Mittelschwaebische Nachrichten
Zoff unter türkischen Familien beim Kinderfest
Attacke von Vater, Sohn und Schwiegersohn auf Landsleute wegen einer Jahre zurückliegenden offenen Rechnung
Günzburg/Leipheim Gut drei Stunden dauerte die juristische Aufarbeitung einer Prügelei unter türkischen Landsleuten beim Leipheimer Kinderfest. Doch am Schluss gab es kein Urteil. Die drei Angeklagten – Vater, Sohn und Schwiegersohn – müssen Schmerzensgeld und Anwaltskosten der angegriffenen Kontrahenten übernehmen.
Amtsgerichtsdirektor Walter Henle bekam es in der Verhandlung nicht nur mit widersprüchlichen Zeugenaussagen über den Ablauf der Ereignisse am 8. Juli vergangenen Jahres zu tun, sondern musste mehrfach den Zeichenstift bemühen und sich mit Kleiderordnungen befassen. Zwei Zeugen wurden ermahnt: Einer kam in Bermudas, eine junge Frau in Hotpants zum Verfahren, was quasi einer Missachtung des Gerichts gleich kommt.
Zweimal verwarnte Henle einen der beiden jüngeren Angeklagten, als dieser einmal über Zeugenaussagen grinste und beim zweiten Mal dazwischen redete.
Worum ging’s? Ein 51-jähriger früherer selbstständiger Maurer traf auf dem Kinderfest eine andere türkische Familie, die dort den Diplomabschluss des Sohnes mit einem Fischessen feierte. Der Handwerker sprach den Landsmann an, von dem er seiner Aussage nach noch Geld aus einer mehrere Jahre zurückliegenden Arbeit forderte: „Komm’ mit, ich will mit dir reden“, sagte der Angeklagte und fasste den Schuldner am Arm.
Der 54-jährige Landsmann weigerte sich. Dann ging alles drunter und drüber. Der angetrunkene 30-jährige Sohn des Angeklagten griff ein, sprang auf den Biertisch und ging sofort auf das Opfer los. Beide stürzten zu Boden, es gab Schläge gegen Kopf und Körper. Der Sohn des Opfers, ein 27-jähriger Maschinenbauingenieur, wollte seinen Vater schützen, bekam aber von hinten einen Stoß. Ob der vom dritten Angeklagten, dem 39-jährigen Schwiegersohn des Maurers stammte, ließ sich nicht zweifelsfrei aufklären.
In das Gerangel griffen zwei Sicherheitsleute, ein Mann und eine Frau, ein. Sie führten die drei Angreifer vom Gelände des Kinderfestes. Zum Ablauf der Schlägerei unter den türkischen Familien konnten sie jedoch als Zeugen wenig beitragen.
Aufklärung erhoffte sich Richter Henle von der Ehefrau des Opfers, die am Biertisch saß. Doch trotz Dolmetscherin war die Aussage alles andere als zielführend, denn die 50-Jährige machte widersprüchliche Angaben. Henle platzte fast der Kragen: „Wenn Sie hier falsch aussagen, stehen Sie bald wieder vor Gericht, aber als Beschuldigte.“Zweimal skizzierte er den „Tatort“mit Biertischen auf Papier, um die Positionen der Beteiligten deutlicher heraus zu arbeiten. Wegen der oft widersprüchlichen Aussagen gelang es nur teilweise.
Eine Beleidigung, die dem angeklagten Senior von der Staatsanwaltschaft zur Last gelegt wurde, ließ sich etwas einfacher klären. Das nächste Mal werde er die Frau des Opfers nehmen, soll er gesagt haben.
Das könne in türkischer Sprache durchaus als Beleidigung mit sexuellem Bezug gesehen werden, übersetzte die Dolmetscherin.
Weil sich die vollständige Aufklärung der Schlägerei, bei der es offensichtlich zu keiner gravierenden Verletzung kam, als schwierig erwies, bot der Richter die Einstellung des Verfahrens gegen die drei Angeklagten an. Die beiden jungen Männer hatten strafrechtlich ohnehin eine weiße Weste, lediglich die Akte des Familienvaters wies bereits zehn Einträge auf, darunter Fahren ohne Führerschein, Besitz einer scharfen Schusswaffe, Sozialbetrug und Beihilfe zum illegalen Aufenthalt, geahndet zum Teil mit Haftstrafen auf Bewährung.
Die beiden jüngeren Angeklagten müssen den beiden Opfern, die als Nebenkläger von Rechtsanwalt Walter Deistler vertreten wurden, je 500 Euro Schmerzensgeld zahlen, dem 52-jährigen Familienvater wurden die Kosten der Nebenklage auferlegt. Sollten die Beträge nicht fristgerecht bezahlt werden, droht ein erneutes Verfahren, machte Richter Henle klar, das dann aber nicht mit einer Einstellung ende.