Mittelschwaebische Nachrichten

Eine Schwedin blickt auf Deutschlan­d

Caisa Börjesson hat heute ein besonderes Fußballspi­el vor sich. Sie berät Wirtschaft­smanager beider Länder. Wo die großen Unterschie­de zwischen den Nationen liegen

- VON PHILIPP WEHRMANN

Nornheim Caisa Börjesson steht hinter dem Tor des HSV in einem schwedisch­en Stadion. Auf der anderen Seite: der IFK Göteborg, die Lieblingsm­annschaft der Schwedin. Wenige Minuten verbleiben, noch hat keine Mannschaft getroffen. Dann schießt Tord Holmgren in der 87. Minute den Siegtreffe­r. Obwohl das 36 Jahre her ist, erzählt Börjesson lebhaft davon, während sie an einem überdachte­n Tisch in ihrem Garten im Günzburger Stadtteil Nornheim sitzt. Denn das war der Moment, der sie endgültig zum Fußballfan gemacht hat.

Nach wie vor ist die Sportart eine Männerdomä­ne – dasselbe trifft auf die Branche zu, in der die 52-Jährige arbeitet: die Automobili­ndustrie. Schon Börjessons Vater war Ingenieur und Fußballfan. Brüder hatte sie keine. Wenn der Vater in seiner Freizeit in die Werkstatt ging, um an Autos zu schrauben, assistiert­e die Tochter. Dass das auch ihr Berufsfeld werden sollte, war früh klar. Sie studierte Maschinenb­au in Göteborg. Dann hieß es, praktische Erfahrung zu sammeln. „Wo geht das besser als in Deutschlan­d?“, fragt die gut gelaunte Frau. Sie fing bei einem großen Autozulief­erer in Stuttgart an, machte Karriere – zuletzt war sie für einen neunstelli­gen Etat verantwort­lich – und lernte ih- Mann, einen deutschen Autoingeni­eur, kennen. Eigentlich wollte sie nur ein paar Jahre in Deutschlan­d bleiben. Jetzt ist sie schon so lange hier, wie sie in Schweden war.

Heute spielt die deutsche Mannschaft gegen ihr Herkunftsl­and. Und das bereitet Börjesson ziemlich Probleme: Deutschlan­d muss definitiv punkten, um nicht aus der WM zu fliegen. „2006 hat Deutschlan­d im Viertelfin­ale Schweden aus der WM gekickt“, erinnert sie sich. Schon diese Konfrontat­ion war „ganz schwierig“für sie. Als sie gesehen hat, dass beide Länder dieses Mal in einer Gruppe spielen, wurden alte Erinnerung­en wach. Doch dass es so knapp für Deutschlan­d wird, hat sie nicht erwartet. Das Selbstvert­rauen der Schweden sei nach ihrem Sieg gegen Südkorea und der Niederlage der Deutschen explodiert. Aber dass Deutschlan­d an den Schweden scheitert, das möchte sie nicht. „In meiner Brust schlagen zwei Herzen.“

Gestern war in Schweden das Mittsommer­fest. „Das ist fast wichtiger als Weihnachte­n “, sagt Börjesson. Den ganzen Tag wird Musik gemacht, getanzt und gegessen. Heute folgt das WM-Spiel. „Das wird ein aufregende­s Wochenende für die Schweden.“

Dort hängt zu jeder Zeit und überall die Flagge des Landes, sagt sie. Das hat sie anfangs in Deutschlan­d vermisst. Ihre Hochzeit im Jahr 2003 wollte sie mit deutschen und schwedisch­en Flaggen dekorieren. „Nirgendwo waren deutsche Flaggen zu bekommen.“Dann hat sie selbst welche aus Papier gebastelt. Bei der Fußball-WM 2006 in Deutschlan­d änderte sich das. „Ich fand es sehr schön, dass auch hier dann Flaggen hingen.“

Im selben Jahr hat sie ihre Unternehme­nsberatung Schwe-De gegründet. Eines ihrer Kernthemen sind die Unterschie­de zwischen Deutschlan­d und Schweden. Dazu berät sie deutsche und schwedisch­e Manager, die im jeweils anderen Land tätig werden.

Der möglicherw­eise größte Unterschie­d ist, wie die Menschen der beiden Länder Konflikte sehen. In Deutschlan­d seien sie eher positiv behaftet, sagt die Expertin. Auf einen Konflikt folgt eine Lösung, möglicherw­eise ein Triumph. Generell sei Wettbewerb fest in der deutschen Kultur verankert. In Schweden: genau das Gegenteil. Einmal wollte Börjesson in Schweden tanken, ein Einheimisc­her stand weit entfernt von der Zapfsäule und blockierte die Einfahrt. „Ich habe ihn aufgeforde­rt, ein Stück vorzufahre­n ren.“Doch stattdesse­n hat sich der Mann zurück ins Auto gesetzt und ist ganz davon gefahren. „Bloß keinen Konflikt riskieren“, sagt sie.

Außerdem gehe man anders mit Hierarchie­n um. Ist in Deutschlan­d die Anweisung eines Vorgesetzt­en unumstößli­ch, gelte sie in Schweden eher als Richtlinie. Börjessons Mann war einige Zeit Führungskr­aft bei einem großen schwedisch­en Unternehme­n. Er hatte mit Kollegen ein Vorhaben besprochen und als Chef eine Entscheidu­ng gefasst. Später haben sich die Mitarbeite­r, die ihm eigentlich untergeord­net waren, erneut unterhalte­n und eine andere Vorgehensw­eise gewählt. „Während das in Deutschlan­d eine Autoritäts­krise auslöst, ist das in Schweden sehr gewöhnlich.“

Das sei auch im Fußball so: Lange Jahre hätten die Schweden mit Zlatan Ibrahimovi­c gehadert. Zwar sei er ohne Frage ein Ausnahmefu­ßballer, doch einen einzelnen herausrage­n Anführer in der Mannschaft zu haben, sei grundsätzl­ich nicht wünschensw­ert für die Schweden. Noch hat Caisa Börjesson Hoffnung, dass die Konfrontat­ion der beiden Nationalma­nnschaften bei dieser WM folgenlos bleibt: Deutschlan­d muss gegen Schweden und Südkorea gewinnen, Südkorea und Mexiko unentschie­den spielen und Schweden Mexiko schlagen, zählt sie auf. „Dann kommen beide weiter.“

Konflikte und Hierarchie­n scheut man in Schweden

 ?? Foto: Philipp Wehrmann ?? Vor, in und hinter dem Haus, in dem Caisa Börjesson mit ihrem Mann Hans Wienholt wohnt, hängen und stehen deutsche und schwedisch­e Flaggen. Dass die Mannschaft­en ih rer Heimatländ­er aufeinande­rtreffen, bereitet ihr Kopfzerbre­chen. Doch es besteht noch...
Foto: Philipp Wehrmann Vor, in und hinter dem Haus, in dem Caisa Börjesson mit ihrem Mann Hans Wienholt wohnt, hängen und stehen deutsche und schwedisch­e Flaggen. Dass die Mannschaft­en ih rer Heimatländ­er aufeinande­rtreffen, bereitet ihr Kopfzerbre­chen. Doch es besteht noch...

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