Mittelschwaebische Nachrichten
Eine Schwedin blickt auf Deutschland
Caisa Börjesson hat heute ein besonderes Fußballspiel vor sich. Sie berät Wirtschaftsmanager beider Länder. Wo die großen Unterschiede zwischen den Nationen liegen
Nornheim Caisa Börjesson steht hinter dem Tor des HSV in einem schwedischen Stadion. Auf der anderen Seite: der IFK Göteborg, die Lieblingsmannschaft der Schwedin. Wenige Minuten verbleiben, noch hat keine Mannschaft getroffen. Dann schießt Tord Holmgren in der 87. Minute den Siegtreffer. Obwohl das 36 Jahre her ist, erzählt Börjesson lebhaft davon, während sie an einem überdachten Tisch in ihrem Garten im Günzburger Stadtteil Nornheim sitzt. Denn das war der Moment, der sie endgültig zum Fußballfan gemacht hat.
Nach wie vor ist die Sportart eine Männerdomäne – dasselbe trifft auf die Branche zu, in der die 52-Jährige arbeitet: die Automobilindustrie. Schon Börjessons Vater war Ingenieur und Fußballfan. Brüder hatte sie keine. Wenn der Vater in seiner Freizeit in die Werkstatt ging, um an Autos zu schrauben, assistierte die Tochter. Dass das auch ihr Berufsfeld werden sollte, war früh klar. Sie studierte Maschinenbau in Göteborg. Dann hieß es, praktische Erfahrung zu sammeln. „Wo geht das besser als in Deutschland?“, fragt die gut gelaunte Frau. Sie fing bei einem großen Autozulieferer in Stuttgart an, machte Karriere – zuletzt war sie für einen neunstelligen Etat verantwortlich – und lernte ih- Mann, einen deutschen Autoingenieur, kennen. Eigentlich wollte sie nur ein paar Jahre in Deutschland bleiben. Jetzt ist sie schon so lange hier, wie sie in Schweden war.
Heute spielt die deutsche Mannschaft gegen ihr Herkunftsland. Und das bereitet Börjesson ziemlich Probleme: Deutschland muss definitiv punkten, um nicht aus der WM zu fliegen. „2006 hat Deutschland im Viertelfinale Schweden aus der WM gekickt“, erinnert sie sich. Schon diese Konfrontation war „ganz schwierig“für sie. Als sie gesehen hat, dass beide Länder dieses Mal in einer Gruppe spielen, wurden alte Erinnerungen wach. Doch dass es so knapp für Deutschland wird, hat sie nicht erwartet. Das Selbstvertrauen der Schweden sei nach ihrem Sieg gegen Südkorea und der Niederlage der Deutschen explodiert. Aber dass Deutschland an den Schweden scheitert, das möchte sie nicht. „In meiner Brust schlagen zwei Herzen.“
Gestern war in Schweden das Mittsommerfest. „Das ist fast wichtiger als Weihnachten “, sagt Börjesson. Den ganzen Tag wird Musik gemacht, getanzt und gegessen. Heute folgt das WM-Spiel. „Das wird ein aufregendes Wochenende für die Schweden.“
Dort hängt zu jeder Zeit und überall die Flagge des Landes, sagt sie. Das hat sie anfangs in Deutschland vermisst. Ihre Hochzeit im Jahr 2003 wollte sie mit deutschen und schwedischen Flaggen dekorieren. „Nirgendwo waren deutsche Flaggen zu bekommen.“Dann hat sie selbst welche aus Papier gebastelt. Bei der Fußball-WM 2006 in Deutschland änderte sich das. „Ich fand es sehr schön, dass auch hier dann Flaggen hingen.“
Im selben Jahr hat sie ihre Unternehmensberatung Schwe-De gegründet. Eines ihrer Kernthemen sind die Unterschiede zwischen Deutschland und Schweden. Dazu berät sie deutsche und schwedische Manager, die im jeweils anderen Land tätig werden.
Der möglicherweise größte Unterschied ist, wie die Menschen der beiden Länder Konflikte sehen. In Deutschland seien sie eher positiv behaftet, sagt die Expertin. Auf einen Konflikt folgt eine Lösung, möglicherweise ein Triumph. Generell sei Wettbewerb fest in der deutschen Kultur verankert. In Schweden: genau das Gegenteil. Einmal wollte Börjesson in Schweden tanken, ein Einheimischer stand weit entfernt von der Zapfsäule und blockierte die Einfahrt. „Ich habe ihn aufgefordert, ein Stück vorzufahren ren.“Doch stattdessen hat sich der Mann zurück ins Auto gesetzt und ist ganz davon gefahren. „Bloß keinen Konflikt riskieren“, sagt sie.
Außerdem gehe man anders mit Hierarchien um. Ist in Deutschland die Anweisung eines Vorgesetzten unumstößlich, gelte sie in Schweden eher als Richtlinie. Börjessons Mann war einige Zeit Führungskraft bei einem großen schwedischen Unternehmen. Er hatte mit Kollegen ein Vorhaben besprochen und als Chef eine Entscheidung gefasst. Später haben sich die Mitarbeiter, die ihm eigentlich untergeordnet waren, erneut unterhalten und eine andere Vorgehensweise gewählt. „Während das in Deutschland eine Autoritätskrise auslöst, ist das in Schweden sehr gewöhnlich.“
Das sei auch im Fußball so: Lange Jahre hätten die Schweden mit Zlatan Ibrahimovic gehadert. Zwar sei er ohne Frage ein Ausnahmefußballer, doch einen einzelnen herausragen Anführer in der Mannschaft zu haben, sei grundsätzlich nicht wünschenswert für die Schweden. Noch hat Caisa Börjesson Hoffnung, dass die Konfrontation der beiden Nationalmannschaften bei dieser WM folgenlos bleibt: Deutschland muss gegen Schweden und Südkorea gewinnen, Südkorea und Mexiko unentschieden spielen und Schweden Mexiko schlagen, zählt sie auf. „Dann kommen beide weiter.“
Konflikte und Hierarchien scheut man in Schweden