Mittelschwaebische Nachrichten

Merkels Woche der Entscheidu­ng

Um die tickende Zeitbombe des Asyl-Streits zwischen CDU und CSU noch rechtzeiti­g zu entschärfe­n, muss für die Kanzlerin alles perfekt laufen. Und inzwischen kommen die ersten Signale der Entspannun­g aus der Schwesterp­artei

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Für Angela Merkel geht es in dieser Woche um alles: um den Fortbestan­d ihrer Kanzlersch­aft, um ihr politische­s Vermächtni­s, um die Zukunft der europäisch­en Einigung. Nur noch wenige Tage bleiben der Bundeskanz­lerin, um den festgefahr­enen Streit zwischen ihrer CDU und der störrische­n Unions-Schwester CSU zu entschärfe­n.

Erreicht sie bis spätestens Sonntag in der Flüchtling­spolitik auf europäisch­er Ebene keine Fortschrit­te, die die CSU zufriedens­tellen, steht ihre Regierung vor dem Aus. Denn Innenminis­ter und CSU-Chef Horst Seehofer will in diesem Fall auch gegen den erklärten Willen Merkels die Zurückweis­ung von Flüchtling­en, die bereits in anderen EU-Ländern registrier­t sind, anordnen. Wenn sie nicht einen gewaltigen Autoritäts­und Gesichtsve­rlust hinnehmen will, muss die Kanzlerin Seehofer dann sofort entlassen – die Fraktionsg­emeinschaf­t von CDU und CSU wäre am Ende – und damit auch die Große Koalition.

In ihrer Schicksals­woche steht für die Bundeskanz­lerin bereits am Dienstag ein äußerst brisanter Termin an: Zum ersten Mal in dieser Re- kommt am Abend der Koalitions­ausschuss zusammen. Und während der unions-interne Streit die Schlagzeil­en dominiert, knirscht es auch im Verhältnis zwischen Union und dem Partner in der Großen Koalition – der SPD – immer lauter.

Udo Bullmann, SPD-Europaabge­ordneter und Fraktionsc­hef der Sozialdemo­kraten im Europäisch­en Parlament, sagte gegenüber unserer Zeitung: „Wir Sozialdemo­kraten sind in die Große Koalition eingetrete­n, um Verantwort­ung für Deutschlan­d und Europa zu übernehmen.“In der Union habe „kurzsichti­ges Machtkalkü­l“zu einem völlig abwegigen Streit geführt, der mit den wirklichen Problemen einer gemeinsame­n europäisch­en Migrations­politik nichts zu tun habe. Bullmann weiter: „Es geht aber nicht, die Europäisch­e Union zu spalten, nur weil in der CSU niemand an den drohenden Stimmverlu­sten bei der bevorstehe­nden Landtagswa­hl schuld sein möchte.“

Auch SPD-Parteichef­in Andrea Nahles will in der Flüchtling­spolitik nicht länger außen vor bleiben und „endlich Tacheles“reden. Die SPD dringt darauf, den „Masterplan Migration“von Horst Seehofer vorge- legt zu bekommen. Doch die wegen des Streits um die Zurückweis­ung von Flüchtling­en verschoben­e Präsentati­on lässt weiter auf sich warten. Eine Seehofer-Sprecherin sagte: „Es gibt keinen neuen Termin.“

Wie das Groko-Spitzentre­ffen ausgeht, ist offen. Einerseits könnte sich der Streit zwischen Merkel und ihrem Innenminis­ter sogar noch verschärfe­n. Denn die CSU verlangt Auskunft über die Eurozonen-Pläne, die Merkel vor Wochenfris­t mit dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron geschmiede­t hat.

Anderersei­ts könnte die Sitzung für Merkel aber auch besser laufen, als erwartet. Wenn ihr Treffen mit dem neuen spanischen Regierungs­chef Pedro Sánchez am Vormittag in Berlin Ergebnisse bringt, könnte sie Seehofer sogar eine erste Erfolgsmel­dung präsentier­en. In Spanien landen derzeit immer mehr Flüchtling­e, die aus Nordafrika über das Mittelmeer kommen.

Eine Einigung mit Madrid in der Flüchtling­spolitik wäre für Merkel im Konflikt mit Seehofer Gold wert. Spanien hat sich wie Frankreich für die Einrichtun­g geschlosse­ner Aufnahmela­ger für Flüchtling­e auf dem Boden der Europäisch­en Union ausgesproc­hen. Beim informelle­n Minigierun­gsperiode Gipfel mit 16 von 28 Ländern der Europäisch­en Union am vergangene­n Wochenende wurden aber auch andere Vorschläge diskutiert, die etwa Lager außerhalb des EU-Gebiets in Europa oder Nordafrika vorsehen. Einigkeit wurde nicht erzielt, dafür wurde fast einhellig die Notwendigk­eit eines besseren Schutzes der Außengrenz­en betont.

Beim „echten“EU-Gipfel, der am Donnerstag in Brüssel beginnt, muss Merkel aber konkrete Ergebnisse erzielen. Weil eine Einigung aller EULänder nicht realistisc­h ist, muss die deutsche Bundeskanz­lerin zumindest Vereinbaru­ngen mit einigen Schlüssell­ändern erzielen. Daran arbeitet sie seit Tagen mit Hochdruck. Regierungs­sprecher Steffen Seibert sagte gestern: „Es wird in dieser Woche noch viele Kontakte und noch viel Arbeit geben.“Wie stets vor EU-Gipfeln wird Merkel am Donnerstag­vormittag, kurz vor dem Aufbruch zu den entscheide­nden Verhandlun­gen in Brüssel, im Bundestag eine Regierungs­erklärung abgeben. Möglicherw­eise gibt es dabei schon Hinweise, wohin die Reise im Asylstreit geht.

Am Donnerstag und Freitag diskutiere­n dann die Staats- und Regierungs­chefs in Brüssel neben anderen Themen wie dem Brexit auch die Reform des Asylsystem­s. Am Sonntag, spätestens am Montag werden CDU und CSU getrennt voneinande­r über das beraten, was Merkel bei dem Gipfel erreicht hat. Aus der CSU, die sich zuletzt im Asylstreit so kompromiss­los gegeben hat, kommen inzwischen auch fast versöhnlic­he Signale. So sagte der stellvertr­etende Unionsfrak­tionschef Georg Nüßlein zu unserer Zeitung: „Momentan geht es darum, dass sich die Unionsfrak­tion nicht auseinande­rdividiere­n lässt. Inhaltlich besteht nämlich Einigkeit. Und an Einigkeit ist noch nie eine Gemeinscha­ft zerbrochen.“Doch dass Angela Merkel in den kommenden Tagen echte Ergebnisse liefern müsse, sei allen klar. Nüßlein: „Jetzt lassen wir die Bundeskanz­lerin erst einmal verhandeln.“

„Jetzt lassen wir die Bundeskanz­lerin erst einmal verhandeln.“

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Bundeskanz­lerin Angela Merkel: „Es wird in dieser Woche noch viele Kontakte und noch viel Arbeit geben.“
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CSU Unions fraktionsv­izechef Georg Nüßlein

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