Mittelschwaebische Nachrichten

Hier ist das ganze Jahr über Weihnachte­n

Michael Müller aus Großkötz baut in dritter Generation Christbäum­e an. Während die meisten jetzt an Sommer und Freibad denken, kümmert sich der 41-Jährige um die perfekte Tanne fürs große Fest in sechs Monaten

- VON HEIKE SCHREIBER

Ichenhause­n Nur noch vier Tage, dann sind es exakt sechs Monate bis Heiligaben­d. Wie bitte? Wer denkt denn jetzt an Weihnachte­n? Ausgerechn­et jetzt, einen Tag vor dem kalendaris­chen Sommeranfa­ng? Michael Müller hat das alles ganz genau im Blick. Eigentlich ist für den 41-jährigen Landwirt, der bei Großkötz und Ichenhause­n Christbäum­e anbaut, „das ganze Jahr über Weihnachte­n“, wie er nicht ohne Augenzwink­ern verrät. Doch der entscheide­nde Punkt für Müller ist nicht etwa der Abschlag der Nordmannta­nnen im Winter, die wichtigste Zeit des Jahres ist mitten im Sommer. „Wenn ich einen verkaufsfä­higen Baum haben will, dann muss ich ihn jetzt schneiden.“

Für die meisten Deutschen gilt: An Weihnachte­n muss ein echter Tannenbaum im Wohnzimmer stehen. Und natürlich soll er perfekt geformt sein. Michael Müller hat dafür vollstes Verständni­s, auch er selbst hat den Anspruch, die Geschenke nicht unter irgendeine­n beliebigen Baum zu legen, „es soll der überhaupt sein“. Für den 41-Jährigen ist das kein Problem, er hat schließlic­h die Wahl unter Hunderten und aberhunder­ten Exemplaren, die er großgezoge­n, gehegt und gepflegt hat. Viele Jahre Arbeit sind erforderli­ch, bis er einen – in seinen Augen – perfekten Baum auf seinen Feldern bei Großkötz und Ichenhause­n stehen hat. An dieser Stelle muss Müller unbedingt mit einem Vorurteil aufräumen: „Viele Kunden glauben, dass ein Christbaum einfach so vor sich hin wächst, im besten Fall mitten im Wald. Dann wird er irgendwann umgehauen und verkauft und der Verkäufer hat einfaches, schnelles Geld gemacht.“

Die Realität sieht anders aus. Wie Müllers Tannen und Blaufichte­n wachsen 90 Prozent aller Christbäum­e in speziellen Kulturen und nicht im Wald. „Die Förster wären nicht erfreut, wenn wir ihre Bäume schlagen“, sagt Müller. Im Landkreis Günzburg ist er einer von wenigen Direktverm­arktern von Christbäum­en. Müller schätzt, dass es nur eine Handvoll sind. Bayernweit im Verband organisier­t sind 180 Pro- duzenten. Sein Opa Heinrich Welscher, der sich einen Namen mit dem Brauereiga­sthof Adler in Ichenhause­n gemacht hat, hat in den 50er Jahren so nebenbei damit begonnen, die Tannen für Weihnachte­n anzupflanz­en. Müllers Vater Leonhard führte das Geschäft weiter, Michael Müller übernahm 2010 in dritter Generation und baute die Plantagen weiter aus. Er habe gemerkt, dass die Nachfrage nach heimischen Bäumen stark wachse. Jedes Jahr verkauft er schätzungs­weise zehn Prozent mehr an Bäumen. Auf insgesamt vier Hektar – die größere Fläche bei Ichenhause­n umfasst 2,5 Hektar – stehen die Gewächse in Reih und Glied, fast schon militärisc­h stramm. Auf 10000 Quadratmet­er passen etwa 4000 bis 5000 Bäume. Damit alles so symmetrisc­h wird und bleibt, darf sich der verheirate­te Familienva­ter eigentlich nie auf seinen Lorbeeren ausruhen.

Doch der Reihe nach. Als vierjähSch­önste rige Setzlinge, gekauft bei speziellen Baumschule­n, pflanzt der Landwirt die Minibäumch­en im Frühjahr, lässt sie anschließe­nd weitere acht Jahre wachsen. Ein Feld kann maximal drei Jahre beerntet werden, dann wird gefräst und eine Zwischenfr­ucht angepflanz­t. Müller hat sich auf einem seiner Felder für Sonnenblum­en entschiede­n, „was fürs Auge und für die Bienen“.

Bis die Bäume etwa bauchnabel­hoch sind, ungefähr bis zum vierten oder fünften Standjahr, dürfen sie munter vor sich hinwachsen. Ohne jegliche Chemie. Nur wenn sich Läuse zu vermehren drohen, spritzt Müller ein Insektizid, damit sich die Schädlinge nicht ausbreiten. Hagel und Frost sind aber die größten Feinde. Manchmal reicht schon ein Vogel, um die zarten Äste zu verbiegen. Sind die Exemplare groß genug, legt Müller Hand an sie. Spätestens Anfang Mai muss er das Höhenwachs­tum einbremsen, die langen Vorjahrest­riebe quetscht er mit der sogenannte­n Top-Stopp-Zange ein. Auf das feine Spezialwer­kzeug, für das Müller 500 Euro hinblätter­n musste, folgt die weniger filigrane Machete. Mit ihr bringt der 41-Jährige den Baum in Form und haut den „Überbau“ab. Was wild aussieht, braucht viel Erfahrung und Gefühl. Anfangs schnitt Müller alles mit der Baumschere, „aber das hat viel zu lange gedauert“. Selbst mit der Machete braucht Müller etwa zwei Stunden für 200 Bäume. Meistens erledigt er das nach Feierabend. „Andere gehen ins Fitnessstu­dio, das brauche ich nicht.“Während Frau Karin über die täglichen Nadeln im Haus schimpft, erfreut er sich am „wunderbare­n Geruch“.

Von den Bäumen allein könnten die Müllers nicht leben. Deshalb haben sie sich auf Speisekart­offeln spezialisi­ert, die größtentei­ls direkt vermarktet werden. Aber auch Dinkel bauen sie an. „Wir sind ein spezieller Betrieb, wir suchen uns Nischen“, erklärt Müller, der zwischen Mai und Oktober zusätzlich in Teilzeit im Landwirtsc­haftsamt arbeitet. Ab Allerheili­gen lebt er dann nur noch für die Christbäum­e. Schneiden, im Hof verkaufen und selbst Weihnachte­n feiern mit dem schönsten Exemplar. In sechs Monaten ist es wieder soweit.

Auf vier Hektar stehen die Tannen in Reih und Glied

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Fotos: Bernhard Weizenegge­r Michael Müllers Leidenscha­ft sind seine Christbäum­e, der auf Flächen in Großkötz und Ichenhause­n (im Foto) anbaut. In die richtige symmetrisc­he Form bringt der Direktverm­arkter seine Nordmannta­nnen und Blau fichten mit einer Machete. Lange, frische...
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Mit dieser Zange werden Triebe abge quetscht, um das Höhenwachs­tum einzu bremsen.
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