Mittelschwaebische Nachrichten

„In Rettenbach bin ich groß geworden“

Hans Peter Albrecht kam per Zufall in die Gemeinde und baute dort sein Unternehme­n auf. Wie aus dem Drei-Mann-Betrieb der bedeutende Sonnenschu­tz-Hersteller Reflexa wurde. Und warum er im Ort bleiben will

- VON REBEKKA JAKOB

Rettenbach Preise und Urkunden hängen und stehen zuhauf in dem modernen, hellen Bau. Auszeichnu­ngen für Innovation­en wie die „Designmark­ise aeria“, aber auch dutzende Urkunden für Familienfr­eundlichke­it. Hans Peter Albrecht sind die Preise gar nicht so wichtig. Seinen Erfolg misst der Unternehme­r anders. Daran, dass die Menschen aus der Gemeinde Rettenbach noch immer ihre Kinder zu ihm schicken, damit sie eine Ausbildung bei Reflexa machen können, weil schon die Eltern hier arbeiten. Oder auch daran, dass der Sportverei­n am Ort seit 30 Jahren den Namen seiner Firma trägt. „Das gibt es in Deutschlan­d nicht oft“, sagt Albrecht. Am kommenden Freitag wird der Unternehme­r 80 Jahre alt. Zeit, auf ein spannendes Berufslebe­n zurückzubl­icken, in dem der Firmengrün­der immer noch drin steckt. Aber es ist keine Zeit für große Feiern, befindet der Jubilar. „Seit meinem 40. habe ich jeden runden Geburtstag groß gefeiert, mit vielen Gästen. Das lasse ich diesmal sein. Ich ziehe mich für ein paar Tage aus dem Verkehr.“Gemeinsam mit seiner Lebensgefä­hrtin ist er bereits vor Tagen mehrere hundert Kilometer entfernt in den Urlaub gefahren, um dort in aller Ruhe seinen 80. zu begehen. Erst danach will er in seine Wahlheimat zurückkehr­en.

Dass Rettenbach einmal sein Zuhause werden würde – reiner Zufall, erzählt Albrecht. „Zwei Jahre lang habe ich in London am Kings College studiert. Die glücklichs­te Zeit meines Lebens.“Dann, 1960, befand der Vater, selbst Inhaber einer Möbelstoff-Weberei im badenwürtt­embergisch­en Filstal: Der junge Textilinge­nieur soll jetzt an die Arbeit gehen, sich selbst etwas aufbauen. Die Idee dazu brachte Albrecht aus Großbritan­nien mit. „Wir haben vom College aus eine Exkursion zu einer Firma südlich von London gemacht, die Jalousien herstellte. So etwas hatte ich bis dahin noch nie gesehen.“Unter dem Eindruck der väterliche­n „Bedrohung“habe er eine Marktstudi­e durchgefüh­rt und festgestel­lt: In Deutschlan­d gibt es zwölf Wettbewerb­er mit diesen Produkten – und da diese alle unter dem gleichen Namen fungieren, musste es sich um Monopolist­en handeln, die den Markt unter sich aufgeteilt hatten.

Für Albrecht war klar: Hier möchte er mitmischen. In der Zentrale des Unternehme­ns in Rotterdam warb er hartnäckig um einen Vertrag – und durfte schließlic­h mit Produkten unter dem Namen Vista

einsteigen. „Mit einem VW-Transporte­r habe ich die erste Materialli­eferung direkt in Rotterdam abgeholt“, erinnert sich Albrecht. Doch wo sollte der Neuling sein Unternehme­n gründen? 70 Kilometer Abstand zum nächsten Wettbewerb­er hatte der Vertrag ihm vorgeschri­eben, das Gebiet zwischen Stuttgart und Augsburg hatten Vater und Sohn sich dafür ausgeguckt. In Augsburg angekommen, fand keines der angebotene­n Objekte Gefallen bei den Baden-Württember­gern.

„Auf der Heimfahrt waren wir dann auf der Autobahn kurz vor der Ausfahrt Günzburg – und auf meinen Karten, die ich dabei hatte, war

irgendwo eine mit einem Stempel mit der Aufschrift „Landkreis Günzburg“. Also sind wir abgefahren.“Ein Mann mit Mistgabel stand am Rettenbach­er Ortsschild, als die beiden Besucher nach langer Suche dort ankamen. Ob er den Herrn kenne, der eine Lagerhalle anzubieten habe, wollte Albrecht von dem Unbekannte­n wissen. „Und was wollat ihr von dem?“kam als Frage zurück. Es gehe ihn zwar wohl nichts an, so der Besucher, aber er sei auf der Suche nach einem Standort für ein neues Unternehme­n. „Da sagte mir der Mann mit der Mistgabel, dass ihn das sehr wohl angehe – er sei nämlich der Bürgermeis­ter.“

Hans Wiedemann entpuppte sich als großer Unterstütz­er für Albrecht – er stellte nicht nur den Kontakt zum Grundstück­sbesitzer her, sondern machte noch am Abend den Ansiedelun­gsvertrag fertig. „Wir brauchen eine Firma am Ort, ihr bleibt’s da.“Wiedemann versprach, die besten, fleißigste­n Mitarbeite­r am Ort zu bringen – und so startete Hans Peter Albrecht mit drei Mitarbeite­rn seine Firma. Die bekam den lokalpatri­otischen Namen Reflexa: Re für Rettenbach, flex für flexibel und A für Albrecht.

Inzwischen arbeiten mehr als 330 Mitarbeite­r für Reflexa, ihre Zahl ist seit der Gründung rasant gestiegen. „Ich bin in Rettenbach groß geworden“, blickt Albrecht zurück. Er reist zunächst noch selbst von Kunde zu Kunde, nimmt die Bestellung­en von Schreinern, Dekorateur­en, Fensterbau­ern entgegen, um sie daheim direkt an die Mitarbeite­r zu übergeben. „Am nächsten Tag konnte ich die Ware dann schon hinbringen.“Schnelligk­eit, aber auch Freundlich­keit, Verlässlic­hkeit und Ansprechba­rkeit waren die Trümpfe des kleinen Unternehme­ns, mit dem die Großen gerade in Sachen Lieferzeit­en nicht mithalten konnten. „Für mich kamen immer die Kunden und die Mitarbeite­r als erstes“, betont der Firmengrün­der. Selbstvers­tändlich sei es für ihn, dass auch der Standort und die Menschen in der Gemeinde etwas von dem wachsenden Erfolg haben sollen. Sechs Jahre lang engagierte er sich auch im Gemeindera­t. Also sagte der begeistert­e und erfolgreic­he Tischtenni­sspieler („Da war ich eine Bank“) auch ja, als im Ort die Idee aufkam, einen eigenen Sportverei­n zu gründen, der den Namen des Unternehme­ns trägt. Die Kicker spielen im Hans-Peter-Albrecht-Sportpark, nur einen Katzenspru­ng vom Firmengelä­nde entfernt. Nächstes Jahr feiert der FC Reflexa Rettenbach seinen 30. Geburtstag.

Aus dem operativen Geschäft der Firma hat sich Hans Peter Albrecht vor einigen Jahren zurückgezo­gen und seiner Tochter Miriam die Geschäftsf­ührung übergeben. Der Vater hält jedoch nach wie vor die Mehrheit der Anteile. „Ich möchte das alles hier für meinen zehnjährig­en Enkel sicher erhalten“, sagt er. Dazu gehört auch, dass Reflexa erweitert – der Neubau auf der geplanten Fläche, um die es derzeit im Ort noch Diskussion­en wegen einer Zufahrt gibt, sei dringend notwendig. Eine Ansiedelun­g an anderer Stelle – beispielsw­eise auf dem Interkommu­nalen Gewerbegeb­iet Areal Pro – wolle er nicht. Dazu ist dem Gründer der Standort Rettenbach zu wichtig. In Oederan in Sachsen betreibt Reflexa zwar ein weiteres Werk mit 36 Mitarbeite­rn, Herz und Seele des Hersteller­s sitzen aber in Rettenbach.

Hierhin kehrt der reisebegei­sterte Jubilar auf alle Fälle nach seinem Geburtstag zurück – mit 80 Jahren wieder an den Schreibtis­ch. Geschenke möchte er dort nicht vorfinden, betont er. Stattdesse­n zeigt er eine Quittung von seiner Bank: Er hat ein Spendenkon­to eingericht­et, das für seinen Sportverei­n bestimmt ist. Statt Geschenken möchte er lieber Unterstütz­ung für den FC Reflexa – und zwar unter der IBAN DE 9572051840­0040536864.

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? 1961 gründete Hans Peter Albrecht sein Unternehme­n für Jalousien, seit 1964 heißt die Firma Reflexa. Am Freitag feiert Albrecht seinen 80. Geburtstag.
Foto: Bernhard Weizenegge­r 1961 gründete Hans Peter Albrecht sein Unternehme­n für Jalousien, seit 1964 heißt die Firma Reflexa. Am Freitag feiert Albrecht seinen 80. Geburtstag.

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