Mittelschwaebische Nachrichten
Die Sprache der Stimmungsmacher
In den politischen Debatten werden immer neue Grenzen eingerissen. Nazi-Vokabular wird salonfähig und in Hass-Kommentaren kennt die Wut kein Tabu. Das wirkt mittlerweile bis in die etablierten Parteien hinein
Augsburg Kurz nachdem die Flüchtlingszahlen im Jahr 2015 angestiegen waren, hörte man die ersten Warnungen: Achtung, die Sprache verroht. Zum Beispiel in den Foren von Zeitungsredaktionen, weil dort in einem nicht geahnten Ausmaß Hetzkommentare einliefen: Beleidigungen und offene Aufrufe zu Gewalt.
Parallel dazu hat sich aber auch der politische Diskurs geändert. Begriffe wie „Lügenpresse“, „Systemmedien“, „Altparteien“, „Umvolkung“, „Überfremdung“werden – ohne Anführungszeichen – mittlerweile nicht nur von Rechtspopulisten gebraucht. Die Debatte um die Flüchtlingskrise hinterlässt in der politischen Sprache eine breite Spur.
Es scheint, als ob ein Damm gebrochen ist. Denn das Totschlagargument, das sich im Netz immer wieder als Rechtfertigung für sprachliche Entgleisungen aller Art findet, lautet: Das wird man doch noch sagen dürfen.
„Politische Verrohung? Soll politische Diskussion nur noch in einer gendergerechten, religionsfreien, quotengerechten, weltverantwortungsvollen und pazifistischen Sprache stattfinden? Dazu Händchen haltend im ,Alles-wird-gutSprech‘? Bitte nicht!“
Rodolfo Macroni, Twitter
Wie soll man die andere Sprache, die hier einem Twitter-Nutzer vor Augen schwebt, nennen? Etwa „explizit“, weil sie alles benennt? Auf jeden Fall ist festzustellen, dass Gewaltfantasien heute offen in der Sprache ausgelebt werden, dass Hass-Kommentare nicht mehr anonym und per Brief verschickt werden, sondern offen von dem eigenen Facebook- oder Twitter-Account.
Was ist los mit der Sprache unserer Tage? Spätestens seit dem Einzug der AfD in den Bundestag gehört die bewusste, sprachliche Provokation, die kalkulierte Grenzüberschreitung zum politischen Tagesgeschäft. Der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland bezeichnete die zwölf Jahre nationalsozialistischer Diktatur in Deutschland als „Vogelschiss der Geschichte“, und er weiß, dass er mit dieser sprachlichen Verharmlosung seine Wähler erreicht und mindestens einen Tag lang die Schlagzeilen beherrscht – für ihn also eine Win-win-Situation.
Und Alice Weidel (AfD) spricht im Bundestag von „Burka, Kopftuchmädchen, alimentierte Messerstecher und sonstigen Taugenichtsen“. Sie handelt sich damit zwar eine Rüge des Bundestagspräsiden- ten ein, ist aber im Grunde wie Gauland erst einmal die Gewinnerin der öffentlichen Debatte – die Publicity gehört an einem solchen Tag ihr. Die Taktik, jede sprachliche Entgleisung zu geißeln, steht in Gefahr, deren Bekanntheit und damit auch deren Durchschlagskraft zu steigern.
Und: Dieser politisch-sprachliche Wettbewerb färbt ab. Seit kurzem spricht der CSU-Vorsitzende Markus Söder zum Beispiel im Streit um die Rückweisung von Flüchtlingen an der Grenze von „Asyltourismus“, den es selbstredend zu unterbinden gelte. Mit einem knackigen Begriff soll Stimmung gemacht werden. Der Asylsuchende wird auf eine Stufe mit Touristen gestellt – also auf eine Stufe mit freiwillig Reisenden. Das sind wohlbedachte rhetorische Mittel, um in der politischen Debatte mit brachialen Methoden zum Wähler vorzudringen (siehe auch „Auf ein Wort“rechts oben auf dieser Seite).
Gleichzeitig werden Wörter in der schon dreijährigen Debatte um den Umgang mit Flüchtlingen bewusst umgewertet. „Gutmensch“gehört noch zu den harmloseren rechtspopulistischen Beleidigungen. Weil dieser Gutmensch aber mittlerweile seinen vorgeblichen „Korrektheitsterror“nicht mehr ausüben kann, weil er die Hoheit über die Sprache verloren hat, finden sich plötzlich wieder Volk, Volksgemeinschaft und das Völkische im rechtspopulistischen Diskurs wieder. Offen bedient man sich der Sprache des Nationalsozialismus. Auch da ist eine sprachliche Grenze auf breiter Front eingerissen.
Viel drastischer erleben Politiker sprachliche Verrohung, wenn sie Post von den Unzufriedenen und Wütenden bekommen. Jüngst etwa hat die Grünen-Politikerin Claudia Roth erklärt, dass sie täglich Morddrohungen bekomme, mal ganz zu schweigen von den Hass-Kommentaren.
„Wir erleben eine Verrohung der Sprache, eine unglaubliche Respektlosigkeit, die Bereitschaft, persönlich vernichtend mit Personen umzugehen. Wir wissen aus der Geschichte, dass der Gewalt der Worte irgendwann die Gewalt der Taten folgt. Das macht mich besorgt.“
Christian Kern, SPÖ-Politiker Genau das ist auch die Gefahr beschriebener sprachlicher Entwicklung. Wenn immer drastischeres Vokabular in immer breiteren Kreisen gewählt wird, was heißt das für die Gesellschaft? Bekommen dadurch die Gewalttäter am linken und am rechten Rand der Gesellschaft breiteren Zulauf? Also diejenigen, die bewusst mit der Sprache ihren künftigen Opfern die Menschlichkeit absprechen: Von „Bullen“, „Schweinen“und „Dreckspack“ist in der Szene die Rede, bevor es zu Übergriffen kommt.
Festzuhalten ist in den politischen Debatten dieser Tage aber auch, dass in der linken Szene ein fast schon inflationärer Gebrauch des Worts „Nazi“herrscht. Dass jeder, der Angela Merkels Flüchtlingspolitik kritisiert, dieses Etikett bekommt. Auch auf dieser Seite wird mit schwerem sprachlichen Geschütz willkürlich gezielt.
Es ist nur schwer vorzustellen, dass sich demnächst ein gesamtgesellschaftlicher Konsens zur verbalen Abrüstung findet. Das hieße ja, zu einer gemeinsamen Sprache zu finden, zu etwas, das sofort im Ruch einer „politisch korrekten Sprache“ steht. Dagegen wird mittlerweile seit 30 Jahren erfolgreich an der Sprachfront gekämpft.
Seinen Ausgang nahm dieses Gefecht in den USA der frühen 1990er Jahre. Die Konservativen hatten dort als einen immer abwertend gemeinten Begriff die „Political Correctness“eingeführt, gegen die sie sprachlich zu Felde zogen. In den USA ist jetzt ein Präsident im Weißen Haus an der Macht, der fast täglich via Twitter austestet, was im politschen Diskurs alles möglich ist – ohne Sanktionen befürchten zu müssen.
Der Befund hat etwas Deprimierendes. Und er wird nicht besser, wenn man in die deutsche Vergangenheit zurückblickt. Deshalb zum Schluss eine Mahnung von einem Schriftsteller und Sprachkritiker, der so präzise wie kaum ein anderer die Sprache des Nationalsozialismus erforscht hat.
„Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“
Victor Klemperer, Schriftsteller