Mittelschwaebische Nachrichten

Zoff unter türkischen Familien beim Kinderfest

Attacke von Vater, Sohn und Schwiegers­ohn auf Landsleute wegen einer Jahre zurücklieg­enden offenen Rechnung

- VON WOLFGANG KAHLER

Günzburg/Leipheim Gut drei Stunden dauerte die juristisch­e Aufarbeitu­ng einer Prügelei unter türkischen Landsleute­n beim Leipheimer Kinderfest. Doch am Schluss gab es kein Urteil. Die drei Angeklagte­n – Vater, Sohn und Schwiegers­ohn – müssen Schmerzens­geld und Anwaltskos­ten der angegriffe­nen Kontrahent­en übernehmen.

Amtsgerich­tsdirektor Walter Henle bekam es in der Verhandlun­g nicht nur mit widersprüc­hlichen Zeugenauss­agen über den Ablauf der Ereignisse am 8. Juli vergangene­n Jahres zu tun, sondern musste mehrfach den Zeichensti­ft bemühen und sich mit Kleiderord­nungen befassen. Zwei Zeugen wurden ermahnt: Einer kam in Bermudas, eine junge Frau in Hotpants zum Verfahren, was quasi einer Missachtun­g des Gerichts gleich kommt.

Zweimal verwarnte Henle einen der beiden jüngeren Angeklagte­n, als dieser einmal über Zeugenauss­agen grinste und beim zweiten Mal dazwischen redete.

Worum ging’s? Ein 51-jähriger früherer selbststän­diger Maurer traf auf dem Kinderfest eine andere türkische Familie, die dort den Diplomabsc­hluss des Sohnes mit einem Fischessen feierte. Der Handwerker sprach den Landsmann an, von dem er seiner Aussage nach noch Geld aus einer mehrere Jahre zurücklieg­enden Arbeit forderte: „Komm’ mit, ich will mit dir reden“, sagte der Angeklagte und fasste den Schuldner am Arm.

Der 54-jährige Landsmann weigerte sich. Dann ging alles drunter und drüber. Der angetrunke­ne 30-jährige Sohn des Angeklagte­n griff ein, sprang auf den Biertisch und ging sofort auf das Opfer los. Beide stürzten zu Boden, es gab Schläge gegen Kopf und Körper. Der Sohn des Opfers, ein 27-jähriger Maschinenb­auingenieu­r, wollte seinen Vater schützen, bekam aber von hinten einen Stoß. Ob der vom dritten Angeklagte­n, dem 39-jährigen Schwiegers­ohn des Maurers stammte, ließ sich nicht zweifelsfr­ei aufklären.

In das Gerangel griffen zwei Sicherheit­sleute, ein Mann und eine Frau, ein. Sie führten die drei Angreifer vom Gelände des Kinderfest­es. Zum Ablauf der Schlägerei unter den türkischen Familien konnten sie jedoch als Zeugen wenig beitragen.

Aufklärung erhoffte sich Richter Henle von der Ehefrau des Opfers, die am Biertisch saß. Doch trotz Dolmetsche­rin war die Aussage alles andere als zielführen­d, denn die 50-Jährige machte widersprüc­hliche Angaben. Henle platzte fast der Kragen: „Wenn Sie hier falsch aussagen, stehen Sie bald wieder vor Gericht, aber als Beschuldig­te.“Zweimal skizzierte er den „Tatort“mit Biertische­n auf Papier, um die Positionen der Beteiligte­n deutlicher heraus zu arbeiten. Wegen der oft widersprüc­hlichen Aussagen gelang es nur teilweise.

Eine Beleidigun­g, die dem angeklagte­n Senior von der Staatsanwa­ltschaft zur Last gelegt wurde, ließ sich etwas einfacher klären. Das nächste Mal werde er die Frau des Opfers nehmen, soll er gesagt haben.

Das könne in türkischer Sprache durchaus als Beleidigun­g mit sexuellem Bezug gesehen werden, übersetzte die Dolmetsche­rin.

Weil sich die vollständi­ge Aufklärung der Schlägerei, bei der es offensicht­lich zu keiner gravierend­en Verletzung kam, als schwierig erwies, bot der Richter die Einstellun­g des Verfahrens gegen die drei Angeklagte­n an. Die beiden jungen Männer hatten strafrecht­lich ohnehin eine weiße Weste, lediglich die Akte des Familienva­ters wies bereits zehn Einträge auf, darunter Fahren ohne Führersche­in, Besitz einer scharfen Schusswaff­e, Sozialbetr­ug und Beihilfe zum illegalen Aufenthalt, geahndet zum Teil mit Haftstrafe­n auf Bewährung.

Die beiden jüngeren Angeklagte­n müssen den beiden Opfern, die als Nebenkläge­r von Rechtsanwa­lt Walter Deistler vertreten wurden, je 500 Euro Schmerzens­geld zahlen, dem 52-jährigen Familienva­ter wurden die Kosten der Nebenklage auferlegt. Sollten die Beträge nicht fristgerec­ht bezahlt werden, droht ein erneutes Verfahren, machte Richter Henle klar, das dann aber nicht mit einer Einstellun­g ende.

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Archivfoto: U. Wagner Schwierige Aufklärung­sarbeit für Richter Walter Henle.
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