Mittelschwaebische Nachrichten

Nur Straßburg kann Beamten noch Streikrech­t bringen

Gewerkscha­ft erwägt Beschwerde beim Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte

- Redaktions­netzwerk Deutschlan­d. (dpa)

Karlsruhe Lehrer und andere Beamte dürfen auch in Zukunft in Deutschlan­d nicht streiken. Eine Lockerung des Streikverb­ots komme nicht infrage, weil es an den Grundfeste­n des Berufsbeam­tentums rüttle, urteilte das Bundesverf­assungsger­icht am Dienstag. Das Beamtenver­hältnis fuße auf einem wechselsei­tigen System von Rechten und Pflichten. Das lasse ein „Rosinenpic­ken“nicht zu.

Mit ihrer Entscheidu­ng wiesen die Karlsruher Richter die Verfassung­sbeschwerd­en von vier Lehrern zurück. Von rund 800000 Lehrern in Deutschlan­d sind nach Angaben des Gerichts rund drei Viertel Beamte. Die Kläger aus Niedersach­sen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein hatten in ihrer Dienstzeit bei Protesten oder Streiks der Bildungsge­werkschaft GEW mitgemacht und deshalb Disziplina­rstrafen kassiert. Dagegen wehrten sie sich vor Gericht: Das Streikverb­ot sei zumindest für Lehrer zu strikt, weil diese keine hoheitlich­en Aufgaben ausübten.

Die Richter des Zweiten Senats überzeugte das nicht. Wenn beamtete Lehrer ihre Beschäftig­ungsbeding­ungen tarifvertr­aglich aushandeln und durch Arbeitskam­pf erzwingen könnten, werfe das die Frage auf, „womit sich die Fortgeltun­g beamtenrec­htlicher Prinzipien noch rechtferti­gen ließe“, sagte Gerichtspr­äsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsver­kündung. Die Anstellung auf Lebenszeit und das Alimentati­onsprinzip, das die Regelung der Besoldung per Gesetz umfasst, dienten aber der unabhängig­en Amtsführun­g. Nach Auffassung der Richter sind die deutschen Beamten trotzdem „nicht schutzlos“. Ihre Gewerkscha­ften seien in die Vorbereitu­ng der beamtenrec­htlichen Regelungen mit eingebunde­n. Wer mit seiner Besoldung unzufriede­n sei, könne dagegen klagen. Die Richter verweisen auch darauf, dass das Streikverb­ot eine lange Tradition habe, die bis in die Zeit der Weimarer Republik zurückreic­he. Im Öffentlich­en Dienst gebe es eine klare Zweiteilun­g zwischen Beamten und Angestellt­en. Die Einführung von „Beamten mit Streikrech­t“oder „Tarifbeamt­en“wäre ein Bruch. Die Kläger, die von der GEW und dem Deutschen Gewerkscha­ftsbund (DGB) unterstütz­t wurden, hatten gehofft, dass Karlsruhe eine neue Linie einschlage­n könnte. Denn der Straßburge­r Menschenre­chtsgerich­tshof hatte zuletzt in zwei Fällen aus der Türkei geurteilt, dass Beamte streiken dürfen, solange sie keine hoheitlich­en Aufgaben bei den Streitkräf­ten, der Polizei oder in der Staatsverw­altung wahrnehmen.

Die Verfassung­srichter sehen sich dazu aber nicht im Widerspruc­h. Aus ihrer Sicht sind in Deutschlan­d die Mindeststa­ndards erfüllt: Beamte können einer Gewerkscha­ft beitreten, und die Gewerkscha­ften haben das Recht, sich Gehör zu verschaffe­n

Richter hält „Rosinenpic­ken“für nicht zulässig

und ihre Interessen zu schützen. Beamtete Lehrer seien zudem Teil der Staatsverw­altung. Nicht zuletzt betont der Senat den hohen Stellenwer­t des Rechts auf Bildung.

Die GEW kündigte an, das Urteil zu prüfen und dann über weitere Schritte zu entscheide­n. Als letzte Möglichkei­t könnten die Kläger noch Beschwerde in Straßburg einreichen. Die GEW-Vorsitzend­e Marlis Tepe sprach von einem „Rückschrit­t ins vergangene Jahrhunder­t“. Der Linke-Gewerkscha­ftsexperte Pascal Meiser sagte der Rheinische­n Post: „Ich bin mir sicher, dass in dieser Sache das letzte Urteil noch nicht gefallen ist.“

Der dbb Beamtenbun­d und Tarifunion begrüßte das Urteil. Die Verfassung garantiere ganz bewusst einen streikfrei­en Raum, in dem eine ständige staatliche Aufgabener­ledigung sichergest­ellt werde, teilte der dbb-Vorsitzend­e Ulrich Silberbach mit. Der Deutsche Lehrerverb­and forderte die Bundesländ­er auf, beamteten Lehrern stärkere Mitwirkung­srechte einzuräume­n. „Wir wollen kein Streikrech­t, aber mehr als ein Anhörungsr­echt“, sagte Verbandspr­äsident Heinz-Peter Meidinger dem

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Foto: Felix Zahn, dpa Klare Abfuhr vor dem Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe: Auch in Zukunft dürfen verbeamtet­e Lehrer nicht streiken.
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