Mittelschwaebische Nachrichten
Unfallflucht oder nicht?
Ein riskantes Überholmanöver eines Autofahrers endet vor Gericht. Dabei geht es auch darum, ob der 86 Jahre alte Mann seinen Führerschein behalten darf
Im vergangenen Dezember war ein 86-jähriger Autofahrer mit seiner Frau auf der Umgehung bei Burtenbach unterwegs nach Münsterhausen. Dort überholte er in einer langgezogenen Rechtskurve trotz eines entgegenkommenden Kieslasters einen Lkw. Beim Wiedereinscheren streifte er diesen, wobei ein Schaden von fast 3400 Euro entstand. Anschließend fuhr er weiter bis zu einer Parkbucht in Burtenbach. Obwohl der Angeklagte bemerkt habe, dass ein nicht unbedeutender Fremdschaden entstanden sei, habe er die Unfallstelle verlassen. Es sei zumutbar und möglich gewesen, dort anzuhalten, warf dem Mann die Staatsanwältin bei der Verhandlung am Mittwoch vor dem Günzburger Amtsgericht vor. Durch sein Handeln sei er zum Führen eines Kraftfahrzeugs nicht geeignet.
Er sei schon längere Zeit hinter dem Lastwagen hergefahren, bis er gedacht habe, jetzt könne er überholen, meinte der Rentner aus dem nördlichen Landkreis. Auf einmal sei der andere Laster entgegengekommen – und er habe den, den er überholt habe, beim Einscheren gestreift. „Irgendetwas“war passiert. Das hat der Mann nach eigen Worten bemerkt. Aber er habe sich einfach nicht mehr ausgekannt, was er jetzt tun solle und er sei dann zum Anhalten bereits zu weit weg gewesen. „Ich bin noch ein Stück gefahren und wollte dann warten.“In der Parkbucht in Burtenbach habe er zu seiner Frau gesagt: „Was machen wir jetzt? Jetzt holen wir die Polizei.“Er habe bestimmt nicht davonfahren wollen, er sei komplett durcheinander gewesen und ihm sei das Ganze unverständlich. 48 Jahre lang sei er ohne Unfall Auto gefahren und jetzt passiere so etwas.
Ein nachfolgender Autofahrer war dem Unfallverursacher nach Burtenbach gefolgt. Der beschrieb am Mittwoch das Ehepaar damals als völlig unter Schock stehend und zittrig. Auch der Lastwagenfahrer war als Zeuge erschienen. Er habe plötzlich den BMW des Angeklagten im Rückspiegel gesehen und so- fort eine Vollbremsung gemacht, beschrieb dieser die Situation.
Nachdem der Führerschein des Angeklagten sichergestellt worden war, stellte sich die Frage, ob er diesen wieder erhalten solle. In einem Gutachten wurde dem Erteilen der Fahrerlaubnis für die nächsten zwei Jahre unter Auflagen zugestimmt. Franziska Braun, Richterin am Amtsgericht, sah es jedoch zunächst so, dass sich eine charakterliche Eignung, ein Fahrzeug zu führen, aus dem Verhalten im Straßenverkehr ergebe. Wegen der damaligen Reaktion des Angeklagten sei die Eignung nicht gegeben. Zu Gute hielt sie dem 86-Jährigen, dass er viele Jahre unfallfrei gefahren sei.
Rechtsanwalt Klaus Eickelpasch sprach von einer Überforderung – auch weil der Angeklagte zum ersten Mal einer solchen Situation begegnet sei. Weiter habe er in der nächsten Ortschaft angehalten und hätte wohl auch die Polizei, die bereits von dem Lastwagen-Fahrer verständigt worden war, gerufen. Um eine klassische Unfallflucht handle es sich in diesem Fall nicht. Im Gegensatz zu früher fahre er heute höchstens 2000 Kilometer im Jahr und beschränke sich auf kurze Strecken. Dies seien in der Regel Fahrten zum Arzt oder zum Einkaufen, so der Angeklagte.
Davon, dass er nicht mehr Auto fahren darf, sah die Richterin letztlich ab. Der Beschluss über den vorläufigen Entzug des Führerscheins könne aufgehoben werden. Allerdings hat der Angeklagte bis Monatsende 1200 Euro an die Katholische Jugendfürsorge zu bezahlen. Und noch etwas gab sie dem Mann mit: „Fahren Sie vorsichtig!“„Ich danke Ihnen“, sagte dieser und zeigte sich sichtlich erleichtert. Vor allem auch darüber, dass viel Schlimmeres durch das Überholmanöver hätte passieren können.
„Was machen wir jetzt? Jetzt holen wir die Polizei.“