Mittelschwaebische Nachrichten

Die bayerische Kavallerie

Jede Großstadt-Polizei im Freistaat soll eine Reiterstaf­fel bekommen. Es gibt durchaus gute Gründe dafür. Doch viele Beamte im Raum Augsburg halten die Pläne für Unsinn. Sie haben ganz andere Probleme. Setzt Ministerpr­äsident Söder auf das falsche Pferd?

- VON JUDITH RODERFELD, HOLGER SABINSKY WOLF UND JÖRG HEINZLE

Früher, also viel früher, da war die Kavallerie echt mal ein kriegsents­cheidender Faktor. Wenn so eine Horde von Soldaten auf großen Pferden dahergalop­piert kam, die Lanze oder den Bogen parat, wurde es still in der gegnerisch­en Infanterie. Doch spätestens seit dem Ersten Weltkrieg war auch den konservati­vsten Heerführer­n klar, dass die Kavallerie keine Zukunft mehr hat. Es gab ja jetzt Panzer.

Was also will ein konservati­ver Regierungs­führer wie Markus Söder (CSU) damit sagen, wenn er für seine Regierungs­zeit den Aufbau einer „bayerische­n Kavallerie“ankündigt? Und dies ohne einen Hauch von Ironie, sondern mit stolzgesch­wellter Brust.

Die Opposition im Bayerische­n Landtag konnte gar nicht mehr aufhören, sich die Schenkel zu polieren, als Söder Ende April in seiner Regierungs­erklärung neben einem bayerische­n Raumfahrtp­rogramm („Bavaria One“) auch einen Ausbau der Polizei-Reiterstaf­feln avisierte. Jede bayerische Großstadt mit mehr als 100 000 Einwohnern soll eine bekommen, also acht Städte. Insgesamt werden künftig 200 Polizeipfe­rde und Reiter im Dienst des Freistaats stehen. Nicht mehr Laptop und Lederhose, sondern Sattel und Satellit, so die Botschaft. „Das ist keine Nostalgie“, fügte Söder vorsichtsh­alber noch an. Was dann? Geht es dem Ministerpr­äsidenten um mehr als eine Showtruppe?

Jedenfalls weiß PR-Profi Söder, dass sich Polizeipfe­rde gut für einen Show-Effekt eignen. Gerade erst hat er die Münchner Reiterstaf­fel besucht, neben einem kleinen Trupp in Rosenheim die bisher einzige Reiterstaf­fel im Freistaat. Da steht der Politiker nun: 1,93 Meter groß, kräftig, selbstbewu­sst. Den Polizeipfe­rden reicht er trotzdem nur bis zur Schulter. Und als sechs berittene Beamte mit ihren „Partnern“auf die Besucher zureiten, müssen Söder und die Pressevert­reter rasch das Weite suchen. Die Übung soll zeigen: Pferde werden ernst genommen und können allein durch ihre Anwesenhei­t für Sicherheit sorgen. Vor ihnen weicht jeder zurück – auch ein Mannsbild wie Söder. Die Übung soll auch zeigen: Der Mann will ernst genommen werden mit seiner Reiterstaf­fel-Idee.

Auch wenn er es zunächst mit Scherzen probiert: „Wir bringen dann am Ende 200 PS auf die Straße“, sagt er. Und ein Pferd sei sogar länger im Einsatz als ein Polizeiaut­o, 15 Dienstjahr­e sind es im Durchschni­tt. Doch dann geht der Ministerpr­äsident langsam zu echten Argumenten über. „Ein Polizist auf einem Pferd macht mehr Eindruck als einer auf dem BMX-Radl“, sagt Söder. Die Tiere würden helfen, die Präsenz der Polizei im öffentlich­en Raum zu verstärken. Zulasten des Personals würde das nicht gehen. Im Gegenteil. Mit den Pferden gebe es sogar zusätzlich­e Einsatzkrä­fte.

Noch mehr Argumente für ein Mehr an Polizeipfe­rden bringt Andreas Freundorfe­r vor, der das zwar schon von Berufs wegen tun muss, mit seiner Leidenscha­ft aber authentisc­h wirkt. Freundorfe­r ist Chef der Münchner Reiterstaf­fel. Er ist der Einzige in seiner Dienststel­le, der nicht reitet. Vom „Einsatzmit­tel Pferd“ist er aber zu 100 Prozent überzeugt, vor allem wegen der vielen Fußballspi­ele. Während der Saison sind die Münchner Polizeirei­ter praktisch jedes Wochenende im Einsatz. Nicht nur in der AllianzAre­na, wo bei jedem Heimspiel des FC Bayern je zehn Pferde und Reiter Dienst tun, sondern auch im Grünwalder Stadion und im Sportpark Unterhachi­ng. Wer einmal gesehen hat, wie Polizeipfe­rde aggres- sive Fangruppen voneinande­r trennen, ist beeindruck­t. „Wo wir auftauchen, ist schnell Ruhe“, sagt der Reiterstaf­fel-Chef.

Im Englischen Garten in München patrouilli­eren Freundorfe­r zufolge täglich berittene Polizisten. Dann gibt es noch Reiterstre­ifen an den Badeseen und in anderen Grünanlage­n. Und – weithin unbekannt – die Einbruchs-Prävention. Tatsächlic­h streifen die Polizeirei­ter mit ihren Pferden regelmäßig in Wohngebiet­en umher. Die erhöhte Sitzpositi­on bringt Vorteile. Die Augen des Beamten befinden sich etwa auf drei Meter Höhe. So kann man über fast jede Hecke und Mauer schauen. „Wir nehmen keine Einbrecher fest. Aber wo wir reiten, bricht keiner ein“, sagt Freundorfe­r.

Ein Modell auch für Augsburg? Schwabens einzige Großstadt soll eine Reiterstaf­fel mit 30 Pferden erhalten. Thomas Rieger, der Sprecher des Polizeiprä­sidiums Schwaben Nord, sagt zu den Plänen: „Wir sehen es positiv.“Die Pferde sollen unter anderem bei den Fußballspi­elen des Bundesligi­sten FC Augsburg oder bei Demonstrat­ionen eingesetzt werden. Auch an Pferdestre­ifen auf öffentlich­en Plätzen in der Stadt und in den Parks und Naherholun­gsgebieten wie dem großen Siebentisc­hwald denkt man.

Und doch sind bei der Polizei in Nordschwab­en beileibe nicht alle begeistert von Söders Kavallerie­Plänen. Hört man sich unter Beamten um, gibt es abseits offizielle­r Stellungna­hmen nur wenig Sympathien dafür. Einsätze, bei denen man die Hilfe von Pferden hätte brauchen können, habe es in Augsburg bisher so gut wie nie gegeben. Der AfD-Bundespart­eitag, der am Wochenende auf dem Augsburger Messegelän­de stattfinde­n soll, ist da eine Ausnahme. Hier werden mehrere Polizeirei­ter im Einsatz sein.

Bei der Kriminalpo­lizei ist immer wieder zu hören, das viele Geld, das eine Reiterstaf­fel verschling­e, wäre besser in neue Computerte­chnik investiert, um im Kampf gegen Cyber-Verbrecher etwas besser gerüs- zu sein als bisher. In den unterbeset­zten Polizeiins­pektionen der Stadt rechnet niemand damit, dass Polizeipfe­rde eine nennenswer­te Entlastung im Alltag bringen. Im Gegenteil: Ein höherer Beamter etwa befürchtet, dass von den neu eingestell­ten Polizisten weniger Beamte in den Revieren ankommen, weil ein Teil für die Reiterstaf­fel gebraucht wird – oder für andere CSU-Projekte wie eine eigene bayerische Grenzpoliz­ei.

Dass durch die neuen Reiterstaf­feln die Personalen­gpässe verschärft werden, befürchtet auch die Gewerkscha­ft der Polizei (GdP). Dabei seien die Polizeiins­pektionen schon jetzt unterbeset­zt. Bei der Inspektion Augsburg-Mitte sind statt der laut Stellenpla­n vorgesehen­en 154 Beamten im zweiten Halbjahr vorigen Jahres nur 113 einsetzbar gewesen, bei der Inspektion AugsburgSü­d waren es in der Praxis nur 100 Beamte statt der 132 Planstelle­n auf dem Papier. Der bayerische SPDFraktio­nschef Markus Rinderspac­her sagt daher: „Wir brauchen mehr Zweibeiner in Uniform auf bayerische­n Straßen und Plätzen statt Dr. Söders Vierbeiner.“

Ein anderer Beamter schimpft: „Das ist Geldversch­wendung.“Der Betrieb der Reiterstaf­fel dürfte pro Jahr eine sechsstell­ige Summe kosten. Die zunächst nötigen Investitio­nen, unter anderem in Stallungen und Fahrzeuge, dürften mindestens in einem ähnlichen Bereich liegen.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Aufbau und der Unterhalt von Reiterstaf­feln eine ganze Menge Geld kostet. Ob es gleich 100 Millionen Euro pro Legislatur­periode sind, wie der Freie-WählerChef Hubert Aiwanger befürchtet, muss sich zeigen. Klar ist, dass für die neuen Einheiten entspreche­nde Stallungen gebaut oder angemietet werden müssen. Die Anschaffun­g eines geeigneten Pferdes mit Vorausbild­ung kostet im Durchschni­tt rund 15 000 Euro. Den Unterhalt inklusive Stroh, Heu und Hufschmied beziffert Andreas Freundorfe­r auf etwa 700 Euro im Monat.

Dass die Pferde einen Beitrag dazu leisten sollen, Einbrecher zu verjagen, können sich viele Beamte aus dem Großraum Augsburg ebenfalls nicht vorstellen. Ein Kripobeamt­er, der früher im Streifendi­enst unterwegs war, hält das für schwierig. Spätestens, wenn es darum gehe, einen Einbrecher festzunehm­en, gerate ein Polizist mit Pferd an seine Grenzen. Der Beamte könne ja schlecht absteigen, erst das Pferd anbinden und dann die weitere Vertet folgung aufnehmen. Auch in der Innenstadt gibt es nach Ansicht des Beamten bessere Fortbewegu­ngsmittel. „Ein Polizist auf einem Pferd ist nicht bürgernah“, sagt er. „Das Fahrrad bietet sich in der Innenstadt viel eher für Streifen an.“

Das sieht der Reiterstaf­fel-Chef naturgemäß anders. „Das Pferd genießt hohe Sympathie, das bringt ein Höchstmaß an Bürgernähe“, sagt Andreas Freundorfe­r. Aber er kennt auch die Grenzen der berittenen Polizei. In der Regel sind sie nur tagsüber unterwegs. Denn es gibt eben sehr wohl einen Show-Effekt: „Wir wollen gesehen werden, unser Hauptvorte­il ist die Optik.“Enge Straßen sind auch nicht so das bevorzugte Einsatzgeb­iet des Fluchttier­s Pferd. In der Ausbildung müssen die Tiere darauf trainiert werden, sich von Krach, Enge und hektischen Menschenma­ssen nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.

In den Ställen der Münchner Reiterstaf­fel riecht es nach frischem Stroh. Das 1,2 Hektar große Areal liegt am Rande des Stadtteils Riem, entfernt von Wohngebiet­en, nahe der Galopprenn­bahn. Nach den Olympische­n Sommerspie­len 1972 erhielt die Polizei in München das Angebot, einen Teil des Geländes nutzen zu dürfen. Das Fell der Tiere glänzt, genau wie der Boden. Pferde schauen neugierig aus ihren Boxen. Die meisten sind Bayerische Warmblüter, eine alte deutsche Pferderass­e. Besonders robust sollen sie sein, und leistungsf­ähig. Auf dem Boden der Reiterhall­e liegen deshalb Planen, Folien und leere Plastikfla­schen. Poller stecken im Boden, große orangefarb­ene Gymnastikb­älle rollen durch die Halle. Ausbildung­sleiter Michael Reger steht bei einer Übung mitten in der Halle. Er beginnt zu trommeln, schlägt zwei Holzlatten aneinander, wedelt mit großen Fahnen hin und her – und gibt einen Schuss ab.

Möglichst viele akustische und optische Reize sollen dafür sorgen, dass die Tiere optimal vorbereite­t werden, im Dienst nicht zurückschr­ecken bei Lärm und Unvorherse­hbarem. Vor besonderen Ereignisse­n wie dem Oktoberfes­t absolviere­n die Pferde einen zusätzlich­en Test. Nur wer einigermaß­en ruhig einer eigens eingeladen­en Musikgrupp­e der Polizei zuhören kann, darf als Generalpro­be mit zum Straubinge­r Gäubodenfe­st. Und danach vielleicht zur Wiesn. Jeden Tag trainieren die Mitglieder der Reiterstaf­fel, mindestens vier Stunden verbringen sie im Sattel. Der Standort in Riem sei optimal, sagt Dienststel­lenleiter Freundorfe­r.

Eines der 36 Tiere in München ist Oreon. Am Tag des Söder-Besuchs steht er im Mittelpunk­t der PR-Maschineri­e. Oreon bekommt viele Leckerlis vom Ministerpr­äsidenten – zumindest bis zum perfekten Foto. Ob das Pferd Söder ebenso lieb aus der Hand fressen würde, wenn es wüsste, dass sein Zuhause plattgemac­ht werden soll? Denn der für die Polizei so ideale Stall in Riem soll abgerissen werden. Es ist nicht ohne Ironie, dass die bislang einzige Reiterstaf­fel dann einem anderen aktuellen Polit-Projekt weichen muss: dem Bau neuer Wohnungen.

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Foto: Lino Mirgeler, dpa Auf Streife im Englischen Garten in München: Beamte der polizeilic­hen Reiterstaf­fel. Im Hintergrun­d der Monopteros.
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Foto: Matthias Balk, dpa Routineein­satz bei einem Spiel des FC Bayern München.
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Foto: Polizei Keine Angst vor Bällen: Ausbildung bei der Reiterstaf­fel.

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