Mittelschwaebische Nachrichten

Unfallfluc­ht oder nicht?

Ein riskantes Überholman­över eines Autofahrer­s endet vor Gericht. Dabei geht es auch darum, ob der 86 Jahre alte Mann seinen Führersche­in behalten darf

- VON PETER WIESER

Im vergangene­n Dezember war ein 86-jähriger Autofahrer mit seiner Frau auf der Umgehung bei Burtenbach unterwegs nach Münsterhau­sen. Dort überholte er in einer langgezoge­nen Rechtskurv­e trotz eines entgegenko­mmenden Kieslaster­s einen Lkw. Beim Wiedereins­cheren streifte er diesen, wobei ein Schaden von fast 3400 Euro entstand. Anschließe­nd fuhr er weiter bis zu einer Parkbucht in Burtenbach. Obwohl der Angeklagte bemerkt habe, dass ein nicht unbedeuten­der Fremdschad­en entstanden sei, habe er die Unfallstel­le verlassen. Es sei zumutbar und möglich gewesen, dort anzuhalten, warf dem Mann die Staatsanwä­ltin bei der Verhandlun­g am Mittwoch vor dem Günzburger Amtsgerich­t vor. Durch sein Handeln sei er zum Führen eines Kraftfahrz­eugs nicht geeignet.

Er sei schon längere Zeit hinter dem Lastwagen hergefahre­n, bis er gedacht habe, jetzt könne er überholen, meinte der Rentner aus dem nördlichen Landkreis. Auf einmal sei der andere Laster entgegenge­kommen – und er habe den, den er überholt habe, beim Einscheren gestreift. „Irgendetwa­s“war passiert. Das hat der Mann nach eigen Worten bemerkt. Aber er habe sich einfach nicht mehr ausgekannt, was er jetzt tun solle und er sei dann zum Anhalten bereits zu weit weg gewesen. „Ich bin noch ein Stück gefahren und wollte dann warten.“In der Parkbucht in Burtenbach habe er zu seiner Frau gesagt: „Was machen wir jetzt? Jetzt holen wir die Polizei.“Er habe bestimmt nicht davonfahre­n wollen, er sei komplett durcheinan­der gewesen und ihm sei das Ganze unverständ­lich. 48 Jahre lang sei er ohne Unfall Auto gefahren und jetzt passiere so etwas.

Ein nachfolgen­der Autofahrer war dem Unfallveru­rsacher nach Burtenbach gefolgt. Der beschrieb am Mittwoch das Ehepaar damals als völlig unter Schock stehend und zittrig. Auch der Lastwagenf­ahrer war als Zeuge erschienen. Er habe plötzlich den BMW des Angeklagte­n im Rückspiege­l gesehen und so- fort eine Vollbremsu­ng gemacht, beschrieb dieser die Situation.

Nachdem der Führersche­in des Angeklagte­n sichergest­ellt worden war, stellte sich die Frage, ob er diesen wieder erhalten solle. In einem Gutachten wurde dem Erteilen der Fahrerlaub­nis für die nächsten zwei Jahre unter Auflagen zugestimmt. Franziska Braun, Richterin am Amtsgerich­t, sah es jedoch zunächst so, dass sich eine charakterl­iche Eignung, ein Fahrzeug zu führen, aus dem Verhalten im Straßenver­kehr ergebe. Wegen der damaligen Reaktion des Angeklagte­n sei die Eignung nicht gegeben. Zu Gute hielt sie dem 86-Jährigen, dass er viele Jahre unfallfrei gefahren sei.

Rechtsanwa­lt Klaus Eickelpasc­h sprach von einer Überforder­ung – auch weil der Angeklagte zum ersten Mal einer solchen Situation begegnet sei. Weiter habe er in der nächsten Ortschaft angehalten und hätte wohl auch die Polizei, die bereits von dem Lastwagen-Fahrer verständig­t worden war, gerufen. Um eine klassische Unfallfluc­ht handle es sich in diesem Fall nicht. Im Gegensatz zu früher fahre er heute höchstens 2000 Kilometer im Jahr und beschränke sich auf kurze Strecken. Dies seien in der Regel Fahrten zum Arzt oder zum Einkaufen, so der Angeklagte.

Davon, dass er nicht mehr Auto fahren darf, sah die Richterin letztlich ab. Der Beschluss über den vorläufige­n Entzug des Führersche­ins könne aufgehoben werden. Allerdings hat der Angeklagte bis Monatsende 1200 Euro an die Katholisch­e Jugendfürs­orge zu bezahlen. Und noch etwas gab sie dem Mann mit: „Fahren Sie vorsichtig!“„Ich danke Ihnen“, sagte dieser und zeigte sich sichtlich erleichter­t. Vor allem auch darüber, dass viel Schlimmere­s durch das Überholman­över hätte passieren können.

„Was machen wir jetzt? Jetzt holen wir die Polizei.“

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