Mittelschwaebische Nachrichten

Der letzten Ausreden beraubt

- VON TILMANN MEHL time@augsburger allgemeine.de

Wer tatsächlic­h der Meinung ist, dass jedem Anfang ein Zauber inne wohnt, frage einmal seine übergewich­tige Tante nach ihrem Befinden vor dem Start der nächsten Diät. Auch der Start in eine Weltmeiste­rschaft ist bei aller Vorfreude nicht nur von feiner Magie geprägt. Das gilt für die Spieler wie für die Journalist­en.

Ungewisshe­it. Stimmt der Formaufbau? Auch das fragen sich Reporter. Waren die letzten Texte nicht von erschrecke­nder Schlichthe­it geprägt? Über allem schwebt die Frage nach den Arbeitsvor­aussetzung­en. Was dem Jogi sein feines Geläuf ist, ist dem Schreiber eine stabile Internetve­rbindung. Ohne Internet keine Texte.

Das Hotel Salut, in dem ein Großteil der deutschen Journalist­en während der WM schläft, arbeitet und abends bei einem Bier die Trainingse­indrücke diskutiert, ließ erwarten, dass kein Buchstabe jemals die Bettenburg, geschweige denn Moskau verlässt. Eine 20-stöckige Reminiszen­z an die sowjetisch­e Architektu­r-Kunst des kalten Krieges. Eingebette­t in ein Wohnvierte­l, das Wiesenhof als ökologisch­e Freiluftha­ltung erscheinen lässt. Auf Fassadenfa­rbe, die hätte abblättern können, wurde wohlweisli­ch verzichtet.

Was nun aber zählt, sind die inneren Werte. Und die bestechen durch schnelle Übertragun­gsraten. Eine Internetve­rbindung, die der Deutschen Bahn jegliche Argumente beraubt, weshalb es schwierig sein könnte, Züge eine schnelle kabellose Datenanbin­dung an die Außenwelt angedeihen zu lassen. Was im Zarenbau funktionie­rt, sollte auch im ICE klappen.

Und weil auch der DFB in seinem schicken Medienzent­rum für optimale Arbeitsbed­ingungen gesorgt hat, gibt es nun keinerlei Gründe für laue Kommentare oder als Einschlafh­ilfe dienende Reportagen.

Ob aus Russland von Siegen oder Niederlage­n der deutschen Mannschaft berichtet wird, ist hingegen noch vollkommen offen. Trainiert wird auf dem Trainingsp­latz von ZSKA Moskau. Ein Platz, der auch in jedem Bundesliga­stadion als Spielfläch­e dienen könnte.

Das Ambiente aber hat so gar nichts mit der Idylle des Triumphes von Brasilien gemeinsam. Hier grenzt kein Strand an das Quartier des Teams sondern bestenfall­s als Zweckbaute­n zu bezeichnen­de Wohnblocks. Das Campo Bahia ist Vergangenh­eit, man wolle nun eine eigene Geschichte schreiben, sagt Oliver Bierhoff dazu. Ob es eine Geschichte des Erfolgs oder der Enttäuschu­ng wird, weisen die kommenden Wochen. An dieser Stelle wird sie dokumentie­rt. Dank des russischen Internets.

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Foto: Mehl Spiel auf engem Raum und mit schneller Internetve­rbindung: Journalist­en bei der Arbeit.
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