft nicht mehr nur auf einen Teil der Nachkommen, sondern auf alle. Mit einem Gen-Drive kann sich eingefügte fremde DNA in wilden Tieren also schnell und weit ausbreiten. So könnten zum Beispiel Mücken, die Malaria übertragen, ganz ausgerottet werden. Oder man tötet damit Tierarten ab, die irgendwann eingewandert sind und die heimische Fauna bedrohen. Doch Gen-Drives können unvorhersehbare Folgen haben, die weit über die erste Anwendung hinausgehen. Zwar wäre die Veränderung in der Keimbahn theoretisch mit einem zweiten Gen-Drive rückgängig zu machen. Aber es reichen wenige veränderte Tiere, die in eine andere Region gelangen, um die neuen Eigenschaften auch dort zu verbreiten – mit unklaren Risiken.